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Leseprobe 1 DOI: 10.14623/thq.2023.3.244–265
Hildegard Hager
Erinnerungsgemeinschaft als Erzählgemeinschaft
Kulturwissenschaftliche Grundlagen und religionsdidaktische Perspektiven
Zusammenfassung
Kulturwissenschaftliche Forschung hat herausgearbeitet, dass Erinnerung als dialektischer Prozess zwischen Individuen und Gemeinschaften zu verstehen ist. Die kulturwissenschaftlichen Begriffsgerüste ermöglichen es, Träger, Funktion, Wirkungsweise und Entstehung von Erinnerungshandeln für die Gemeinschaft zu analysieren und zu reflektieren. Die folgende Darstellung verbindet Erinnerungstheorien mit Ansätzen aus der narrativen Kulturwissenschaft. Sie zeigen, dass Erinnerung sich in Erzählungen niederschlägt, die ihrerseits Orientierung und Geschichtsbewusstsein vermitteln. Diese Perspektive ist gewinnbringend für die Theologie, weil sie sowohl die gegenwärtige Funktion von Geschichte und Geschichten als auch die Möglichkeiten bewussten Erinnerns für die Zukunft aufzeigt. Welche Konsequenzen dies für den Religionsunterrichts haben kann, wird abschließend skizziert.

Abstract
This article summarizes the results of cultural and social scientific studies on memory and remembering as process concerning both individuals and collectivities. The outcoming concepts and terms help to anaylize and reflect formation, mechanisms and function of memory for collectives. Narrative concepts show in addition that memories are kept in stories and contain interpretation of the presence and future perspectives. Therefore these theories may be of interest for theological research. Consequences for teaching practice will be indicated at the end.

Schlagwörter/Keyword

Maurice Halbwachs; Aleida Assmann; Jan Assmann; Erinnerungsgemeinschaft; Erzählgemeinschaft; fragmentierte Gesellschaft; homogene Gesellschaft; Geschichtsbewusstsein; individuelles Gedächtnis; kollektives Gedächtnis; kommunikatives Gedächtnis; kulturelles Gedächtnis; kultursemiotisches Modell; Narratologie; postmoderne Gesellschaft
Maurice Halbwachs; Aleida Assmann; Jan Assmann; commemorative community; narrative community; fragmented society; homogeneous society; historical consciousness; individual memory; collective memory; communicative memory; cultural memory; cultural semiotic model; narratology; postmodern society


1. Erinnerungsgemeinschaft als Erzählgemeinschaft


„Christentum als Gemeinschaft der an Jesus Christus Glaubenden ist […] eine Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft in praktischer Absicht: erzählend-anrufende Erinnerung der Passion, des Todes und der Auferstehung Jesu.“1 So schreibt Johann Baptist Metz bereits 1977, noch bevor innerhalb der Kulturwissenschaften das Konzept von Erinnerungs- und Erzählgemeinschaften geprägt wurde. Metz verwendet diese Bezeichnung als Beobachter davon, wie Kirche mit Tradition und Geschichte umgeht, wobei er den Blick besonders auf die kirchlichen Vollzüge und ihren zentralen Bezugspunkt Jesus Christus richtet. Erinnerung in praktischer Absicht, das bedeutet zunächst, dass Erinnerung nicht in der Vorstellungs- und Gedankenwelt verbleibt, sondern wirksam wird für die Zukunft, weil sie gegenwärtiges Handeln hervorruft. Wenn Metz von einer Erinnerungsgemeinschaft spricht, nimmt dies ganz selbstverständlich die Realität und das Selbstverständnis von Kirche in den Blick, gemeinsam in der Nachfolge Jesu Christi unterwegs zu sein.

Was Metz theologisch formuliert, lässt sich verbinden mit der kulturwissenschaftlichen Verwendung des Erinnerungsbegriffs, der – beginnend mit Aleida und Jan Assmann – Anfang der 90er-Jahre einen wahren Boom erlebt hat. In den darauffolgenden Jahren ist die interdisziplinäre Gedächtnisforschung aufgrund verschiedener Zugänge und Teilerkenntnisse unübersichtlich geworden, zumal sich die Terminologien in den verschiedenen Disziplinen unterscheiden. Im Zentrum aller Theorien steht die Erkenntnis, dass Erinnerung und Gedächtnis dazu beitragen, Menschen im Rückbezug auf die Geschichte in der Gegenwart zu Gemeinschaften zu verbinden und diese Gemeinschaften zukunftsfähig zu machen. Zugleich hat die Gedächtnisforschung herausgearbeitet, dass Erinnerung kein individuelles Phänomen ist, sondern bereits die individuelle Erinnerung auf kollektive Wissensbestände verwiesen und mit diesen verwoben ist.

1.1 Erinnerung und Gedächtnis – Begriffsbestimmungen im Blick auf Individuum und Gemeinschaft

Die Grundlage für die Vorstellung von Erinnerung und Gedächtnis, die sie als einen dialektischen Prozess zwischen Individuum und Gemeinschaft begreift, legte bereits Maurice Halbwachs, der in den 1920er-Jahren den Begriff des Gedächtnisses vom Individuum auf Gemeinschaften übertrug. Im Zuge dessen wurde das gesamte Begriffsfeld von Erinnern und Gedächtnis reflektiert. So besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, „dass Erinnern als ein Prozess, Erinnerungen als dessen Ergebnis und Gedächtnis als eine Fähigkeit oder eine veränderliche Struktur zu konzipieren ist.“2 Auch wenn all diese Begriffe in ihrem Ursprung auf das Individuum bezogen sind, wehren sich Gedächtnisforscher bis heute dagegen, die Übertragung der Begriffe auf das Kollektiv als bloße Metaphorik abzutun, sondern verstehen die Begriffe als Hilfe, die „Interaktion zwischen Psyche, Bewußtsein, Gesellschaft und Kultur“3 darstellen zu können.

Halbwachs hat gezeigt, dass individuelles Erinnern immer in einem sozialen Rahmen stattfindet und von diesem geprägt wird. Die von ihm so bezeichneten cadres sociaux beschränken sich nicht auf das direkte familiäre und soziale Umfeld, sondern umfassen von der Gesellschaft vermittelte Wissensbestände, Zeit- und Raumvorstellungen sowie Denk- und Erfahrungsweisen. Sie ermöglichen es dem Individuum, seine Wahrnehmungen einzuordnen, sie zu deuten und zu erinnern und bilden den Horizont aller Selbstwahrnehmung und Erinnerung. Im Ausgang von dieser Vorstellung untersucht Halbwachs, inwiefern sich ein Generationengedächtnis ausbildet, und welche Funktionen es erfüllt. Schließlich weitet er den Begriff der mémoire collective auf die Bereiche kultureller Überlieferung und Traditionsbildung aus. Diese beiden Aspekte kollektiven Erinnerns, die Unterscheidung eines Generationengedächtnisses und eines kulturellen Gedächtnisses, nehmen das Erinnern in der Gruppe in den Blick und finden sich innerhalb der Assman’schen Konzeption dort wieder, wo zwischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis unterschieden wird.

Die Literaturwissenschaftlerin Astrid Erll hat herausgestellt, dass Halbwachs damit die Konzeption eines individuellen Gedächtnisses mit der eines kollektiven Gedächtnisses vereine, welches mittels des „durch Interaktion, Kommunikation, Medien und Institutionen innerhalb von sozialen Gruppen und Kulturgemeinschaften erfolgende[n] Bezug[s] auf Vergangenes“4 gebildet werde. Zwar hat Halbwachs selbst darauf hingewiesen, dass Entstehung und Trennung der individuellen und kollektiven Strukturen von Gedächtnis nicht als kausale oder temporale Abfolge zu denken sind, sondern als vernetzter Prozess. Auch sei „der kollektive Geist […] nichts anderes als eine bestimmte Ordnung der Beziehungen zwischen den individuellen Geiste[r]n“5, und kein Bezugsrahmen außerhalb der Individuen, sondern Teil der individuellen Gedächtnisse der Gruppenmitglieder.6

Dennoch fordert der amerikanische Soziologe Jeffrey Olick hier eine stärkere Abgrenzung. Mit Bezug auf Halbwachs und Assmann zieht er eine deutliche Trennlinie zwischen der Erinnerung des Individuums und gesellschaftlichen Gedächtnisfunktionen. Das individuelle Gedächtnis bezeichnet er als collected memory, insofern der Einzelne Erlebnisse und Erfahrungen aus seinem sozialen und kulturellen Umfeld sammelt, sortiert und speichert. Das individuelle Gedächtnis „erinnert mit Hilfe von kulturspezifischen Schemata, handelt gemäß kollektiv geteilten Werten und Normen und es assimiliert Erfahrungen zweiter Hand in den eigenen Erfahrungsschatz.“7 Erinnern ist damit als individueller Vorgang gekennzeichnet, ohne dass hinsichtlich von Strukturen oder Vorgängen des Erinnerns außerhalb von Individuen spekuliert werden muss.8 Dagegen bezeichnet Olick mit collective memory nur Symbole und Strukturen, die einen gesellschaftlichen Bezug zur Vergangenheit haben, und verwendet memory dezidiert metaphorisch. Das Kollektiv schaffe sich Orte, an denen es notwendige oder nützliche Erinnerungen bewahre, die für die Gesellschaft Bedeutung haben — und das zugleich außerhalb von Personen, aber mit Wirkung auf das Individuum, das durch diese Repräsentationen geprägt werde, sich ihrer bediene und sie beeinflussen könne, sofern die Gruppe dies zulasse. Diese Orte führen jedoch kein Eigenleben, sie erinnern sich nicht selbst, sondern sie werden nur dann mit Leben gefüllt, wenn Individuen auf sie zurückgreifen.9

Diese Trennung der individuellen und sozialen Ebene des Erinnerns ermöglicht eine differenzierte Wahrnehmung und Analyse von Prozessen, in denen Erinnern verhandelt wird, darf aber nicht verkennen, wie sehr beide Bereiche dialektisch aufeinander bezogen sind. Das Individuum greift in seinem Erinnern auf soziale Zusammenhänge zurück, die als Gruppengedächtnis beschrieben werden können. Dieses ist nicht als feststehendes und einheitliches Gebilde zu denken, weil es von den jeweiligen Mitgliedern der Gruppe weitergedacht und weitergeprägt wird, abhängig zum einen von der voranschreitenden Erfahrung, abhängig zum anderen von den jeweiligen Personen innerhalb der Gruppe. Denn Anteil an diesem Gedächtnis hat die Vielzahl der Individuen, die je durch verschiedene soziale Gruppen geprägt sind. Dadurch entsteht Dynamik und Veränderung. Gleichzeitig lassen sich in einem definierten Zeitraum oder zu einem Zeitpunkt für die gruppenverbindende Erinnerung Inhalte analysieren und reflektieren, die sich in Praktiken, Symbolen oder Medien widerspiegeln, und über die sich Bedürfnisse und Belange der Gruppe ablesen lassen.10

Die Begriffe von Erinnerung und Gedächtnis verdeutlichen mithin, wie Individualität und Sozialität miteinander verwoben und aufeinander bezogen sind, das eine nur im je anderen existiert. Wenngleich die individuelle und die soziale Ebene von Gedächtnis begrifflich zu trennen sind, werden sie nur im Zusammenspiel wirksam und bedingen sich gegenseitig. Wie dieses Zusammenwirken auf den verschiedenen Ebenen des individuellen und kollektiven Gedächtnisses vorstellbar ist, wird im Folgenden dargestellt.

1.2 Das Individuum als Schnittstelle im Netzwerk kollektiver Erinnerungen – kollektives Gedächtnis in der psychologischen Gedächtnisforschung

Auf der Grundlage der Theorien von Halbwachs erwächst ein Bild des Individuums, das dessen soziale Bedingtheit ins Zentrum stellt. Erinnern ist kein rein individueller Prozess, sondern von sozialen Bezugsgruppen abhängig, wie Harald Welzer formuliert: „Nicht die Erinnerung selbst also, sondern die Kombination der Gruppenzugehörigkeiten und daraus resultierender Erinnerungsformen und -inhalte sind demnach das wirklich Individuelle, das die Gedächtnisse einzelner Menschen voneinander unterscheidet.“11 Entsprechend formuliert Welzer als Fazit zur Sozialität des autobiografischen Gedächtnisses: „Menschen sind vielleicht viel besser zu verstehen, wenn man sie nicht als Individuen betrachtet, sondern als Schnittstellen in einem Netzwerk.“12 Wie kann man sich diesen Vorgang des Erinnerns genau vorstellen? Welzer hat die Ergebnisse der Hirnforschung und der Entwicklungspsychologie für die Frage nach dem individuellen Erinnerungsprozess zusammengestellt. So zeigen die Befunde aus der Neurowissenschaft und der kognitiven Psychologie zum einen, dass „das Gedächtnis ein konstruktives System ist, das Realität nicht einfach abbildet, sondern auf unterschiedlichsten Wegen und nach unterschiedlichsten Funktionen filtert und interpretiert.“13 Das bedeutet, dass die konkrete Erinnerung nicht als Einheit an einem Ort im Gehirn abgelegt wird, sondern als „Muster neuronaler Verbindungen über verschiedene Bereiche des Gehirns verteilt und als solche, verändert oder unverändert, abrufbar“14 ist. Die Erinnerungen werden in kleinere Spuren zerlegt und abgespeichert, um anwendungsbezogen je neu aktiviert und verknüpft aufgerufen werden zu können. Diese Prozesse werden als „Enkodierung“, „Speicherung“ und „Abruf“ bezeichnet. 15

Das Langzeitgedächtnis, das für den Kontext der bewusst abgerufenen Erinnerung aktiviert werden muss, enthält verschiedene Funktionen, die ineinander spielen. Bewusste Erinnerungen an konkrete Ereignisse bilden das episodische Gedächtnis. Doch interagiert diese Funktion mit drei weiteren basalen Gedächtnisformen, dem Weltwissen oder semantischen Gedächtnis als Speicher aller Wissensbestände, dem prozeduralen Gedächtnis als Speicher aller Operationen vom Laufen bis zum virtuosen Spiel eines Instrumentes und dem Priming als wirksame, abgespeicherte Wahrnehmung im halb- oder unbewussten Zustand.16 Erinnerungen durchlaufen diese verschiedenen Gedächtnisfunktionen im Prozess der Abspeicherung. Dabei wird vermutet, dass ohnehin nur solche Erfahrungen im episodischen Gedächtnis abgespeichert werden, die auf Wissensbestände im Weltwissen Bezug nehmen.17

Diese Ebenen sind deswegen entscheidend für den Erinnerungsprozess, weil damit erklärbar wird, warum Erinnerungen nicht als Einheit aufgerufen werden, sondern Erlebnisse vernetzt mit anderen Erfahrungen und Erlebnissen der Vergangenheit gedacht werden. Verständlich wird zudem, wie Menschen sich authentisch an Dinge zu erinnern meinen, die sie gar nicht selbst erlebt haben, sondern von denen sie nur aus Erzählungen oder über andere mediale Vermittlungen erfahren haben. Und es wird deutlich, dass sich Erinnern mit Erfahrungen verbindet, die dem Bereich des Unbewussten angehören.18 Kurz: Auch episodische Erinnerung ist niemals ein Abbild eines zurückliegenden Ereignisses, sondern stets vernetzt, angereichert und verkürzt.

Verfügbar wird die Erinnerung für das Individuum erst in der sozialen Vermittlung: „Ein Erlebnis wird erst zur Erfahrung, wenn es reflektiert wird, und reflektieren bedeutet, der Erfahrung eine Form zu geben. Diese Form kann nur sozial vermittelt sein; anders steht sie dem Individuum nicht zur Verfügung und wäre im übrigen auch nicht kommunizierbar.“19 Sozial vermittelt sind dabei sowohl die Inhalte als auch die Struktur des Erinnerten. Ein Beispiel für sozial vermittelte Strukturen sind kulturelle Erzählmuster, die bei der Wiedergabe von Erinnertem bedient werden, wie die Unterscheidung nach Genres oder die Aufteilung in Einleitung, Hauptteil und Schluss einer Geschichte.20 Sozial vermittelt ist darüber hinaus schon das Mittel der Sprache, wie bereits Halbwachs in seinen Überlegungen herausgestellt hat.

Für den Abruf einer Erinnerung spielt zudem die emotionale Betroffenheit eine Rolle. Je emotionaler besetzt das Erlebte, desto öfter wird es aufgerufen, darüber gesprochen, desto detaillierter die Erinnerung.21 Damit dominieren emotional aufgeladene Erlebnisse die Erinnerung. Emotionalität verstärkt auch die Wirkung bei den Zuhörer:innen, da sich „über den Duktus des Erzählens die emotionale Tönung des Erlebten […] mitteilt und wiederum das Hören der Geschichte zu einem emotionalen Ereignis macht“22. Wenn hier vom Hören die Rede ist, darf nicht vergessen werden, dass für die Rezipient:innen viele Zugangsmöglichkeiten zur Erinnerung anderer bestehen. Die Besonderheit menschlicher Erinnerung liegt darin, komplexe Gedächtnisinhalte über Symbole externalisieren zu können. Welzer spricht hier von Exogrammen und meint damit jede Form von Texten, Bildern und Gegenständen, die Informationen stabil und dauerhaft bewahren. Konkrete Erinnerungen werden konserviert, auf die das Individuum selbst oder andere zu einem späteren Zeitpunkt zurückgreifen können, und die ihrerseits eine Veränderung der Erinnerung zur Folge haben können. Diese äußere Speicherung spielt in der Forschung zum kollektiven Gedächtnis eine herausgehobene Rolle, weshalb an dieser Stelle ausdrücklich darauf verwiesen sei, dass diese auch schon auf der individuellen Ebene selbstverständlich einen wesentlichen Faktor des Erinnerns darstellt.

1.3 Erinnerung und Gedächtnis als Deutungsinstrumente kultureller Phänomene – kollektives Gedächtnis in Sozialpsychologie und Kulturwissenschaft

Wenn individuelle Erinnerung inhaltlich und strukturell bis in ihre Tiefen hinein von sozialen und kulturellen Mustern geprägt und beeinflusst wird, stellt sich die Frage, wie diese soziale Dimension des Erinnerns zu denken ist. An dieser Stelle gibt insbesondere die immer wieder erweiterte Theorie des kulturellen Gedächtnisses von Aleida und Jan Assmann ein praktikables Begriffsgerüst an die Hand, um kollektive Erinnerungsprozesse differenziert zu betrachten, weil sie soziale Kontexte und kulturelle Zeugnisse in den Blick nimmt.

Den Ausgangspunkt der Theorie bilden die Überlegungen von Halbwachs zu Gruppe und Gedächtnis; die Assmans erweitern dieses Konzept jedoch um den Begriff der Kultur.23 Als Folge differenzieren sie innerhalb des kollektiven Gedächtnisses zwischen einem kommunikativen und einem kulturellen Gedächtnis des Menschen.24

1.3.1 Das kommunikative Gedächtnis – kollektives Gedächtnis in gelebter Beziehung

In Aleida und Jan Assmanns Konzeption beruht das kommunikative Gedächtnis auf verschiedenen Formen der Alltagskommunikation und bezeichnet die Weitergabe von Erinnerungen über einen begrenzten Zeitraum von etwa drei Generationen, dem Zeithorizont der oral history entsprechend. Mit Halbwachs benennt Jan Assmann als mögliche Trägergruppen Familie, Nachbarschaft, Berufsgruppen, Parteien, Verbände.25 Aufgrund der fortschreitenden Zeit unterliegen die Inhalte und ihre Deutung einem ständigen Wandel. Denn auch wenn Einzelne mehr wüssten oder über das Lebensalter das Gedächtnis weiter zurückreiche, gebe es innerhalb solch informeller Überlieferung keine ausgewiesenen Experten oder Spezialisten.26

Erinnerungen im kommunikativen Gedächtnis verbinden sich stark mit den darin vermittelten Gefühlen. „Liebe, Interesse, Anteilnahme, Gefühle der Verbundenheit, der Wunsch dazuzugehören, aber auch Haß, Feindschaft, Mißtrauen, Schmerz, Schuld und Scham geben unseren Erinnerungen Prägnanz und Horizont. Ohne Prägnanz würden sie sich nicht einprägen, ohne Horizont besäßen sie keine Relevanz und Bedeutung innerhalb einer bestimmten kulturellen Welt.“27 Dementsprechend betont Assmann auch die Relevanz des Vergessens, das erst das Hervortreten dessen ermögliche, was wichtig sei. Dabei ist die Wichtigkeit nicht sachlich bestimmt, sondern über die mit der Erinnerung verbundenen Gefühle: Zwischenmenschliche Beziehungen und ihre Qualität entscheiden darüber, welche Erinnerungen im kommunikativen Gedächtnis fortgeschrieben werden.

So zeigen auch verschiedene Arbeiten aus dem Bereich der Sozialpsychologie,28 dass in lebendigen Beziehungen individuelle Erinnerung und kommunikatives Gedächtnis in ihrer Funktionsweise ineinandergreifen. „Individuelle wie kollektive Vergangenheit […] werden in sozialer Kommunikation beständig neu gebildet.“29 Für beide gilt, dass jede Erinnerung in ein bestehendes Netz von Erinnerungen eingegliedert und den Beständen angepasst wird, was eine wechselseitige Veränderung von alten und neuen Erinnerungen zur Folge hat. Erinnerung trägt damit zum Selbstbild von Individuum und Gruppe bei und wird zugleich durch das Selbstbild gesteuert und selektiert. Jeder Abruf von Erinnerung ist das Ergebnis einer neuen Verknüpfungsleistung, wobei Abruf und Gestalt der Erinnerung stark von emotionalen Faktoren abhängen.

1.3.2 Das kulturelle Gedächtnis – kollektives Gedächtnis in vermittelter Tradition


Für Aleida und Jan Assmann lässt sich das kulturelle Gedächtnis dadurch vom kommunikativen Gedächtnis abgrenzen, dass es über den direkten intergenerativen Kontakt hinausgeht und auch weit zurückreichende Ereignisse und Strukturen enthält.30 Diese umfassen kulturelle Traditionen, symbolischen Formen, literarische Texte und Mythen, Szenen und Konstellationen. Grundlegend zeichne sich das kulturelle Gedächtnis durch folgende Eigenschaften aus: Identitätskonkretheit, Rekonstruktivität, Geformtheit, Organisiertheit, Verbindlichkeit und Reflexivität. Identitätskonkret sei das kulturelle Gedächtnis insofern, als es „den Wissensvorrat einer Gruppe [bewahrt], die aus ihm ein Bewußtsein ihrer Einheit und Eigenart bezieht.“31 Geschichte sei darin, vergleichbar mit jeder Erinnerung, niemals als Ganze abgespeichert. Das kulturelle Gedächtnis verfahre „rekonstruktiv, d. h. es bezieht sein Wissen immer auf eine aktuell gegenwärtige Situation“32 und speichere geformte Erinnerungen in Texten, Riten und Bildern. Um diese Erinnerungen für die Gruppe dauerhaft zu erhalten, werde sie institutionell abgesichert, etwa durch Zeremonien; ihre Träger werden spezialisiert. Je organisierter und geformter, desto verbindlicher werde das normative Selbstbild – und mit ihm die Gewichtung und Wertung einzelner Wissensbestände. Dieses Selbstbild könne die Gruppe dann erneut reflektieren, hinterfragen und erneuern. Reflexiv sei das kulturelle Gedächtnis jedoch schon, indem die Praxis der Gruppe durch Riten, Sprichwörter und ähnliches gedeutet werde, und indem es selbst-reflexiv Bezug nehme auf eigene Inhalte durch Auslegung, Kritik, Umdeutung oder Überbietung.33

Erll umreißt die Inhalte des kollektiven Gedächtnisses bei Assmann als „an Medien gebundene, hochgradig gestiftete und zeremonialisierte, in der kulturellen Zeitdimension des Festes vergegenwärtigte kollektive Erinnerungen […]. Tradiert wird ein fester Bestand an Inhalten und Sinnstiftungen, zu deren Kontinuierung und Interpretation Spezialisten ausgebildet werden.“34

Sie hat damit im Blick, was Aleida und Jan Assmann auch das „konnektive“ Gedächtnis nennen: eine die Gemeinschaft prägende, geformte Erinnerung, die Menschen aneinanderbindet, Orientierung stiftet und damit zum Fundament der Gemeinschaft wird.35 Dieses Bindungsgedächtnis ist „bestimmt von gemeinschaftsstiftenden Erinnerungsformeln und -figuren und von den Erinnerungsbedürfnissen einer klar definierten Wir-Identität“, es „instrumentalisiert“36 die Vergangenheit. Indem der Einzelne teilhat an solchen Erinnerungsformen, die die jeweilige Gemeinschaft fundieren, integriert er sich in die Gemeinschaft.37 Das kulturelle Gedächtnis vermag demnach Menschen über viele Generationen hinweg zu festen Gemeinschaften zusammen zu fügen, so die Quintessenz Assmanns. Voraussetzung bleibt eine fundierende Erinnerung, deren Weitergabe durch Riten und Kunst medial abgesichert ist, und die regelmäßig aktualisiert wird.

Um ein solches Gedächtnis zu unterstützen und die Sozialität darüber abzusichern, bedienen sich Gemeinschaften konkreter Ankerpunkte, der „lieux de mémoire, Gedächtnisorte, an die sich die Erinnerung ganzer Nations- und Religionsgemeinschaften heftet“.38 Dazu zählt Assmann „Denkmäler, Riten, Feste, Bräuche, kurz: der gesamte Umfang dessen, was Halbwachs Tradition nannte und der mémoire vécue gegenüberstellte“, und dieser Bestand „läßt sich als ein System von Gedächtnisorten verstehen, ein System von Merkzeichen, das es dem Einzelnen, der in dieser Tradition lebt, ermöglicht dazuzugehören, d. h. sich als Mitglied einer Gesellschaft im Sinne einer Lern-, Erinnerungs- und Kulturgemeinschaft zu verwirklichen.“39

Der Begriff des kulturellen Gedächtnisses wurzelt somit auch in der Vorstellung von kulturellen Zeugnissen: Sie sind Speicherorte des kulturellen Gedächtnisses. Aus ihnen lassen sich Rückschlüsse auf die Gesellschaft ziehen, nicht nur auf die, der sie entspringen, sondern auch auf die, die sie verwendet.40 Jene Ereignisse der Vergangenheit, die eine Gemeinschaft und ihr Selbstverständnis in besonderer Weise prägen, ihr Fundament bilden oder unterstützen, werden für die Mitglieder und die Außenstehenden dadurch erkennbar, dass die Erinnerung daran in besonderer Weise gestaltet und inszeniert wird. Dabei schaffen sich Menschen konkrete, lebensweltliche Orte, die mit Erinnerungen verknüpft werden. Deren Gestaltung und Nutzung kann Aufschluss darüber geben, inwieweit individuelle Erinnerungen mit Geschichten aus dem kulturellen Gedächtnis verknüpft werden können. Ihre Gestaltung kann damit kulturelle Erinnerungsbestände abzusichern versuchen. Ob dies gelingt, lässt sich am Gebrauch dieser Orte ablesen. Auch dieser zeigt, dass nicht die Zeitdifferenz zwischen Ereignis und Jetzt darüber entscheidet, ob die Erinnerung an ein Ereignis im kommunikativen oder kulturellen Gedächtnis verhandelt wird, sondern die „(bewusste oder unbewusste) Entscheidung darüber, in welchem Modus erinnert wird – im Modus der ‚fundierenden’ oder der ‚biographischen Erinnerung’“.41 Erinnerungsorte können Anlass dazu geben, beides zu verbinden und kulturelle Erinnerung auf diese Weise zu aktualisieren und am Leben zu erhalten.

1.3.3 Kollektives Gedächtnis im Wandel – Transformationsprozesse im kommunikativen und kulturellen Gedächtnis

Die konzeptionelle Trennung zwischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis darf nicht dazu verleiten, die Systeme als unabhängig voneinander zu denken. Vielmehr scheinen sich beide Facetten des kollektiven Gedächtnisses gegenseitig zu beeinflussen, was die Forschungen im Bereich der oral history42 sowie die Erkenntnisse Harald Welzers im Bereich der Familiengeschichten belegen. Welzer zeigt, wie die eigene Familienerzählung in eine im kulturellen Gedächtnis verankerte Erinnerung angeschlossen wird, um Familienangehörige über soziale Rahmungen und familiäre Muster von der Umgebung abzugrenzen oder darin einzubetten. Dies geschieht insbesondere dann, wenn authentische Informationen fehlen. Im Kontext der NS-Vergangenheit werden Eltern und Großeltern mit Verweis auf die eigene Familienkultur und die Wiederholung von Episoden, die diese Eigenschaften belegen, von einer Mitschuld an den NS-Verbrechen indirekt freigesprochen. Umgekehrt können nur bruchstückhaft erzählte Begebenheiten mit überindividuellen Erzählungen und gesellschaftlichem Wissen ergänzt werden, um ein schlüssiges Narrativ zu entwickeln. Jedoch bleibt diese Übernahme von Wissensbeständen selektiv, das kommunikative Gedächtnis scheint das kulturelle Gedächtnis zu dominieren, indem – wider besseres Wissen – auch wenig plausible Darstellungen widerspruchsfrei weitererzählt und zunehmend mithilfe von kulturellen Wissensbeständen geglättet werden.43

Die Zusammenschau kulturwissenschaftlicher und psychologischer Theorieanteile macht damit deutlich, dass Elemente des kulturellen Gedächtnisses auf allen Ebenen von Erinnerungen wirksam werden, Einfluss nehmen und selbst beeinflusst werden. Jede Form von Erinnerung, auch die kulturell abgesicherten Varianten, ist damit fragil und fluide. Denn auch kulturelle Erinnerung wird, externer Speicherung zum Trotz, von individueller und gruppenbezogener Erinnerung überlagert, selektiv eingesetzt und damit verändert. Zwar nehmen diese Veränderungsprozesse mit zunehmender emotionaler Distanz, die aus der zeitlichen logisch folgt, ab.44 Aber je vielfältiger die Gruppenbezüge, je kürzer die gemeinsame Geschichte von Gruppen innerhalb einer Gesellschaft, je vielfältiger die vorliegenden Zeugnisse einer Zeit, desto geringer der gemeinsam wirksame Schatz von Erinnerungen, die ein geteiltes kulturelles Gedächtnis formen.

Ist das Konzept des kulturellen Gedächtnisses damit ungeeignet für den zeitgenössischen Kontext der westlichen Welt, der geprägt ist von offenen, pluralen Gesellschaftsformen? Ist er ungeeignet für die zeitgenössische Weltbetrachtung? Aleida Assmann hat in ihren jüngeren Werken Antworten auf diese Anfrage gesucht. Überzeugen kann zunächst ihre Klärung hinsichtlich sich vergrößernder Wissensbestände, die durch Medialisierung und Verschriftlichung bewahrt werden, ohne Bedeutung für die aktuelle Gegenwart zu entfalten. So schlägt Assmann vor, innerhalb des kulturellen Gedächtnisses zwischen einem Speicher- und einem Funktionsgedächtnis zu differenzieren. Dem Bereich des nicht aktivierten Archivs, dem Speichergedächtnis, stellt sie das Funktionsgedächtnis gegenüber, das jene Auswahl der Wissensbestände enthält, die für die Gruppe aktuell relevant und bedeutsam ist. Seine wesentlichen Merkmale seien „Gruppenbezug, Selektivität, Wertbindung und Zukunftsorientierung.“45 Das Zusammenspiel zwischen beiden Gedächtnisformen trage dabei wesentlich zur Flexibilität und Veränderbarkeit des kulturellen Gedächtnisses bei, wenn die jeweiligen Grenzen wechselseitig überschritten werden, Traditionen als unwirksam im Bereich des Speichergedächtnisses aufgehen oder Elemente aus dem Archiv ins Bewusstsein geholt werden, die im aktuellen Kontext neue Bedeutung erhalten.46

Eine solche Flexibilität stellen Kritiker der Konzeption des kulturellen Gedächtnisses grundlegend in Frage, weil sie als Modell für homogene Gesellschaften entwickelt wurde, Vielfalt und Veränderung ausschließe und damit eine postmoderne Gesellschaft nicht adäquat erfassen könne, in deren dynamischer und vielfältiger Gestalt eine verbindliche kulturelle Erinnerung nicht festgeschrieben werden könne.47

Moderne Gesellschaften, so stellt besonders Daniel Levy in seiner Kritik heraus, zeichneten sich dagegen aus durch die „Fragmentierung der Erinnerung durch private, individuelle, wissenschaftliche, ethnische und religiöse Akteure […]. Der Staat spielt selbstverständlich weiterhin eine wichtige Rolle im Hinblick darauf, wie wir Geschichte erinnern, aber er teilt dieses Feld der Sinnbildung nun mit einer Menge anderer Spieler.“48 Levy spricht daher von „einem ungleichzeitigen und fragmentierten kulturellen Gedächtnis“.49 Da kein verbindliches Narrativ für die Gesamtgesellschaft mehr formulierbar sei, beschränke sich das Konzept der Erinnerungskultur auf den Bereich einer Erinnerungsgeschichte als wissenschaftliche Analyse der Erinnerungskultur verschiedener Epochen, geografischer und sozialer Räume. Während „Geschichte“ einen konkreten zeitlichen Abschnitt bezeichne, stelle Erinnerung „die Koexistenz der gleichzeitig zeitüberschreitenden Vielzahl von Vergangenheiten dar.“50 Auch andere Kulturwissenschaftler teilen Levys Befunde hinsichtlich der Fragmentierung von Gesellschaft, ohne jedoch das Paradigma kultureller Erinnerung aufzugeben. Kulturelles Gedächtnis, so formuliert etwa Jeffrey Olick aus sozialwissenschaftlicher Perspektive, sei nicht in der Einzahl, sondern in der Vielzahl zu denken. Seine Veränderlichkeit und Anpassungsfähigkeit zwischen den Bedürfnissen der Gegenwart und dem Erbe der Vergangenheit zeige, dass das kollektive Gedächtnis als veränderliche Größe gedacht werden müsse: „Memory is a process and not a thing, a faculty rather than a place. Collective memory is something – or rather, many things – that we do, not something – or many things – that we have. “51

Was leisten diese Erweiterungen der Gedächtnistheorie? Gerade die Untersuchungen des kollektiven Gedächtnisses im Sinne einer auf die Vielfältigkeit bedachten Analyse sensibilisiert für die Veränderlichkeit und Wandlung kollektiven Erinnerns und beleuchtet Rituale auf ihre Entstehung und gegenwärtige Funktion hin – was auch eine kritische Betrachtung von Tradition ermöglicht. So lässt sich auf der Basis kulturwissenschaftlicher Modelle für jede Form von kollektiver Erinnerung fragen, was von wem wie erinnert wird; es geht um die Frage nach Inhalten, Modi und Subjekten der jeweiligen Erinnerung. Dieser Zugang legt die Funktionsweisen von Erinnerung offen, ermöglicht und vertieft eine kritische und kriterienbasierte Auseinandersetzung mit kollektiver Erinnerung.

Kulturwissenschaft, die auf Grundlage der Theorie eines kulturellen Gedächtnisses forscht und analysiert, leugnet nicht per se die Vielfalt kultureller Gedächtnisse in modernen Gesellschaften Wissenschaftliche Analyse liefert vielmehr Erklärungsmodelle für bestehende Problemfelder, beispielsweise im Kontext von Opferkonkurrenzen und diskriminierter Erinnerung.52

2. Zur narrativen Gestalt des Erinnerns – warum es mehr bedarf als Orte

Psychologische Gedächtnisforschung, Kulturwissenschaft und Sozialpsychologie treffen sich damit in einem Verständnis von Erinnerung und Gedächtnis als Prozessen zwischen Individuum und Gesellschaft. Das Individuum greift in der Konstruktion von Erinnerung auf sozial vermittelte Inhalte, Muster und Strukturen zurück. Gleichzeitig setzt soziale Prägung des individuellen Gedächtnisses geteilte Erinnerungen voraus. Geteilte Erinnerungen sind nur denkbar, wenn der einzelne Mensch sich in seinen Erinnerungen nicht nur auf die eigenen, unmittelbaren Erfahrungen bezieht, sondern Erfahrungen und Geschichten der Gemeinschaft in seine Erinnerung integriert. Die Gruppe ihrerseits transportiert über geteilte Erinnerungen Emotionen, Erfahrungen und Wertvorstellungen und sichert diese in so genannten Gedächtnisorten – einem Terminus, der die unterschiedliche Gestalt von Erinnerung in Kulturen beschreiben soll. Und diese bleiben umgekehrt nur so lange wirksam, wie sich Einzelne auf dieses kulturelle Erbe beziehen.

Astrid Erll hat in ihrem kultursemiotischen Modell vorgeschlagen, die Gestalt von Erinnerung in ihrer materialen, sozialen und mentalen Form differenzierter zu entschlüsseln. Innerhalb der materialen Dimension findet sich Erinnerung damit in allen Formen von Medien und Genres, die sich auf Vergangenes beziehen. Aus dem Bereich der Kultur ist hier an Literatur und Denkmäler zu denken, aus dem Alltagsbereich an Dokumente und Fotos, aus den Bereichen Wissenschaft und Forschung an die Geschichtsschreibung. In den Bereich der sozialen Dimension fallen alle Arten sozialer Praktiken der Erinnerung wie Gedenktage, Feierstunden und rituelle Handlungen, die sowohl von Individuen als auch von Institutionen getragen sein können. Weniger greifbar, aber umso wirksamer erscheint die mentale Dimension, die nur sprachlich und ästhetisch vermittelt zugänglich ist und „all jene kulturspezifischen Schemata und kollektiven Codes [enthält], die gemeinsames Erinnern durch symbolische Vermittlung ermöglichen und prägen sowie alle Auswirkungen der Erinnerungstätigkeit auf die in einer Gemeinschaft vorherrschenden mentalen Dispositionen – etwa auf Vorstellungen und Ideen, Denkmuster und Empfindungsweisen, Selbst- und Fremdbilder oder Werte und Normen.“53

Dieser Ansatz führt die Fülle von Zeugnissen vor Augen, die auf ihre konkreten Erinnerungen hin untersucht werden können. In solchen Zeugnissen begegnet uns die Vergangenheit, sie sind aber aus sich heraus wenig aussagekräftig. Denn erst über die Inhalte, die sie transportieren, und die Ideen, die Menschen mit ihnen verknüpfen, kommen die Erinnerungsgehalte zum Vorschein. Der Ort, das Zeugnis allein geben noch keinen Aufschluss über die darin verborgenen Werturteile.

Schon Halbwachs hat hervorgehoben, dass keine Erinnerung jenseits von Sprache existiert: „Wir kleiden unsere Erinnerungen in Worte, bevor wir sie beschwören; es ist die Sprache und das ganze System der damit verbundenen gesellschaftlichen Konventionen, die uns jederzeit die Rekonstruktion unserer Vergangenheit gestattet.“54 Indem sich der Mensch erinnert, operiert er „nicht mit Vergangenheit, sondern mit Geschichten, in deren Konstruktion die Vorstellungen eingehen, die wir uns von der Beschaffenheit von Vergangenheit machen. Diese Vorstellungen, nicht die Vergangenheit, stellen die Referenzebene unserer Erinnerungen dar.“55

Was können wir diesen materialen Zeugnissen und sozialen Praktiken also konkret entnehmen? Es sind die Erzählungen, in denen die Erinnerung Gestalt annimmt. Insofern können narratologische Konzepte Auskunft darüber geben, wie Erinnerungen geformt werden.

2.1 Erzählen schafft zeitliche Ordnung und Sinnstiftung – Erkenntnisse aus Philosophie und narrativer Psychologie

„Der gemeinsame Charakter der menschlichen Erfahrung, der im Akt des Erzählens in allen seinen Formen offenbart, artikuliert, verdeutlicht wird, ist ihr zeitlicher Charakter. Alles, was man erzählt, geschieht in der Zeit, kostet Zeit, spielt sich in der Zeit ab; und das, was sich in der Zeit abspielt, kann erzählt werden. Vielleicht wird sogar jeder zeitliche Prozeß als solcher nur erkannt, insofern er auf die eine oder andere Weise erzählbar ist.“56

Zeit ist eine Erfahrungskategorie des Menschen, die ihm erst durch das Erzählen bewusst wird – so ließe sich mit dem Sprachphilosophen Paul Ricoeur das Verhältnis von Zeit und Erzählen bestimmen. Ricoeur selbst hat herausgearbeitet, dass dies umso mehr für alle Erzählungen gilt, die sich auf Vergangenes, auf Erinnerung beziehen. Erzählte Erinnerungen schaffen eine Beziehung zu Zeit, weil sie zeitliche Ordnung konstruieren und ein Bewusstsein von Zeit vermitteln. Sie schaffen dem Individuum und der Gesellschaft einen zeitlichen Orientierungsrahmen zwischen Vergangenem, Gegenwart und Zukunft. Und darum hält auch der Kulturwissenschaftler Müller- Funk fest: „Ganz offensichtlich sind Gedächtnis und Erinnerung keine Phänomene des Raumes, sondern solche der Zeit.“57

Dass Erzählungen über eine rein zeitliche Einordnung von Vergangenem und Gegenwärtigem sinnbildend wirken, hat auch die narrative Psychologie herausgearbeitet.58 Eine zentrale Ursache für die sinnbildende Funktion des Erzählens liegt in der einfachen logischen Operation begründet, einen Anfang, eine Mitte und ein Ende erzählerisch zu setzen, so der Sozialpsychologe Jürgen Straub. Indem Erzählungen von Ereignissen handeln, bringen sie Vergangenes zur Sprache. Historische Ereignisse gebe es in unendlicher Fülle, bereits mit der Auswahl werde das konkrete Ereignis damit als etwas Bestimmtes qualifiziert. Erzählung füge das zentrale Ereignis nicht nur in eine temporale Ordnung ein, sondern versehe es mit kausalen und intentionalen Bezügen und erkläre es, durch Anfang und Ende gerahmt, zu einer Hauptsache.59 „Vergangenheiten und/oder Zukünfte aus der Perspektive der Gegenwart distanzieren und relationieren sowie in eine erzählte Geschichte integrieren“60: das schaffe „narrativen Sinn“61. In dieser Bedeutungszuschreibung liegt die Hauptfunktion der narrativen Strukturierung.62

Dieser von Straub auch als „Einsicht“ bezeichnete Sinn plausibilisiert im Nachhinein das Geschehene und macht es für zukünftige Handlungen relevant. Diese Einsicht ist es, die Erinnerung wirksam macht. Erinnerung wirkt in der Gestalt von Erzählungen, sie ist narrativ strukturiert.63 Der narrative Sinn zeigt an, inwiefern die Erinnerung Relevanz besitzt, sowohl für den Erzählenden als auch für die Zuhörer:innen, für das Individuum wie die Gemeinschaft, an die sich diese Erzählung richtet. Für Ricoeur folgt daraus gar eine ethisch-moralische Dimension des Erzählens, weil über exemplarische Geschichten allgemeingültige Aussagen vor Augen geführt werden.64 Diese Beobachtung ist zumindest eine Erklärung für die weit verbreitete Vorstellung, dass man aus der Geschichte etwas lernen kann und sich daher die Beschäftigung mit Vergangenem lohnt. Diese „Moral aus der Geschicht“ unterliegt – wie jeder narrative Sinn und jede Form von Erinnerung – einem stetigen Wandel. Narrativer Sinn wird „verhandelbar, kritisiert, verändert, umgedeutet. Um ihn wird gestritten und gekämpft.“65

2.2 Erzählen schafft Kultur und Gemeinschaft – Erkenntnisse aus der Narratologie

Straub führt den Gedanken eines narrativen Sinns dahingehend weiter, dass er dem Menschen mit der Fähigkeit, solche Sinnstiftung vornehmen zu können, eine narrative Kompetenz zuschreibt. Diese bestehe in der Konstruktion und Erzählfähigkeit, die nicht willkürlich gesetzt sei, sondern sozialen Mustern folge.66 Wenn soziale Muster unterscheidbar sind, so kann über diese Muster auch eine Differenzierung von Kulturen vorgenommen werden. Entsprechend plädiert Wolfgang Müller-Funk für einen narrativen Zugang innerhalb der Kulturwissenschaft, indem er das Erzählen als Grundfigur für Kulturen auffasst.67 Dabei gehören Erzählen und Erinnern für ihn eng zusammen, insofern die Aktualisierung von Erinnerung immer mit dem Prozess des Erzählens verknüpft sei.68

An diesen Gedanken knüpft Ansgar Nünning an, wenn er von der Narrativität von Kulturen spricht. Aus dieser Perspektive wird das Erzählen in seiner Funktion für die „Konstruktion kultureller Phänomene (z. B. kollektives Gedächtnis, kulturelle Identität, Rituale)“69 untersucht. So spricht Müller-Funk davon, dass das literarische Erzählen nur einen „Sonderfall einer generellen Praxis dar[stelle], die sich ubiquitär in allen Bereichen des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens wiederfindet.“70 Während der stärker theoretisch gefasste Begriff des Narrativs auf Erzählmuster abzielt,71 bezeichnet Müller-Funk das Erzählen als umfassende Kulturtechnik, die als Möglichkeit im Menschen angelegt ist und in den verschiedenen Kulturen unterschiedlich ausgeformt wird: „Kulturen sind immer auch als Erzählgemeinschaften anzusehen, die sich gerade im Hinblick auf ihr narratives Reservoir unterscheiden.“72

Den Begriff der Erzählgemeinschaften entwickelt Müller-Funk daraus, dass Kulturen unterschiedliche Weisen der Zeitkonstruktion und Identitätsbildung aufweisen, und von daher auch Geschichte verschieden konstruieren. Diesen Erzählgemeinschaften lassen sich – neben eigenen Narrativen73 – sowohl typische Medien als auch kulturtypische Erzählformen zuordnen, eine je eigene „narrative Technologie“74. In der Bandbreite von mythischen bis hin zu postmodernen Erzählgemeinschaften möchte Müller- Funk auf diese Weise zeigen, dass „Erzählen“ zur menschlichen Kultur genuin dazugehört.75 Der Terminus „Erzählgemeinschaft“ eignet sich damit für alle gesellschaftlichen Formationen, die durch gemeinsame Geschichten verbunden sind.

Dabei geht Nünning mit Daniel Fulda davon aus, dass analog zur sinnstiftenden Funktion des Erzählens beim Individuum das Erzählen in Gruppen die Funktion einer Kohärenz- und Sinnbildung erfüllt. Die Erzählung ermögliche den Adressat:innen eine Teilhabe an den Erfahrungen und Wertungen der Erzählinstanz, dieser wiederum den narrativen Anschluss an eine soziale oder ideologische Gruppe.76 Damit seien Erzählgemeinschaften immer auch Deutungs- und Wertegemeinschaften, in denen über die Erzählungen Rahmen und Standards für normiertes Verhalten festgelegt werde.77 Die Parallelen zu den vorgestellten erinnerungskulturellen Forschungen liegen auf der Hand.

In dem Anliegen, einen solchen Zugang stärker zu systematisieren, schlägt Nünning vor, im Sinne der Narrativität von Kulturen die Erzählformen einer Kultur zu ermitteln und zu analysieren, um im zweiten Schritt im Sinne einer Kulturalität von Narrativen aus diesen Ergebnissen Rückschlüsse auf die jeweilige Kultur ziehen zu können. 78 An dieser Stelle lässt sich die „Rhetorik des kollektiven Gedächtnisses“ von Astrid Erll als eine Systematisierung der Aussageweisen lesen, in denen Erinnerungen vorliegen:79 Erfahrungsgesättigte, monumentale, historisierende, antagonistische und reflexive Erzählungen tragen in ihrer Gesamtheit und in ihren vielfältigen Wechselwirkungen zum kollektiven Gedächtnis bei. Auf diese Weise entsteht zugleich das, was sich als Geschichte oder Kultur einer Gemeinschaft, als Geschichtsbewusstsein des Individuums bezeichnen lässt. Beide werden „durch Geschichten gebildet, in die mehrere, im Prinzip beliebig viele Menschen verstrickt sind, von Geschichten, die viele angehen und betreffen, berühren oder bewegen.“80 Wenn Erinnerungsorte jene Ankerpunkte darstellen, die Menschen sich zur Sicherung der eigenen Geschichte bilden, sind Erzählungen die eigentliche Gestalt, in der geteilte Erinnerungen weitergegeben werden.

3. Erzählen schafft Geschichtsbewusstsein – religionsdidaktische Konsequenzen

Wenn Erinnerungen in der Gestalt von Erzählungen weitergegeben werden, wenn diese Erzählungen neben einer zeitlichen Orientierung Deutungen und Werte transportieren, wenn neben dem Inhalt bereits die Erzählform zur Vermittlerin zwischen Individuum und Gemeinschaft wird, dann besteht die Sozialisation des Individuums auch darin, dieses Erzählen und Erinnern zu erlernen. Dieser Zusammenhang wurde von der Geschichtsdidaktik früh mit dem Begriff des Geschichtsbewusstseins aufgegriffen.

Der Begriff des Geschichtsbewusstseins stammt von Karl Jeismann, der mit seinem Konzept eine neue Form der Geschichtsdidaktik begründete. Geschichtsbewusstsein bezeichnet die Orientierung des Subjekts in der Zeit, die als Ziel des Geschichtsunterrichts gilt. Diese Orientierung verstehen Geschichtsdidaktiker von jeher auch als soziale und kulturelle Teilhabe. Hans-Jürgen Pandel etwa wendet den Begriff strikt auf das Individuum an. Er differenziert verschiedene Dimensionen einer mentalen Struktur aus, nämlich das Bewusstsein für die Zeit, die Wirklichkeit, den Wandel, die Identität, für politische und ökonomisch-soziale Zusammenhänge und die Moral.

Jörn Rüsen vertritt – zusammen mit Jürgen Straub – eine stärker narrative Perspektive und versteht unter Geschichtsbewusstsein die Sinnbildung über historisches Erzählen. Durch seine Unterscheidung von Funktionstypen historischen Erzählens macht Rüsen deutlich, dass verschiedene Erzählmuster historischen Erzählens mit je eigenen Erinnerungsleistungen, Kontinuitätsvorstellungen, Identitätskonstruktionen und Sinnbildungsmustern ineinandergreifen und gemeinsam zur historischen Selbstverortung beitragen.81 Johannes Meyer-Hamme spricht vor diesem Hintergrund von „historischen Identitäten mit doppelt narrativer Struktur“82. Historisches Bewusstsein liege zunächst darin, erzählend historischen Sinn erzeugen zu können. Zugleich bediene sich das Subjekt dabei vorgefertigter, narrativer Sinnbildungen und verbinde diese zu einer neuen Geschichte, die historische Orientierung geben soll.83

Bereits Jörn Rüsen forderte auf Grundlage seiner Überlegungen eine kritische Auseinandersetzung mit Geschichtskultur als der öffentlichen Präsenz von geschichtlicher Sinnbildung. Dass Erinnerung und Geschichtsbewusstsein im Sinne einer historischkritischen Bildung nicht gleichzusetzen sind, sondern Erinnerungskultur manipulativ eingesetzt werden kann, zeigen nicht nur Geschichtsbilder autoritärer Gesellschaften. 84 Dieses Missbrauchspotenzial lässt sich jedoch nur kompetent entschlüsseln, wenn Erinnerungsmechanismen erkannt und reflektiert werden. Im Kontext von Geschichte auf vernunftgeleitete Einsicht zu setzen, schließt Erinnerungserzählungen nicht aus, sondern erfordert die Auseinandersetzung damit – was auch eine affektive Auseinandersetzung zur Folge haben kann und darf. Ein solcher Zugang wird insbesondere den Anforderungen an die Didaktik innerhalb einer pluralen Migrationsgesellschaft gerecht, weil es eben die vielen Geschichten sind, „die nebeneinander existieren und bei der Gestaltung historischen Lernens zueinander in ein Verhältnis gesetzt werden müssen.“85 Ein Ziel historischen Lernens mit Erzählungen wäre es, im Unterricht zu einer geteilten Erinnerung „(‚shared memories‘) im Sinne des beiderseitigen Anteilhabens“86 beizutragen und diese den „geteilte[n] Erinnerungen (‚divided memories‘) im Sinne von separaten Erinnerungen“87 entgegenzusetzen.

Geschichtsbewusstsein beinhaltet in einer Zusammenschau dieser Ansätze, sich der eigenen Zeitgebundenheit bewusst zu werden, diese zu reflektieren, die eigenen Wertvorstellungen zu relativieren und entsprechend handeln zu können. Narrative Kompetenz auf Seiten der Schüler:innen besteht sowohl in der Entschlüsselung, als auch in der Anwendung von Erzählungen. Diese wird von Barricelli und weiteren Vertretern daher als zentrales Ziel historischen Lernens anvisiert.88 Dabei sind Geschichtsbewusstsein und narrative Kompetenz immer auf den Kontext von Erzählgemeinschaften bezogen und können nicht losgelöst von konkreten Gemeinschaften gedacht werden, weshalb auch innerhalb des Religionsunterrichts ein stärkeres Bewusstsein für diese Zusammenhänge vonnöten ist.

Im Religionsunterricht geht es vielfach um Gemeinschaften und ihre Erzählungen – im Kontext des biblischen, ethischen, interreligiösen, geschichtlichen Unterrichts, auch im Kontext von Gottesdienstpraxis und Sakramenten. Bezogen auf die Subjekte steht mit jeder Erzählung die Frage im Raum, wer die Erinnerung in der Gemeinschaft verantwortet und rezipiert, wer für Festschreibung, Auslegung, Ausführung verantwortlich ist, wie verbindlich diese Festschreibung ist, wer erzählen darf und wer nicht. Bezüglich der Inhalte ließe sich fragen, woran sich die Gemeinschaft erinnert, welche Geschichten sie von sich erzählt – und welche nicht. Und schließlich bietet das Feld der unterschiedlichen Medien Raum, um über verschiedene Formen der Erinnerung ins Gespräch zu kommen, darüber, welche Medien verwendet werden, um die Geschichten zu tradieren, welche Erzählmuster sich erkennen lassen und in welchen Kontexten erzählt wird. 89

In theologischen Diskursen bisher kaum rezipiert, vermag ein solcher Zugang offenzulegen, welche Erinnerungskonkurrenzen innerhalb kirchlicher Gemeinschaften heute wirksam sind, wer jeweils Autorität für sich in Anspruch nimmt, welche Erzählungen Platz haben, und welche Erzählungen verloren gegangen sind. Die Stärke des Ansatzes, Erinnerung und Erzählung im Kontext von Gemeinschaften zu betrachten, liegt in der kulturwissenschaftlichen „Vogelperspektive“, die Strukturen offenlegt und zum Vergleich mit der eigenen Gegenwart anregt: So wie Erinnerung, Geschichte und Erzählung sich mit der Gesellschaft und ihren Akteuren verändern, so auch das Bewusstsein darüber und die Fähigkeit, sich in diesen zu bewegen. Inhalte, Subjekte und Medien in den Blick zu nehmen, stellt den eigenen Erfahrungsraum gleichberechtigt neben andere und fördert im vergleichenden Zugriff Reflexion und Selbstrelativierung. Ein erinnerungskultureller Zugang zur Geschichte, in dem Erinnern in der Gestalt des Erzählens bewusst gemacht wird, verstellt damit nicht den Blick auf Geschichte, vielmehr gilt: Erinnern in der Gestalt des Erzählens schafft Geschichtsbewusstsein.



Bemerkungen

1 | Johann Baptist Metz, Glaube in Geschichte und Gesellschaft. Studien zu einer praktischen Fundamentaltheologie, Mainz 1977, 189f.
2 | Astrid Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung, Stuttgart/Weimar 2017, 6. Hervorhebungen im Original. Vgl. Aleida Assmann, Einführung in die Kulturwissenschaft. Grundbegriffe, Themen, Fragestellungen, Berlin 22008, 184f.
3 | Jan Assmann, Religion und kulturelles Gedächtnis. Zehn Studien, München 2000, 20. Vgl. auch Sabine Moller, Das kollektive Gedächtnis, in: Christian Gudehus/Ariane Eichenberg/Harald Welzer (Hg.), Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, 85–92, 86.
4 | Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), 12. Vgl. zur Theorie von Halbwachs ebd., 12f.; Moller, Gedächtnis (wie Anm. 3), 85–88; Assmann, Einführung (wie Anm. 2), 191.
5 | Maurice Halbwachs, Kollektive Psychologie. Ausgewählte Schriften (Edition discours 18), Konstanz 2001, 36.
6 | Vgl. Maurice Halbwachs, Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, Frankfurt a. M. 1985 [1925], 22f.; Halbwachs, Kollektive Psychologie (wie Anm. 5), 36f.
7 | Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), 95. Vgl. Jeffrey K. Olick, The Politics of Regret. On Collective Memory and Historical Responsibility, New York 2007, 23–27; Moller, Gedächtnis (wie Anm. 3), 90. 8 | Vgl. Olick, Politics (wie Anm. 3), 23f.
9 | Vgl. ebd., 27–30; Ders., The Sins of the Fathers. Germany, Memory, Method, Chicago/London 2016, 43; Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), 95.
10 | Vgl. ebd., 14. Ähnlich nimmt bereits Halbwachs verschiedene Gruppenzugehörigkeiten und -dynamiken in den Blick, vgl. Halbwachs, Kollektive Psychologie (wie Anm. 5), 37.
11 | Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), 13.
12 | Harald Welzer, Über Engramme und Exogramme. Die Sozialität des autobiographischen Gedächtnisses, in: Ders./ Hans J. Markowitsch (Hg.), Warum Menschen sich erinnern können. Fortschritte in der interdisziplinären Gedächtnisforschung, Stuttgart 2006, 111–128, 127.
13 | Harald Welzer, Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung, München 2002, 20.
14 | Welzer, Gedächtnis (wie Anm. 13), 20.
15 | Vgl. Carlos Kölbl/Jürgen Straub, Zur Psychologie des Erinnerns, in: Gudehus/Eichenberg/Welzer (Hg.), Gedächtnis (wie Anm. 4), 22–44, 32f.
16 | Vgl. Welzer, Gedächtnis (wie Anm. 13), 23–29; Kölbl/ Straub, Psychologie (wie Anm. 15), 27–31.
17 | Vgl. Welzer, Gedächtnis (wie Anm. 13), 104f.
18 | Ebd., 208–218.
19 | Ebd., 30.
20 | Ebd., 171–174. Dass solche Erzählmuster wirksam sind, gilt in der narrativen Psychologie als erwiesen; vgl. Kölbl/ Straub, Psychologie des Erinnerns (wie Anm. 15), 40.
21 | Hirnphysiologisch ist dies mit größeren Spuren zu erklären, die emotionale besetzte Ereignisse hinterlassen. Vgl. Welzer, Gedächtnis (wie Anm. 13), 20.
22 | Ebd., 42. Zur Rolle der Emotionen vgl. ebd., 111–137.
23 | Vgl. Jan Assmann, Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: Ders./Tonio Hölscher, Kultur und Gedächtnis, Frankfurt a. M. 1988, 13.
24 | Ebd., 10.
25 | Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992, 10f.
26 | Ebd., 53; Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), 109.
27 | Assmann, Religion (wie Anm. 3), 13.
28 | Vergleiche dazu die Arbeiten von Welzer, Gedächtnis (wie Anm. 13), und Gerald Echterhoff, Das Außen des Erinnerns. Medien des Gedächtnisses aus psychologischer Perspektive, in: Astrid Erll/Ansgar Nünning (Hg.), Medien des kollektiven Gedächtnisses. Konstruktivität – Historizität – Kulturspezifität (Media and Cultural Memory/Medien und kulturelle Erinnerung 1), Berlin 2004, 61–82.
29 | Welzer, Gedächtnis (wie Anm. 13), 44.
30 | Vgl. Assmann, Religion (wie Anm. 3), 37. Erll spricht hier in Anlehnung an Aleida und Jan Assmann auch vom „alltagsweltlichen Nahhorizont“ des kommunikativen Gedächtnisses im Unterschied zum „kulturellen Fernhorizont“ des kulturellen Gedächtnisses. Vgl. Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), 112.
31 | Assmann, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 23), 13.
32 | Ebd.
33 | Zu den Eigenschaften vgl. ebd., 12–15.
34 | Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), 109.
35 | Vgl. Jan Assmann, Re-Membering – Konnektives Gedächtnis und jüdisches Erinnerungsgebot, in: Michael Wermke (Hg.), Die Gegenwart des Holocaust. ‚Erinnerung‘ als religionspädagogische Herausforderung (Grundlegungen. Veröffentlichungen des Religionspädagogischen Instituts Loccum 1), Münster 1997, 23–46, 24.
36 | Assmann, Religion (wie Anm. 3), 38 (beide Zitate).
37 | Ebd., 15.
38 | Assmann, Religion (wie Anm. 3), 19.
39 | Ders., 19f. Mit dem Begriff der Gedächtnisorte greift Jan Assmann auf die Studien von Pierre Nora zurück. Vgl. auch Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999, 132, dort weitere Literaturhinweise. Zur Darstellung der Theorie der Erinnerungsorte in ihrer materiellen, funktionalen und symbolischen Dimension vgl. Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), 21; Patrick Schmidt, Zwischen Medien und Topoi: Die Lieux de mémoire und die Medialität des kulturellen Gedächtnisses, in: Erll/Nünning (Hg.), Medien (wie Anm. 28), 25–43; Christopf Markschies/Hubert Wolf, „Tut dies zu meinem Gedächtnis“. Das Christentum als Erinnerungsreligion, in: Dies. (Hg.), Erinnerungsorte des Christentums, München 2010, 11–15.
40 | Vgl. Assmann, Das kulturelle Gedächtnis (wie Anm. 25), 16.
41 | Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), 111. Als Beispiele lassen sich etwa „9/11“ für die amerikanische, der Mauerfall für die deutsche Gesellschaft anführen, die als Ereignisse der jüngeren Vergangenheit dennoch in den jeweiligen Kulturen bereits zum festen Bestandteil von inszenierter Erinnerung gehören.
42 | Vgl. Moller, Gedächtnis (wie Anm. 3), 88; Kornelia Kończal, Geschichtswissenschaft, in: Gudehus/Eichenberg/Welzer (Hg.), Gedächtnis (wie Anm. 3), 249–260; dort weitere Literaturhinweise.
43 | Vgl. Harald Welzer/Sabine Moller/Karoline Tschuggnall, „Opa war kein Nazi“. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, Frankfurt a. M. 2002, 195–210; Moller, Gedächtnis (wie Anm. 3), 89; dort Hinweise auf weiterführende Literatur.
44 | Vgl. Welzer/Moller/Tschuggnall, Opa (wie Anm. 43), 204.
45 | Assmann: Erinnerungsräume (wie Anm. 39), 134.
46 | Zum Speicher- und Funktionsgedächtnis vgl. ebd., 134; Aleida Assmann, Zur Mediengeschichte des kulturellen Gedächtnisses, in: Erll/Nünning (Hg.), Medien (wie Anm. 28), 45–60.
47 | Vgl. dazu die Arbeiten von François Jullien, Es gibt keine kulturelle Identität. Wir verteidigen die Ressourcen einer Kultur, Berlin 2017; Lutz Niethhammer, Kollektive Identität. Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur. Unter Mitarbeit von Axel Doßmann, Hamburg 2000; Daniel Levy, Das kulturelle Gedächtnis, in: Gudehus/Eichenberg/ Welzer (Hg.), Gedächtnis (wie Anm. 3), 93–101.
48 | Levy, Das kulturelle Gedächtnis (wie Anm. 47), 99.
49 | Ebd., 99.
50 | Ebd., 99. Solche Wandlungen des kollektiven Gedächtnisses hat auch Elena Espito im Rahmen ihrer Gedächtnisgeschichte untersucht. Vgl. Elena Espito, Soziales Vergessen. Formen und Medien des Gedächtnisses der Gesellschaft. Frankfurt a. M. 2002.
51 | Olick, Sins of the Fathers (wie Anm. 9), 45. Vgl. ebd., 44–46. Ähnlich argumentiert Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), 100.
52 | Vgl. Aleida Assmann, Die Wiedererfindung der Nation. Warum wir sie fürchten und warum wir sie brauchen, München 2020, 99. Als Beispiel für Opferkonkurrenzen vgl. die Schilderung um das Holocaust-Gedenken bei den Vereinten Nationen im November 2005. Kamils Fazit mit Blick auf dessen Entstehung: „Arabischer Antisemitismus ist im heutigen Westeuropa eine Folge diskriminierter Erinnerungen.“ Omar Kamil, Verknüpfte Gedächtnisse: Zum Antisemitismus bei arabischen Migranten und Migrantinnen in Deutschland, in: Volkhard Knigge/Sybille Steinbacher (Hg.), Geschichte von gestern für Deutsche von morgen? Die Erfahrung des Nationalsozialismus und historischpolitisches Lernen in der (Post-)Migrationsgesellschaft (Dachauer Symposien für Zeitgeschichte 17), Göttingen 2019, 148. Vgl. ebd., 144–150. Zu Erinnerungskonkurrenzen vgl. Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), 115, 128; Birgit Neumann, Erinnerung – Identität – Narration. Gattungstypologie und Funktionen kanadischer „Fictions of Memory“ (Media ad Cultural Memory/ Medien und kulturelle Erinnerung 3), Berlin 2005, 110–114; Aleida Assmann, Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention, München 2013.
53 | Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), 99f. Sie bedient sich dabei auch der Ergebnisse des Gießener DFG-Sonderforschungsbereiches
434 und greift auf kultursemiotische Konzepte von Roland Posner zurück. Vgl. ebd., 98–101.
54 | Halbwachs, Gedächtnis (wie Anm. 6), 368f.
55 | Siegfried Schmidt, Gedächtnis – Erzählen – Identität, in: Aleida Assmann/Dietrich Harth (Hg.), Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, Frankfurt a. M. 1991, 388. Vgl. Jürgen Straub, Temporale Orientierung und narrative Kompetenz, in: Jörn Rüsen (Hg.), Geschichtsbewusstsein. Psychologische Grundlagen, Entwicklungskonzepte, empirische Befunde, Köln 2001, 23.
56 | Paul Ricoeur, Erzählung, Metapher und Interpretationstheorie, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 84 (1987), 233.
57 | Wolfgang Müller-Funk, Die Kultur und ihre Narrative. Eine Einführung, Wien 2008, 263.
58 | Vgl. dazu den Sammelband von Jürgen Straub (Hg.), Erzählung, Identität und historisches Bewußtsein. Die psychologische Konstruktion von Zeit und Geschichte. Erinnerung, Geschichte, Identität I, Frankfurt a. M. 1998.
59 | Vgl. Straub, Temporale Orientierung (wie Anm. 55), 27f., unter Bezugnahme auf Paul Ricoeur, Zufall und Vernunft in der Geschichte, Tübingen 1986.
60 | Straub, Temporale Orientierung (wie Anm. 55), 26.
61 | Ebd., 26; vgl. Ders., Geschichten erzählen, Geschichte bilden. Grundzüge einer narrativen Psychologie historischer Sinnbildung, in: ders. (Hg.), Erzählung (wie Anm. 58), 143–150; Ricoeur, Zufall (wie Anm. 59), 14; Donald E. Polkinghorne, Narrative Psychologie und Geschichtsbewußtsein. Beziehungen und Perspektiven, in: Straub (Hg.), Erzählung (wie Anm. 58), 18.
62 | Vgl. Polkinghorne, Narrative Psychologie (wie Anm. 61), 31f.
63 | Vgl. Müller-Funk, Kultur (wie Anm. 57), 94–97.
64 | Vgl. Straub, Temporale Orientierung (wie Anm. 56), 30–32.
65 | Jörn Rüsen, Kultur macht Sinn. Orientierung zwischen Gestern und Morgen, Köln 2006, 212. Rüsen verweist hier auf die Rolle von Spezialisten im Deutungsstreit. Vgl. ebd., 212f.
66 | Vgl. Straub, Temporale Orientierung (wie Anm. 55), 33–35.
67 | Vgl. Müller-Funk, Kultur (wie Anm. 57), 12–15. Ähnlich auch Ansgar Nünning, Wie Erzählungen Kulturen erzeugen, in: Alexandra Strohmaier (Hg.), Kultur – Wissen – Narration. Perspektiven transdisziplinärer Erzählforschung für die Kulturwissenschaften, Bielefeld 2013, 18.
68 | Vgl. Müller-Funk, Kultur (wie Anm. 57), 252.
69 | Nünning, Erzählungen (wie Anm. 67), 27.
70 | Müller-Funk, Kultur (wie Anm. 57), 14. Vgl. auch Nünning, Erzählungen (wie Anm. 67), 27.
71 | Zur begrifflichen Unterscheidung vgl. auch Müller-Funk, Kultur (wie Anm. 57), 15.
72 | Müller-Funk, Kultur (wie Anm. 57), 14. Vgl. ebd., 96.
73 | Vgl. Nünning, Erzählungen (wie Anm. 67), 27.
74 | Müller-Funk, Kultur (wie Anm. 57), 103.
75 | Vgl. Müller-Funk, Kultur (wie Anm. 57), 100–103.
76 | Vgl. Daniel Fulda, Sinn und Erzählung – Narrative Kohärenzansprüche der Kulturen, in: Friedrich Jaeger/Burkhard Liebsch (Hg.), Handbuch der Kulturwissenschaften. Band 1: Grundlagen und Schlüsselbegriffe. Stuttgart/Weimar 2004, 260; Nünning, Erzählungen (wie Anm. 67), 42f.
77 | Vgl. Nünning, Erzählungen (wie Anm. 67), 43–46.
78 | Vgl. Nünning, Erzählungen (wie Anm. 67), 29; ders., Kulturen als Erinnerungs- und Erzählgemeinschaften: Grundzüge und Perspektiven einer kulturgeschichtlichen Erzählforschung, in: Peter Hanenberg (Hg.), Rahmenwechsel
Kulturwissenschaften, Würzburg 2010, 249.
79 | Zu den verschiedenen Modi, die Erll ausmacht, vgl. ausführlich Erll, Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 2), 192. Erll entwirft ihre Rhetorik mit Blick auf Literatur. Vor dem Hintergrund der Annahmen Nünnings denke ich, dass die von Erll benannten Modi einen Anhaltspunkt für die Gesamtheit der Erzählungen innerhalb einer Kultur geben können. Vgl. Nünning, Kulturen (wie Anm. 78), 247, 251.
80 | Straub, Geschichten erzählen (wie Anm. 61), 85. Straub verwendet dieses Zitat im Kontext der Historie bezogen auf das Kollektiv.
81 | Zu den verschiedenen Ansätzen vgl. einführend Ulrich Baumgärtner, Wegweiser Geschichtsdidaktik, Historisches Lernen in der Schule, Paderborn 2015, 31–37; Bernd Schönemann, Geschichtsbewusstsein – Theorie, in: Michele Barricelli/Martin Lücke (Hg.), Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. Band 1. Schwalbach i. Ts. 2012, 102–110; Paolo Trevisan, Das Geschichtsbewusstsein als zentrale Kategorie historischen Denkens, in: Gottfried Adam/Rudolf Englert/Rainer Lachmann/Norbert Mette (Hg.), Didaktik der Kirchengeschichte. Ein Lesebuch, Münster 2008, 90–
96. Dort jeweils Hinweise auf weiterführende Literatur.
82 | Johannes Meyer-Hamme, Historische Identitäten in einer kulturell heterogenen Gesellschaft, in: Barricelli/Lücke (Hg.), Handbuch Praxis (wie Anm. 81), 94.
83 | Vgl. Meyer-Hamme: Historische Identitäten (wie Anm. 82), 94.
84 | Kritik an einer vermeintlichen Gleichsetzung mit Bezug auf die Gedenkstättenarbeit übt Volkhard Knigge, Geschichte von gestern für Deutsche von morgen? Die Erfahrung des Nationalsozialismus und historisch-politisches Lernen in der (Post-)Migrationsgesellschaft. Ein Problemaufriss, in: Ders./Sybille Steinbacher (Hg.), Geschichte von gestern für Deutsche von morgen? Die Erfahrung des Nationalsozialismus und historisch-politisches Lernen in der (Post-)Migrationsgesellschaft (Dachauer Symposien für Zeitgeschichte 17), Göttingen 2019, 25–28. Er setzt eine Konzeption dagegen, die eine rationale Auseinandersetzung in den Vordergrund rückt. Vgl. ebd., 28–30.
85 | Viola B. Georgi, Historisch-politische Bildung im Zeichen von Globalisierung, geschichtskulturellem Wandel und migrationsgesellschaftlicher Diversität. Ihre Bedeutung für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, in: Knigge/Steinbacher (Hg.), Geschichte von gestern (wie Anm. 84), 64. Georgi unterscheidet mindestens sieben Dimensionen, nämlich „die öffentlichen [und] privaten Narrative der Dominanzgesellschaft […], die öffentlichen [und] privaten Narrative der Minderheit(en) […], die Narrative der Migration […], die geteilten Narrative von Dominanzgesellschaft und Minderheiten [sowie] die Migrationserzählungen als Verflechtungsgeschichte(n) transnationaler Geschichte(n).“ (ebd., 64f.); vgl. Gottfried Kössler, Wessen Perspektive? Welche Erzählung? Die ‚Entdeckung‘ des Anderen im historisch-politischen Lernen seit 1990, in: Knigge/Steinbacher (Hg.), Geschichte von gestern (wie Anm. 84), 44–47; Meyer-Hamme: Historische Identitäten (wie Anm. 82), 95.
86 | Jan Motte/Rainer Ohliger, Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft. Einführende Betrachtungen, in: Dies. (Hg.), Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft. Migration zwischen historischer
Rekonstruktion und Erinnerungspolitik. Essen 2004, 13.
87 | Motte/Ohliger: Geschichte (wie Anm. 86), 13. Vgl. ebd., 12f.; Jan Motte/ Rainer Ohliger, Einwanderung – Geschichte – Anerkennung. Auf den Spuren geteilter Erinnerung, in: Dies. (Hg.), Geschichte und Gedächtnis (wie Anm. 86), 17–49.
88 | Vgl. zum Begriff der narrativen Kompetenz Michele Barricelli, Narrativität, in: Ders./M. Lücke (Hg.), Handbuch Praxis (wie Anm. 81), 268–272.
89 | Eine ausführlichere Darstellung möglicher Anwendungsbereiche im Religionsunterricht findet sich in der Dissertationsschrift Hildegard Hager, Kirche als Erinnerungsgemeinschaft. Erinnerung als Dimension religiösen ernens für die Verankerung kirchenhistorischer Themen im Religionsunterricht der Sekundarstufe (Online-Veröffentlichung, UB Tübingen).

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