I. Einführung
Die einen halten den interreligiösen Dialog nur für den Ausdruck des Enthusiasmus einiger naiver Menschen. Die anderen halten ihn für den Verrat an der eigenen Geschichte, ein Zeichen von Schwäche, eine Kapitulationserklärung. Andere wieder vermuten hinter dem Dialog eine listige Strategie, auferlegt von epochaler Verschwörung: eine machiavellistische Strategie zwischen Opportunismus und Relativismus. Es gibt aber auch jene, die davon überzeugt sind, dass der Dialog der einzige und wahre Weg des Friedens ist, eine Art Rückkehr zu den Anfängen unterbrochener Wege. Der interreligiöse Dialog, den heute so viele fördern, scheint Alles und Nichts (das Gegenteil von Allem) zu sein.
Übrigens gehört zum Dialog von Natur aus eine Art Kontroverse, die ihn einerseits wie ein freundschaftliches Gespräch gestalten lässt, ihn andererseits aber auch in Polemik verwandeln kann, nämlich dann, wenn er gezwungen wird, sich auf die unvermeidlich strittigen Punkte zu konzentrieren. Es ist wie im Bereich der Semantik: Wenn man beim Übersetzen für ein griechisches Wort das entsprechende lateinische sucht. Oder: Der Dialog riskiert manchmal, seine Merkmale zu ändern und von der Auseinandersetzung zum Wortgefecht zu werden, und zwar wenn er praktiziert und ausgeübt wird wie eine Projektion des eigenen Ich in einen anderen begrifflichen Horizont hinein, in eine andere Lehrtradition, in eine andere kulturelle Empfindlichkeit, in ein anderes Werteuniversum. Oft geschieht dies mit sich selbst, nicht mit dem Gesprächspartner. Andererseits schließt das Gespräch mit jemandem immer die Möglichkeit der Bekehrung/des Überzeugtwerdens ein: entweder die eigene Bekehrung oder die des anderen. Oder aber – und das würde der beste der Fälle sein, wenn es gelänge, der Gefahr des reinen Synkretismus zu entgehen – des eigenen und des Dialogpartners. Und sich bekehren, konvertieren heißt, zuallererst etwas Anderes, Neues, zu erkennen und zu akzeptieren.
II. Hans Urs von Balthasar und Paul VI.
Dieser kontroverse Charakter verleiht dem interreligiösen Dialog die Radikalität des Ereignisses. Und er verbietet ihm die Selbstverteidigung der Banalität. Deshalb hat vor einiger Zeit, Paul VI. in Nr. 60 seiner ersten Enzyklika »Ecclesiam suam« 1964 mit Realismus, auch mit Optimismus, von einem einfachen und schlichten möglichen Dialog mit den Gläubigen anderer Religionen gesprochen – auf der Ebene der gemeinsamen Ideale, der religiösen Freiheit, der menschlichen Bruderschaft, einer gehobener Kultur, des gesellschaftlichen Nutzens und ziviler Ordnung. Für Paul VI. ist ein solcher Dialog sowohl Vorrecht als auch Pflicht der Kirche, aber er ist auch von den Antworten abhängig, die er bisweilen erhält. Aus diesem Grund ist er für Kirche und Christentum unvermeidbar und die Kirche kann ihm nicht entrinnen, wenn sie ihre Berufung in der Geschichte erfüllen will.
Unter diesem Blickwinkel hat der Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar im ersten Band seiner »Theodramatik« festgestellt, dass sich das Christentum prinzipiell auf dem Grund der Tugend, der Treue und des wahren und individuellen Dialoges weiterentwickelt. Dies entspringt dem pneumatischen Dialog des Vaters mit dem Sohne (Gal. 4,6), welcher eingebettet ist in die allen Menschen gemeinsame Geschichte, deren Höhepunkt der Bund desselben Gottes der Liebe ist. In seiner Sicht ist das heilige Land des Gehorsams dort, wo die Menschen gerufen sind, ihn zu hören, sich zu verbeugen und ihre Sandalen abzulegen. Sie, die Geschichte, kann aber gleichzeitig auch ein Ort für Antworten, ein Ort des Verstehens und der Positionierung oder sogar auch der Ablehnung sein. Paul VI. hat vom »colloquium salutis« gesprochen, um seine Überlegungen über den Wert des interreligiösen Dialoges einzuleiten. Danach besteht jetzt schon eine bruchstückhafte historische Möglichkeit für das demütige Erinnern an die ewige Agape. Dann können auch die Neigung und die Offenheit des Christentums zum Dialog mit den anderen Religionen nicht von den Rhythmen und den Bewegungen des agapischen Dialoges – und damit in einem bestimmten Sinne der Agape innerhalb und außerhalb der Dreieinigkeit – ausgenommen sein. So gerät der Dialog, den die Menschen untereinander üben, in ein neues Licht: Balthasar zufolge wird sich sein Resultat in sich fortsetzenden, konvergierenden und abweichenden Beziehungen ausdrücken. Verschiedene Gesichtspunkte werden dabei betroffen sein; man wird lernen, seinen eigenen Standpunkt zu vertreten und den des Anderen stehen zu lassen. Dinge, die im Dunkeln lagen, werden ins Licht gerückt werden. Lehrer werden von ihren Schülern und Väter von ihren Söhnen lernen. Das, was jemand auf diese Weise erfahren wird, »ist nicht mehr nur Ware, es ist mit der wissenden Person verschmolzen! Man teilt sich mit!« (32)
Der Dialog ist deshalb durch die Einstellung gekennzeichnet, dem Anderen gegenüber offen zu sein für Neues und ihn darin wertzuschätzen, selbst in Momenten des absoluten Schweigens. In diesem Gemisch aus Beziehungen, Kontakten und Austauschformen verbleibt jedoch die Gefahr eines Abbruchs, und zwar dort, wie Balthasar erklärt, wo kein weiteres Wort mehr frommt, kein Einsatz weiterhilft, wo die Brücken möglichen Sich-Verstehens einstürzen, der Hass, der Fanatismus, die Eifersucht, die letzte Entfremdung unübersteigbare Mauern aufrichten, wo man nur noch schweigen kann, weil jede weitere Rede die Ferne noch erhöhen würde oder als Funke in ein Pulverfass fiele (ebd.).
Hier nimmt Balthasar den Realismus von Paul VI. auf und diskutiert diesen. Er erklärt darin, auf welche Art und Weise ein Dialog nutzlos ist, verweist aber darauf, dass er dennoch für alle Möglichkeiten von seinem Anfang bis zu seinem Schluss offen sein muss.
Auf der einen Seite muss ein Dialog für seinen Ausgang stets offen sein. Ein Ereignis, das beiden unbekannt bleibt, das nur der Zuschauer erfährt, kann den Schlüssel zu ihrem Verhältnis bieten. Ein im Schweigen gereifter Beschluss, eine stumme Tat schafft den Endpunkt, enthüllt den unsichtbaren Anfang, entwurzelt scheinbar alle angewachsenen Bäume und pflanzt sie von Neuem in einen anderen Bereich ein.
Auf der anderen Seite ist das Dialogische nicht so umgriffen, dass es einfach überholt werden könnte. Es überwächst sich auf neuen Ebenen, was Balthasar gelegentlich das ›innere Rätsel der Subjektivität‹ nennt. Es ist eine Frage der unausrottbaren Wichtigkeit der gläubigen Identität des Christen, die der Schweizer Theologe als ein Leben in sich selbst beschreibt, um in der Lage zu sein, aus sich selbst herauszugehen, als ein inneres Wachsen des Charakters und inneren Reichtums und als Stärkung einer Ursprünglichkeit und einer tieferen Einsamkeit, die ein Geschenk für die Kommunikation sein kann.
Wenn jemand über Dialog sprechen möchte, dann muss er über Identitäten sprechen, die in sich gläubig und kohärent sind und sich niemals selbst angreifen können. In dieser Perspektive des interreligiösen Dialogs ist er durch Auseinandersetzung verschiedener Größen gekennzeichnet, die ihre spezifischen Eigenheiten besitzen und auf eine eigene Art und Weise in direkter Beziehung zueinander stehen. Die Konsequenz in diesem Falle wird nicht auf eine weit entfernte Polemik reduziert, sondern schafft die Möglichkeit, ein objektives Profil jener Eigenheiten zu sehen, die sich in diesem Dialog befinden.
Die Begegnung und die Integration, die zur Lösung des Problems des religiösen Fundamentalismus im Allgemeinen als die dringlichsten Einstellungen vorgeschlagen werden, können wirklich nur geschehen, wenn die Charakteristika der jeweiligen gläubigen Identitäten, die einander gegenüberstehen, deutlich bekannt sind und erkannt werden. Wissen vom anderen bedeutet, diesen in seinem Anderssein zu respektieren, was auch eine Hilfe zur Reifung des Bewusstseins der eigenen Identität darstellt. Dies kann aber nur erreicht werden, indem man überhaupt von sich selbst weiß. Gekannt zu sein und den Anderen zu kennen sind beim interreligiösen Dialog zwei Kräfte, die sich begleiten und gegenseitig beeinflussen. So kann mit Umsicht und Intelligenz den alten Abneigungen und den neuen intoleranten Hindernissen zwischen Kulturen und religiösen Traditionen entgegengewirkt werden.
III. Der Dialog in Europa heute. Nutzen und Notwendigkeit
Heute begegnen und stehen sich in Europa Christentum und Islam wieder gegenüber. Die Frage, die es zu beantworten gilt, ist folgende: Ist ein Dialog zwischen dem Okzident und dem Islam möglich, der zu einem Zusammenleben in unseren Ländern mit christlicher Wurzel führt, oder ist der Zusammenprall, auch auf geopolitischer Ebene unvermeidlich? Drei Antworten werden dazu gegeben:
1. Vermeidung eines Zusammenstoßes der Kulturen
Eine erste Position ist die, dass der Zusammenstoß nicht vermieden werden kann. Die Argumentationen sind verschieden. Der Politologe und Theologe Gianni Baget Bozzo hat in seinem Buch »Di fronte al Islam: il grande conflitto« (Angesichts des Islams: der große Konflikt) erklärt, dass der Islam eine postchristliche Religion ist und dass er sich selbst als Überwindung des Christentums darstellt, wie sich das Christentum als Überwindung des Judentums sieht. Es ist ein Argument, das ein gewisses Gewicht hat.
Der Sizilianer Giorgio la Pira, viele Jahre Bürgermeister von Florenz, hat immer darauf hingewiesen, dass die monotheistischen Religionen auf Abraham zurückgehen. Das heißt aber, dass das Christentum sich als der neue Bund Gottes mit den Menschen sieht und den alten Bund Abrahams erfüllt. Der Islam sieht sich als Überwindung von Judentum und Christentum. Die letzte und endgültige Offenbarung Gottes ist jene an Mohammed. Im Islam sind Abraham und Jesus große Propheten, die die Offenbarung an Mohammed vorbereiteten. Die Berufung auf Abraham scheint also konfliktbeladen zu sein. Baget Bozzo ist daher von der Schwierigkeit einer Begegnung zwischen Christentum und Islam nur aus theologischen Gründen überzeugt. [...]