archivierte Ausgabe 3/2022 |
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Leseprobe 3 |
DOI: 10.14623/thq.2022.3.348–366 |
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Valesca Baert-Knoll / Stefan Metz / Laura Mössle |
Vom Underdog zum Influencer |
Gegenwärtige und historische Annäherungen an die bildliche Inszenierung abweichender Körpernormen und ihre Bedeutung für Identitätskonstruktionen |
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Zusammenfassung Identitätskonstruktionsprozesse können sich anhand körperbezogener Bildpraktiken vollziehen. Der vorliegende Beitrag unternimmt eine vergleichende Analyse von Märtyrer:innen-Darstellungen im frühen Christentum und gegenwärtigen Bildpraktiken marginalisierter Körper in den sozialen Medien. Abweichende Körperinszenierungen zeigen sich als Austragungsfläche identitärer Selbstvergewisserung, die in interdisziplinärer Perspektive ähnliche Kommunikationsmodi aufweisen. Der Beitrag zeigt, wie über kreative Ausgestaltungen der Identitätskonstruktionen Besonderheiten und Singularitäten innerhalb einer Gruppierung als ein doing group-singularity ausgestaltet werden können.
Abstract Identity construction processes can take place through body-related image practices. This article undertakes a comparative analysis between depictions of martyrs in early Christianity and contemporary image practices of marginalized bodies in social media. Deviant presentations of the body are shown to be a stage for identitary selfassurance, within an interdisciplinary perspective similar modes of communication are exhibited. The article shows how particularities and singularities within a group can be shaped as a doing group-singularity through creative arrangements of identity constructions.
Schlüsselwörter/Keywords Identitätskonstruktion; Körperbilder; Körpernormen; Body Positivity; Ermächtigung; Bildpraktiken; Social Media; Influencer; Ikonografie; Märtyrer; Case Romane del Celio; Ss. Giovanni e Paolo; Fresken; viertes Jahrhundert Identity construction; body images; body norms; body positivity; empowerment; image practices; social media; influencer; iconography; martyrs; Case Romane del Celio; Ss. Giovanni e Paolo, fresco; fourth century
1. Vom Underdog …
Die digitale Bildkultur hat die Sicht auf Körper grundlegend verändert. Smartphones mit Kameras sind im Alltag omnipräsent und laden stets dazu ein, den eigenen oder den Körper anderer auf Fotos oder Videos mit Hilfe von Filtern und Weichzeichnern auf Social Media zu inszenieren.
Längst erhalten nicht mehr nur heteronom geprägte Darstellungen ‚makelloser‘ und normschöner Körper Anerkennung und Resonanz. Das Sichtbarwerden abweichender, diverserer Körperbilder durch die Fat-Acceptance-Bewegung, Body-Positivity- Bewegung oder Phänomene wie Inkluencer (aus Inklusiv und Influencer) lassen ein ermächtigendes Paradigma auf Social Media entstehen: Es geht um Authentizität, Vielfalt und Originalität marginalisierter Körper.
Dass der Zusammenhang einer devianten Körperdarstellung mit der Selbstvergewisserung und Konstruktion von Identitäten kein von den sozialen Medien hervorgebrachtes Phänomen ist, zeigt ein Blick in die Geschichte. An Darstellungen aus der Zeit der Alten Kirche lässt sich exemplarisch zeigen, wie bereits die frühen Christ:innen mit der inszenatorischen Semantik ihrer Zeit kreativ umgingen. Im Kontext der Darstellung von Martyrien etwa wird der unterlegene Körper durch die konkrete Inszenierung zum eigentlichen Triumphator. Durch ihren Charakter als Vor-Bild ergibt sich hieraus die Evokation einer aus dieser Bildsprache resultierenden (Gruppen-)Identität. Der vorliegende Artikel nimmt zunächst eine Untersuchung historischer Darstellungen zur Zeit der Alten Kirche vor (2). Hier lassen sich an Bildern orientierte Identitätskonstruktionen ermitteln, die neben einer Selbstvergewisserung auf die Entstehung eines anerkannten Außenbildes und soziale Resonanz zielen. Im Anschluss sollen analog dazu Mechanismen in den Bildwelten der sozialen Medien untersucht werden, um aufzuzeigen, wie jenseits normschöner Vorstellungen der digitale Raum für individuelle Identitätsbildungsprozesse genutzt werden kann (3). Abschließend werden aus der diachronen Betrachtung Impulse für religiöse Bildungsprozesse formuliert, die Anregungen auf Fragen von individueller und Gruppen-Identitäten liefern (4).
2. Inszenierungen des Martyriums
Wenn ein:e Influencer:in eine Person ist, die überwiegend über visuelle Formate kommuniziert und deren Botschaften einen transformierenden impact auf die Zielgruppe haben sollen, kann dieser Terminus – selbstverständlich mit anachronistisch bedingten Abstrichen – auch für spätantike Christ:innen und das von ihnen verantwortete Bildprogramm verwendet werden. Im folgenden Abschnitt wird exemplarisch die identitätskonstituierende Macht von Martyriumsdarstellungen untersucht und aufgezeigt, welche Rolle dabei der Darstellung von Märtyrer:innen im (nach im vierten Jahrhundert gängigen ikonografischen Kategorien) unterlegenen Gestus bei der Hinrichtung zukommt. Als Beispiel dienen dabei die Wandbilder einer privaten Hauskapelle in den sogenannten Case Romane del Celio in Rom vom Ende des vierten Jahrhunderts, über die im fünften Jahrhundert die Basilika titulus Pammachii gebaut wurde (heute SS. Giovanni e Paolo).1 Die Wände dieses Oratoriums zur Märtyrerverehrung zeigen unter anderem die Verhaftung und Enthauptung von zwei Männern und einer Frau – im Kontext des ikonografischen Programms und der architektonischen Gestaltung des Raumes Szenen eines Martyriums.2 Traditionell werden diese in den oberen Feldern der Seitenwände dargestellten Figuren mit den Märtyrern Crispus, Crispinus und Benedicta identifiziert, die angeblich unter Kaiser Julian, gen. Apostata († 363), hingerichtet worden seien – faktisch ist eine sichere Identifizierung der Figuren aber nicht möglich.3
Anmerkungen
1 | Heute sind die Bauwerke unter SS. Giovanni e Paolo als Case Romane del Celio bekannt. Zur spätantiken Baugeschichte und Datierung ausführlich Beat Brenk, Die Christianisierung der spätrömischen Welt. Stadt, Land, Haus, Kirche und Kloster in frühchristlicher Zeit, Wiesbaden 2003, 82–113; zur Datierung der hier untersuchten Malereien bes. 105. Zusammenfassend Steffen Diefenbach, Römische Erinnerungsräume. Heiligenmemoria und kollektive Identitäten im Rom des 3. bis 5. Jahrhunderts n. Chr., Berlin 2007, 379–381. 2 | Vgl. Diefenbach, Erinnerungsräume (wie Anm. 1), 380. 3 | Vgl. Brenk, Christianisierung (wie Anm. 1), 100, sowie Diefenbach, Erinnerungsräume (wie Anm. 1), 356, Anm. 108. Ein Martyrium unter Kaiser Julian erscheint aus heutiger Perspektive unwahrscheinlich. Seine Maßnahmen bezogen sich auf eine Stärkung der sogenannten paganen Kulte. Direkte Verfolgungen von Christ:innen unter staatlicher Aufsicht (wie sie die Heiligen-Legende suggeriert) gab es unter ihm nicht. Julians Bild als Feind des Christentums prägt aber seine Wahrnehmung in der weiteren Tradition (vgl. Karl Suso Frank, Lehrbuch der Geschichte der Alten Kirche, Paderborn 32002, 211; dort weitere Literatur zu Kaiser Julian). Zum Verhältnis von Historizität und Wahrheit in Märtyrer-Legenden siehe Éric Rebillard, The Early Martyr Narratives. Neither Authentic Accounts Nor Forgeries. Philadelphia 2021, bes. 59–84. Zur Geschichte der Interpretation der Märtyrer:innen-Figuren des Oratoriums siehe Brenk, Christianisierung (wie Anm. 1), 82–83. [...]
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