archivierte Ausgabe 4/2014 |
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Bernd Jochen Hilberath |
Die prinzipielle Unauflöslichkeit der Ehe und die prinzipielle Bedeutung einer evangeliumsgemäßen Barmherzigkeit |
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1. Die Kirche hat sich zu allen Zeiten an die Gebote und Weisungen Jesu zu halten. Zu jeder Zeit hat sie sich zu fragen, ob ihre Lehre und ihre Moralverkündigung, ihr Leben und dessen institutionelle Gestaltung dem Willen Jesu Christi entsprechen. Dazu genügt es nicht, die zuletzt als gültig formulierte Lehre einfach zu wiederholen – es geht nämlich nicht um die formale Identität der kirchlichen Lehre, sondern um die materiale Übereinstimmung mit dem neutestamentlichen Zeugnis, an dem sich die Lehre der Kirche zu jeder Zeit auszurichten hat.
2. Der Vorwurf, die Kirche passe sich zu sehr dem Zeitgeist an, trifft dann nicht, wenn die Kirche in der Nachfolge Jesu Christi ihre Verpflichtung gegenüber Menschen, die in ihrer Beziehung verlassen, gescheitert und/oder schuldig gewordenen sind, erfüllt: „Der uns aufgefordert hat, ‚siebenundsiebzigmal‘ zu vergeben (Mt 18, 22), ist uns ein Vorbild: Er vergibt siebenundsiebzigmal. Ein ums andere Mal lädt er uns wieder auf seine Schultern. Niemand kann uns die Würde nehmen, die diese unendliche und unerschütterliche Liebe uns verleiht. Mit einem Feingefühl, das uns niemals enttäuscht und uns immer die Freude zurückgeben kann, erlaubt er uns, das Haupt zu erheben und neu zu beginnen“ (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium des Heiligen Vaters Papst Franziskus über die Evangelisierung in der Welt von heute v. 24. November 2013, Nr. 3). Dabei muss die Kirche ihre prinzipiellen Überzeugungen nicht aufgeben. Vielmehr besteht ihre pastorale Aufgabe darin, die Liebe Gottes als das oberste Prinzip mit der Überzeugung von der Unauflöslichkeit der Ehe ebenso zusammenzubringen wie mit der seelsorgerlichen Verpflichtung für die Menschen in ihren konkreten Lebenssituationen.
3. In dieser Perspektive kann die Kirche – und das heißt: können alle Gläubigen – auch heute ohne Berührungsangst fragen, welcher Umgang mit den ge schie denen und wiederverheirateten Mitchris ten dem Evangelium Jesu Christi entspricht und was dies für die pastorale Praxis bedeutet. Dabei folgt sie – der Vorgabe Jesu entsprechend – dem Prinzip der Unauflöslichkeit der Ehe. Gleichzeitig hat sie aber auch zu fragen, ob und inwieweit dem Umgang Jesu mit den Menschen, die schuldig geworden sind, eine prinzipielle, also grundsätzlich zu berücksichtigende Bedeutung zukommt. Das ist ihre Verpflichtung und ist nicht mit „billiger Gnade“ zu verwechseln.
4. Jesus vertritt gegenüber den gesetzlichen Regelungen seiner Zeit den ursprünglichen Schöpferwillen Gottes (vgl. Mk 10, 2–12). In diesem sieht er das Verbot der Scheidung begründet. Deshalb wendet er sich auch gegen die gesetzlichen Regelungen, die, „weil ihr so hartherzig seid“ (Mk 10, 5), getroffen wurden.
5. Betrachtet man das gesamte Verhalten Jesu in Wort und Tat, erscheint diese Position seiner Ethik zu entsprechen, die er in der Bergpredigt vertritt: Wichtiger und prinzipieller als gesetzliche Regelungen ist die innere Haltung (vgl. Mt 5,28 innerhalb der Bergpredigt). Zu dieser will Jesus den Menschen verhelfen – sowohl denen, die die Gesetze hochhalten und andere danach beurteilen, ob sie das Gleiche tun, als auch die, die durch das Gesetz verurteilt werden. Wer bereit ist, sich von neuem am Schöpferwillen Gottes zu orientieren, erfährt sein Erbarmen und die Vergebung der Sünden.
6. Offenbar (vgl. die sog. Unzuchtsklausel bei Matthäus: Mt 5,32 und 19,9) sahen sich die ersten christlichen Gemeinschaften nicht im Widerspruch zum prinzipiellen Gebot Jesu, wenn sie in bestimmten Fällen (porneia = Unzucht) die Auflösung einer Ehe für möglich hielten. „Der Apostel Paulus und die ‚matthäische‘ Gemeinde hielten sich für bevollmächtigt, gegenüber der absoluten Forderung im Worte Jesu in gewissen Fällen die Möglichkeit der Ehescheidung einzuräumen“ (Karl Lehmann, Unauflöslichkeit der Ehe und Pastoral für wiederverheiratete Geschiedene, in: Gegenwart des Glaubens, Mainz 1974, 281). Aus heutiger Sicht ist auch zu beachten, dass das prinzipielle Eintreten für die Unauflöslichkeit der Ehe nicht in eine Schieflage gerät, wenn um des Glaubens willen (vgl. die kirchenrechtlichen Spezialitäten des Privilegium Petrinum und des Privilegium Paulinum) eine Ehe geschieden werden kann, eine aus anderen Gründen nicht mehr zumutbare Weiterführung der ehelichen Gemeinschaft aber nicht zur Scheidung führen und auf eine mögliche Wiederheirat hin geöffnet werden darf. Die Kirche sollte nicht den Eindruck erwecken, als sei ihr die Kontinuität ihrer Lehre und die Integrität des Eigenen wichtiger als die Treue in der Balance zwischen den beiden prinzipiellen Vorgaben Jesu, der Unauflöslichkeit der Ehe wie der grundsätzlichen Versöhnungsbereitschaft Gottes gegenüber den Sündern. Mit Blick auf den neutestamentlichen Befund und die Überlieferung der Kirche stellte Karl Lehmann fest: „Dieses mutige Aushalten der Spannung zwischen der keinen Augenblick angezweifelten Grundforderung Jesu und der pastoralen Sorge für Gescheiterte in umgrenzten Notfällen … hat exemplarische und wegweisende Bedeutung auch für die heutige Kirche“ (ebd. 284).
7. In dieser Perspektive ist auch zu bedenken, wie sich Unauflöslichkeit der Ehe und Ehesakrament zueinander verhalten. Der biblische Anhaltspunkt (Eph 5) bezieht sich zunächst nur auf „das große Geheimnis“ der Schriftstelle aus Genesis (2, 24): In der Verbindung von Frau und Mann zu einem Fleisch sieht Paulus bzw. seine Schule das Geheimnis des Verhältnisses Christi zu seiner Kirche vorgebildet. Mehr meint mysterion (lat. sacramentum) an dieser Stelle zunächst nicht.
Dennoch ist es berechtigt, auch in der Verbindung von Mann und Frau ein Abbild der Treue Gottes zu seinem Volk und der Liebe Christi zu seiner Kirche zu erblicken. Dann ist das Sakrament der Ehe das Abbild, die göttliche Liebe und Treue sind das Urbild. Wenn das Abbild zerbricht, wird das Urbild nicht zerstört. Schon im Alten Bund nimmt Jahweh sein Bundesangebot nicht zurück, wenn sein Volk dem Bund untreu wird. Das geschieht immer wieder, während Gott zu diesem Bund steht – und zwar durchgehend, er muss ihn nicht „immer wieder anbieten“, wie es im IV. Hochgebet heißt. Durch die Untreue des Volkes werden offenbar weder die Bundestreue Gottes noch die Bundesfähigkeit Israels prinzipiell in Frage gestellt. Gott nimmt seine Zusage nicht zurück; dies ist mit der Unauflöslichkeit des Ehebandes (von Seiten Gottes/Christi) gemeint.
8. In der pastoralen Sorge um die nach Scheidung Wiederverheirateten geht es also nicht darum zu fragen, ob das Prinzip der Unauflöslichkeit durch eine Barmherzigkeit des „wir drücken mal beide Augen zu“ aufgeweicht werden kann. Vielmehr geht es darum, das Prinzip der Unauflöslichkeit mit dem prinzipiellen Verhalten Jesu (gipfelnd in: „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, die Sünder zur Umkehr zu rufen, nicht die Gerechten“: Lk 5,31f.) in Übereinstimmung zu bringen. Wie Hans Reinhard Seeliger in dieser Zeitschrift (vgl. Vom Konzil erlaubt: Nicaea und die Wiederverheiratung Geschiedener, in: ThQ 192, 2012, 305–311) ausgeführt hat, kann sich Papst Franziskus nicht nur auf die von ihm angeführten patristischen Quellen (Ambrosius, Cyrill v. Alexandrien) berufen, sondern sogar auf das Konzil von Nizäa, wenn er betont: „Die Eucharistie ist, obwohl sie die Fülle des sakramentalen Lebens darstellt, nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen“ (Evangelii gaudium, Nr. 47).
9. Kirche sollte sich davor hüten, nur deshalb diesen Überlegungen nicht nachzugehen, weil sie fürchtet, den Anschein zu erwecken, dass sie gewissen gesellschaftlichen Erwartungen entgegenkomme und sich dem Zeitgeist anpasse. Stattdessen und gegenüber solchen Vorwürfen sollte sie offensiv vertreten, dass sie an beiden Prinzipien festhalten kann und dies nicht als Widerspruch versteht, sondern als Orientierung am Evangelium. Damit verbunden ist freilich das Eingeständnis, dass die Spannung zwischen den beiden Prinzipien nicht aufgelöst werden kann, sondern auszuhalten ist. Unschuldig kommt niemand, auch keine kirchliche Lehre aus diesem Dilemma heraus, aber „lieber“ eine „verbeulte“ Kirche, „die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist“ (Evangelii gaudium, Nr. 49), als eine „Kirche der Reinen“, welche den Menschen die Freude am Evangelium vergällt.
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