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Leseprobe 3
Andreas Odenthal
»Surrexit dominus vere«
Osterfeiern um das Heilige Grab als Ausdruck eines veränderten religiösen Empfindens im Mittelalter
Unter dem Titel »Dynamics of Changing Rituals« wurden die Ergebnisse eines Heidelberger Graduiertenkollegs veröffentlicht, das als Vorstufe des Sonderforschungsbereichs 619 sich den Fragestellungen von soziokulturellen Veränderungen und ihren Wechselwirkungen mit den die Gesellschaft prägenden Ritualen widmete. Solche Prozesse in Bezug auf kirchliche Rituale zu untersuchen, ist Aufgabe der Liturgiewissenschaft, die die Veränderungen der rituellen Praxis gemeinhin unter dem Stichwort der »Liturgiereformen « faßt. Eine Epoche großer Veränderungen mit mannigfachen Folgen für die Liturgie stellt das frühe Mittelalter dar. Es bringt zahlreiche Phänomene hervor, von denen eines im Folgenden näher untersucht werden soll, nämlich die Osterfeiern und Osterspiele um das Heilige Grab am Karfreitag, Karsamstag und Ostersonntag. Mittels eines Beispiels aus der Bonner Münsterkirche soll dabei das hier zutage tretende Phänomen einer Erweiterung der kodifizierten Liturgie durch »paraliturgische« Feierformen dargestellt und auf seine frömmigkeits- wie liturgiegeschichtlichen Bedingungen und Auswirkungen hin befragt werden. Eine solche klassisch liturgiehistorische Vorgehensweise verortet sich gleichzeitig interdisziplinär, und dies in mehrfacher Hinsicht. Mentalitätsgeschichtliche Implikationen auch profanhistorischen Interesses werden ebenso tangiert wie Fragestellungen der Germanistik, teilt man etwa die These, mit den Osterspielen rühre man an die Entstehung des Deutschen Dramas. Eine Untersuchung der Heilig-Grab-Tradition Kölns durch Franz Niehoff oder die grundlegenden Untersuchungen durch Johannes Tripps zeigen zugleich die Bedeutung solch liturgiegeschichtlicher Forschung für kunstgeschichtliche Untersuchungen, und zwar in Bezug auf ein Verstehen ikonographischer und räumlicher Bezüge. Einzelne Darstellungen galten der liturgischen Gewandung oder der Gebärde dieser Feiern. Eine grundlegende Untersuchung durch Christoph Petersen hat vor allem den geistesgeschichtlichen Kontext der Osterfeiern eingeholt und ihre spezifische Funktion im Kontext der Liturgie gewürdigt. Die hier getätigten Überlegungen vollziehen sich in folgenden Schritten. Zunächst wird ein erster Zugang zum Phänomen der Osterfeiern gegeben (1. Abschnitt), die sodann anhand der liturgischen Tradition der Bonner Münsterkirche näher vorgestellt werden (2. Abschnitt). Im 3. Abschnitt werden liturgietheologische Bedingungen vorgestellt, deren Bedeutung bei der Entstehung der Osterspiele diskutiert wird. Der 4. Abschnitt wirft einen Blick auf das Schicksal der Osterfeiern um das Heilige Grab in den Kirchen der Reformation. Schließlich werden die Ergebnisse der Untersuchung gesammelt.

I. Osterfeiern und Osterspiele – ein erster Zugang zum Phänomen

Im Verlauf des 10. Jahrhunderts finden in die Liturgie des Karfreitags, Karsamstags und des Ostertags Riten Eingang, die das in der Liturgie gefeierte Heilsgeschehen veranschaulichen wollen, vor allem in einer »Osterfeier« am Ostermorgen, die den Besuch der Marien am leeren Grab, die Visitatio sepulchri des Markusevangeliums (Mk 16) inszeniert. Die Osterfeier bleibt dabei noch ganz im liturgischen Kontext des kirchlichen Stundengebetes, näherhin der Matutin, während spätere Entwicklungen zu Verselbständigungen aus dem liturgischen Kontext führen, die dann als sogenannte Osterspiele die Keimzelle des Deutschen Dramas bilden. Die Liturgie des Karfreitags wird um die Grablegung des Kreuzes, die Depositio crucis, ergänzt. Sie ist erstmals im 10. Jahrhundert greifbar und findet teils in Verbindung mit der Vesper, teils in Verbindung mit der Karfreitags-»Messe« statt. Die Matutin des Ostermorgens wird durch die Kreuzerhebung aus dem Grab, die Elevatio crucis, ausgestaltet. Besonders der Visitatio sepulchri galt das Forschungsinteresse. Es ist das Verdienst von Walther Lipphardt, neben einer umfassenden Sammlung und Sichtung des Materials ein Repertorium sämtlicher Texte um die Osterfeiern erstellt zu haben. In Bezug auf die Textgestaltung des den Grabbesuch begleitenden Dialogs werden hier drei Stufen verschieden komplexer Ausgestaltung unterschieden, ohne dass man das Schema einer organischen Entwicklung von einfachen zu differenzierten Strukturen ausmachen könnte. Im Kontext der folgenden Überlegungen genügt es, die erste Stufe des Osterdialogs vorzustellen, von der das vorgestellte Beispiel ein Vertreter ist:

Ia (Et dicebant ad invicem:) Quis revolvet nobis lapidem ab ostio monumenti? Alleluia, alleluia.
Ib Quem queritis in sepulchro, o christicole?
Ic Jesum Nazarenum crucifixum, o celicole.
Id Non est hic, surrexit, sicut predixerat; ite, nuntiate, quia surrexit de sepulchro.
Ie Alleluia. Resurrexit Dominus.


Zum Vergleich seien die entsprechenden Passagen aus dem Matthäus- und Markusevangelium nach der Vulgata vorgestellt:

Mt 28, 1–8:
Vespere autem sabbati, quae lucescit in prima sabbati, venit Maria Magdalene et altera Maria videre sepulchrum. Et ecce terraemotus factus est magnus. Angelus enim Domini descendit de caelo et accedens revolvit lapidem et sedebat super eum. Erat autem adspectus eius sicut fulgur, et vestimentum eius sicut nix. Prae timore autem eius exterriti sunt custodes et facti sunt velut mortui. Respondens autem angelus dixit mulieribus: Nolite timere vos; scio enim quod Iesum, qui crucifixus est, quaeritis. Non est hic; surrexit enim sicut dixit. Venite et videte locum ubi positus erat Dominus, et cito euntes dicite discipulis eius, quia surrexit et ecce praecedet vos in Galilaeam: ibi eum videbitis: ecce praedixi vobis. Et exierunt cito de monumento cum timore et gaudio magno currentes nuntiare discipulis eius.
Mc 16, 1–8:
Et, cum transisset sabbatum, Maria Magdalene et Maria Iacobi et Salome emerunt aromata, ut venientes ungerent Iesum. Et valde mane una sabbatorum veniunt ad monumentum, orto iam sole. Et dicebant ad invicem: Quis revolvet nobis lapidem ab ostio monumenti? Et respicientes viderunt revolutum lapidem; erat quippe magnus valde. Et introeuntes in monumentum, viderunt iuvenem sedentem in dextris coopertum stola candida et obstupuerunt. Qui dicit illis: Nolite expavescere. Iesum quaeritis Nazarenum crucifixum: surrexit, non est hic. Ecce locus ubi posuerunt eum. Sed ite, dicite discipulis eius et Petro quia praecedit vos in Galilaeam; ibi eum videbitis, sicut dixit vobis. At illae exeuntes fugerunt de monumento (invaserunt enim eas tremor et pavor) et nemini quidquam dixerunt; timebant enim.


Die Osterfeier entpuppt sich als eine durch kleinere dichterische Zusätze erweiterte Fassung des Evangeliums, die zudem szenisch am Heiligen Grab im Kirchenraum umgesetzt wird. Diese damals neu entstehende Verbildlichung des Evangeliums verwundert deshalb, da ja nicht nur durch die Verkündigung des Evangeliums im Kontext der Messe das Ostergeschehen liturgisch präsent war. Auch die Offiziumsliturgie des Ostersonntags bietet in ihren die einzelnen Horen prägenden Antiphonenreihen den evangelischen Bericht nach Matthäus bzw. Markus. Die Antiphonenordnung für Laudes und Vesper, die sogenannte »Historia«, lautet nach den Textzeugen der römischen Ordnung der Stundenliturgie des Ostertages, des Cursus Romanus, wie folgt:

1. Angelus autem Domini descendit de celo, et accedens revolvit lapidem, et sedebat super eum, alleluia, alleluia. (Mt 28,2b)
2. Et ecce terraemotus factus est magnus: Angelus enim Domini descendit de caelo, alleluia (Mt 28,1–2ab)
3. Erat enim aspectus ejus sicut fulgur: vestimenta eius sicut nix, alleluia, alleluia (Mt 28,3)
4. Pre timore autem ejus exterriti sunt custodes, et facti sunt velut mortui, alleluia (Mt 28,4)
5. Respondens autem angelus dixit mulieribus: Nolite timere: scio enim quod Jesum quaeritis, alleluia (Mt 28,5)
(Zum Benedictus): Et valde mane una sabbatorum, veniunt ad monumentum, orto jam sole,
alleluia (Mc 16,2)
(Zum Magnificat): Et respicientes viderunt revolutum lapidem, erat quippe magnus valde,
alleluia (Mc 16,4).

Augenscheinlich reichten diese Formen liturgischer Memoria nicht mehr aus, wenn sich seit dem 10. Jahrhundert zunehmend die Tendenz durchsetzt, das liturgisch begangene Ostergeschehen zusätzlich zur kodifizierten Liturgie, wie sie sich in Messe und Offiziumsliturgie zeitigt, szenisch-dramatisch umzusetzen, freilich ohne zunächst den Kontext der Liturgie aufzugeben. Ein Beispiel unter unzähligen anderen soll dies verdeutlichen und zudem die beständige Tradition dieser neuen Tendenz aufzeigen.

II. Ein Beispiel: Die Osterfeier des Bonner Cassiusstiftes

Im Pfarrarchiv des Bonner Münsters hat sich ein bislang unveröffentlichter Liber Ordinarius von 1613 erhalten, der einige Jahre nach der Plünderung des Cassiusstiftes und dem dadurch bedingten Verlust des mittelalterlichen Stiftsarchivs geschrieben wurde. Dieser Ordinarius berichtet nun auch eine Osterfeier am Heiligen Grab, die schon Franz Joseph Peters beschrieb. Der Fund des ältesten Liber Ordinarius aus dem 13. Jahrhundert hat nun gezeigt, dass die 1613 beschriebenen Bräuche zumeist älteren Datums sind und noch in die hochmittelalterliche Epoche zurückreichen. Über die Plünderung und Zerstörung des Stiftsarchives und weite Teile der Ausstattung hinweg wurde in Bonn die mittelalterliche Liturgie mit ihren Zusätzen beibehalten. Damit sind die im Folgenden dargestellten Quellen Beleg für einen über Jahrhunderte währenden Überlieferungsprozess.

1. Die Depositio crucis Zusätzlich zur eigentlichen Karfreitagsliturgie, bestehend aus Wortteil, den Fürbitten, der Kreuzverehrung wie der Kommunionfeier, schildern die liturgischen Quellen die Grablegung des Kreuzes nach vollzogener Vesper. Der älteste Liber Ordinarius des Bonner Cassiusstiftes aus dem 13. Jahrhundert berichtet über die Grablegung des Kreuzes so:

(…) post communionem murmurantur vespere. Postea defertur crux ad sepulchrum cum Responsorio Ecce quomodo, post sepulturam Responsorium Sepulto domino (fol. 287r’).

Im Vergleich dazu seien die Hinweise des jüngeren Ordinarius von 1613 aufgeführt:

(...) vesperis finitis Dominus Decanus exuit se casula, et domini vadunt ad crucem. Et Dominus Decanus cum duobus senioribus sumunt crucem et portant eam in capellam sancti Michaelis cum thuribulo, et ianua magna est clausa. Interea Dominus Decanus legit psalmum Miserere mei flexis genibus, tunc Christus Dominus factus, sequitur collecta Respice. Et domini cantant Responsoria ista Sicut ouis ad occisionem, Ecce quomodo moritur, Sepulto domino cum versibus eorum. Et tunc exeunt de sepulchro, et ibi stabunt quattuor candelae ardentes, donec deportatur Crux (…) (fol. 42r–v).

Beide Ordinarien berichten über die Grablegung des Kreuzes am Karfreitag, die sich an die schlicht vollzogene, »gemurmelte« Vesper anschließt. Der jüngere Ordinarius indes ist wesentlich ausführlicher und gibt neben der Benennung der verwendeten Responsorien, Psalmen und Orationen auch – dies ist der Wert dieser Buchgattung – topographische Angaben zur Bonner Münsterkirche. Der Ort der Michaelskapelle konnte bis heute nicht sicher ausgemacht werden, womit auch der Standort des Heiligen Grabes unsicher bleibt. Man wird durchaus mit mobilen Aufbauten zu rechnen haben, die den Kirchenraum an den Ostertagen in besonderer Weise prägen. Der dargestellte rituelle Bogen verläuft von der Karfreitagsliturgie selbst über die Vesper bis hin zur Grablegung und weiteren Verehrung, die sich in den Responsorien wie den vier brennenden Kerzen ausdrückt. Die theologische Besonderheit dieser Grablegung des Kreuzes außerhalb der eigentlichen Karfreitagsliturgie liegt nun darin, dass hier der Ritus der Kreuzenthüllung, -aufrichtung und -verehrung, den die Karfreitagsliturgie kennt, sozusagen ergänzt wird. Doch der Ritus der Kreuzerhebung in der Karfreitagsliturgie ist im Grunde neben dem Gedächtnis der Passion Christi ein österlicher Ritus, denn das Kreuz, an dem das Heil der Welt gehangen hat, lädt zur Anbetung des Gekreuzigten ein. Der vor dem Jahre 1000 verfasste Ordo Romanus, der die Karfreitagsliturgie beschreibt, berichtet so:

Nam, salutante pontifice vel populo crucem, canitur semper antiphona: Ecce lignum crucis, in quo salus mundi pependit. Venite adoremus.

Doch dieser österliche Gedanke wird in dem Moment wieder rückgängig gemacht, in dem – nun historisierend – das Kreuz in das Heilige Grab gelegt wird. Von daher wird verständlich, warum es einer neuerlichen Kreuzaufrichtung bedarf, die die mittelalterliche Liturgie in die eigentliche Osternacht situiert, die Elevatio crucis.

2. Die Elevatio crucis

In der eigentlichen Osternacht ist das Heilige Grab wiederum Ort der Handlung, und zwar der Erhebung des Kreuzes, welche nun als österlicher Ritus verstanden wird. Nur der jüngere Ordinarius des Bonner Münsterstiftes berichtet hierüber.

(...) In nocte Paschae itur in albis infra secundam et terciam horam ad matutinum. Decanus cum duobus senioribus venit cum magnis tortisiis ad sepulchrum et flexis genibus dicit vel legit alta voce versiculum Dicite in nationibus alleluja, collecta Gregem tuum quaesumus domine, et sumit crucem cum isto Responsorio Cum rex gloriae, portant in Criptam ad locum suum, et Responsorio finito cantatur ymnus submissa voce Jhesu nostra redemptio, ymno finito cantat Decanus Omnis terra adoret te et Deus, Oremus. Deus, qui crucem sanctam ascendisti et tunc mouetur processio ad chorum (fol. 43v–44r).


Es handelt sich hier um Riten, die vor das nächtliche Offizium, die Matutin, geschoben sind und mit dem österlichen Akzent der Kreuzerhebung diese quasi einleiten. Nicht mehr die Erhebung und Verehrung des Kreuzes im Kontext der eigentlichen Karfreitagsliturgie wird als österlicher Ritus wahrgenommen, sondern erst diese Kreuzerhebung aus dem Grab, wie das Canticum Cum rex gloriae anzeigt. Damit ist sie Zeichen eines historisierenden Liturgieverständnisses: Es geht um das Nacheinander der tatsächlichen Ereignisse, nicht mehr um eine Feier, die im Mysterium stets das Ganze begeht, wenngleich an den Tagen des Triduum immer wieder neu unter verschiedenen Aspekten. Die Situierung dieses Ritus der Elevatio crucis in die Osternacht ist insofern möglich, als durch die Vorverlegung der eigentlichen Osternachtliturgie auf den Karsamstagmorgen die Osternacht sozusagen frei geworden war. Die entstandene Lücke wurde einerseits durch die Kreuzerhebung, andererseits durch das zusätzliche Offizium der Ostermatutin mit der vor dem Te deum eingefügten Visitatio sepulchri gefüllt.

3. Die Visitatio sepulchri

Den Besuch des Grabes schildert der älteste Liber Ordinarius so:

Ad matutinam cantent bini et bini Versiculum Quem quaeris mulier. Finito tertio Responsorio descendit processio in medium templi et uenientes Marie per mediam processionem murmurantes dicunt antiphonam Quis revolvet usque ad sepulchrum. Ibi eis resistentibus interrogent angeli intrinsecus Quem quaeritis. Respondent Iesum Nazarenum et illi Non est hic et subiungunt Venite et uidete. Tunc angelis egressis ingrediuntur et referentes linteum cantent similiter antiphonam Surrexit. Qua finita incipit cantor Te deum et redit processio et perficiens laudes continuans Benedictus, post primam collectam non sequitur antiphona de resurrectione, quia prius representata est (fol. 287r’–287r’’).

Wiederum seien die Ausführungen des neuzeitlichen Ordinarius hinzugefügt:

Responsorio finito Dominus Decanus et duo presbiteri seniores habentes thuribulum in manu euntes ad medium ecclesiae cantant antiphonam Quis reuolvet nobis. Tunc duo Vicarii de istis octo deseruentibus refectorium sedentes in sepulchro respondent Quem quaeritis, et tunc illi tres domini respondent Jhesum nazarenum, tunc illi in sepulchro respondent Non est hic surrexit et cum hoc etiam Venite et videte locum. Tunc illi tres vadunt ad sepulchrum et sumunt lintheum et portant secum cantando Surrexit dominus de sepulchro, antiphona finita Cantor incipit Te deum laudamus, et processio mouetur ad chorum, et Cantor indicit antiphonam primam de laudibus sine Deus in adiutorium, et sic omnes antiphonae de laudibus, sequitur antiphona ad Benedictus sine capitulo Et valde mane, et itur cum thuribulo, collecta Deus qui hodierna die, nullum suffragium (fol. 44r–44v).

Die Elevatio crucis in der Osternacht findet wie üblich vor der Matutin des Ostertages statt, an deren Ende nach dem letzten Responsorium und vor dem Te Deum die Visitatio sepulchri ihren Ort hat. Hier wird nun das Osterereignis um das leere Grab szenisch umgesetzt, indem die Kanoniker bzw. die Stiftsschüler den Besuch der Marien am leeren Grabe und die Begegnung mit den Engeln darstellen. Andere Zeugnisse berichten über die Verwendung liturgischer Kleidung sowie das Mittragen von Weihrauchfässern durch die Frauen statt etwa Salbgefäßen. Dies sind Hinweise auf die starke Einbindung der Feiern in den gottesdienstlichen Kontext, ihre liturgische Kodierung. Dem »Grabtuch« kommt besondere Bedeutung zu, nämlich Hinweis auf den abwesenden Herrn zu sein. Das Material der Antiphonen und Responsorien ist der ansonsten üblichen Liturgie entnommen. So kann der älteste Ordinarius auf das Suffragium mittels der Antiphon Surrexit verzichten, da sie bereits Teil der Osterfeier ist (»quia prius representata est«).

III. Liturgietheologische Aspekte zum Phänomen der Osterfeiern

Die Konkretisierung der Osterfeiern am Beispiel des Bonner Cassiusstiftes stellt erneut die Frage nach Funktion und Entstehungsbedingungen dieser eigenen Gattung. Die Schwierigkeit des Phänomens liegt im kulturellen Gesamtzusammenhang. Es geht um die Liturgieentwicklung seit dem Frühmittelalter, die mannigfache Auswirkungen und Folgen nach sich zog. Dabei wird ein noch bei weitem nicht ausgelotetes Forschungsgebiet sichtbar, das unterschiedliche Facetten einzubeziehen hat. Die Komplexität der liturgischen Veränderungsprozesse der damaligen Zeit hat Theodor Klauser mit dem Modell der Austauschbeziehungen zwischen der römischen und der fränkisch-deutschen Kirche beschrieben. Dabei situiert die liturgiegeschichtliche Forschung seit Josef Andreas Jungmann den entscheidenden Umbruch nicht mehr an die Nahtstelle von »romanischer« Ordnung und deren »gotischer« Auflösung, sondern in die Epoche des Frühmittelalters. Arnold Angenendt hat in die Diskussion das Diktum der »bonifatianisch- karolingischen Liturgiereform« eingebracht. Der bewusst umfassend gewählte Begriff zeigt an, dass es um einen Jahrhunderte währenden Prozess der Inkulturation des Christentums in die Gebiete nördlich der Alpen geht, zu denen neben dem Missionsgebiet des Bonifatius und anderer ebenso die bereits christianisierten Gebiete der Kirche Galliens zählen. Diese wird nun immer mehr zu einer romverbundenen Landeskirche umgestaltet und hat damit auch römische Liturgie zu übernehmen. Das ist zum einen die bereits durch Bonifatius forcierte typisch römische Form der Initiationsliturgie. Die karolingische Reform verstand es zum andern, römische Liturgie nicht sklavisch zu kopieren, sondern ihr entscheidendes Kennzeichen zu übernehmen und zu adaptieren. Angelus Albert Häussling hat in seiner Studie über die Klosterliturgie die für das Frühmittelalter und seine Liturgie typische Tendenz beschrieben, in den nun entstehenden Klosterstädten oder Basilikaklöstern als das typisch Römische die Stationsliturgie zu installieren, also eine Liturgie, die sich im Laufe des Kirchenjahres an verschiedenen Orten zeitigte. Sie führt zu einer Häufung von Einzelfeiern, näherhin der Messe, die zur Ehre heiliger Orte, sprich der Altäre, gefeiert wurde. Das Entscheidende ist, dass man die einzelnen räumlich wie zeitlich verschiedenen Feiern in ein das Gesamt durchdringendes Liturgiesystem zu integrieren vermochte. Dies galt auf der Ebene einer Stadt: die vielen Kirchenbauten wurden durch die an bestimmten Tagen vom gesamten Stadtklerus in ihnen vollzogene Liturgie in eine ideelle zeitliche und räumliche Verbindung gebracht. Man legte dieses Prinzip aber auch für den einzelnen Kirchenraum zugrunde, der unter einem Dach nun verschiedene Heiligtümer, nämlich eine Vielzahl von Altären beherbergte. Mittels der Stationsliturgie entsteht eine ganz neue Wertung des Räumlich-Szenischen, die das Phänomen der Osterfeiern und -spiele erst möglich macht. Zugleich geht es um die »Wieder-holung« des Ursprungsereignisses, das mittels des passenden Ortes repräsentiert wird. Die das Zeitlich-Räumliche integrierende Stationsliturgie hat eine synchrone wie diachrone Ebene: Die vielen Feiern an verschiedenen Orten im Laufe eines Kirchenjahres werden ebenso systematisiert, wie ihre Nähe zum Ursprung etwa durch das Zitat heiliger Orte Roms oder Jerusalems rituell hergestellt wird. Eine mit diesen Facetten angedeutete Umwälzung des Liturgischen samt kirchlicher Struktur von einer römisch geprägten Stadtkultur in die Gebiete nördlich der Alpen vollzog sich über lange Etappen und mit nachhaltigen Folgen, die bis zur ersten Jahrtausendwende keineswegs abgeschlossen ist. Exemplarisch sei hier nur eine in jüngerer Zeit aufgedeckte Spur benannt, nämlich die Veränderungen in Kunst und Kult nach der Plünderung Konstantinopels. Es geht hier um die Neuerung, Reliquien gemäß östlicher Praxis sichtbar aufzubewahren, was im Kontext mittelalterlichen Schauverlangens nicht geringe Auswirkungen auf die Liturgie gehabt haben dürfte. Damit sind die beiden großen Problemkreise benannt, die ein Verständnis des Liturgischen immer bestimmen, die Frage nach Raum und Zeit. Wolfgang Simon hat in seiner luziden Studie über die Messopfertheologie Martin Luthers die sich verändernde Tradition von der Spätantike zum Mittelalter zwischen den Begriffen repraesentatio (Bild, Raum) und Gedächtnis (Zeit) platziert. Dies sind die Koordinaten, in die das Phänomen der Osterfeiern einzuordnen ist und die zugleich die Veränderungen gottesdienstlicher Praxis anzeigen.

1. Die »Krise der sakramentalen Idee«

Seit dem frühen Mittelalter bricht sich eine veränderte Einstellung des Sakramentsverständnisses Bahn, die sich vor allem auf die Eucharistie erstreckt. Es wäre ein weites und eigenes Unterfangen, die Streitigkeiten der Eucharistielehre seit dem frühen Mittelalter im einzelnen darzustellen. In diesem Kontext mögen folgende Hinweise genügen. Hans Jorissen hat in seinen Ausführungen über die Abendmahlsstreitigkeiten des frühen Mittelalters auf die Bedeutung des jedweder religiösen Äußerung zugrunde liegenden philosophischen Denksystems aufmerksam gemacht. Konnte etwa aufgrund eines platonisch geprägten Urbild-Abbild-Verhältnisses Ambrosius von Mailand von den eucharistischen Gaben noch als »figura« des Leibes und Blutes Jesu Christi sprechen, so zieht ein an aristotelische Kategorien von Materie und Form angelehntes Denkmodell nach sich, die strenge Identität des eucharistischen Leibes mit dem historischen Herrenleib zu postulieren, um das Spezifische katholischer Eucharistieauffassung auszusagen. Die frühmittelalterlichen Abendmahlsstreitigkeiten drehen sich also um das Begriffspaar »figura« – »veritas«, das es immer neu zu bestimmen gilt und das für den Gottesdienst der Kirche mannigfache Konsequenzen hat. In welchem Verhältnis steht die »figura«, modern gesprochen: das symbolisch-rituelle Tun der Kirche, zur »veritas«, zur religiösen Ursprungshandlung, in Bezug auf die Messe: zum Kreuzesopfer Jesu Christi selbst? Doch welches Denkmodell auch immer: die Fokussierung auf die Frage nach der Art und Weise der Gegenwart Jesu in den eucharistischen Gestalten, wie sie das Mittelalter im Interesse an »sachhafter Frömmigkeit« übte, barg die Gefahr, den liturgischen Handlungskontext als Feier des Pascha-Mysteriums mit den dramatischrituell verfassten Bewegungen außer Acht zu lassen. Dieser Gefahr ist das Mittelalter durchaus erlegen: »Der Übergang von der Antike zum Mittelalter brachte (…) einen neuen Realismus mit sich, der die subtilen Möglichkeiten metaphorischer Rede nicht mehr zu bewahren vermochte«. Als Konsequenzen zeitigen sich neben einer neuen Betonung der Buße die Reduzierung der Gläubigenkommunion. Kommunionempfang und Eucharistiefeier werden voneinander abgekoppelt. Deshalb müssen Ersatzformen her, wie etwa die Elevation der Hostie als Ausdruck mittelalterlichen Schauverlangens. Nicht mehr die Teilnahme am eucharistischen Mahl, sondern die Verehrung der konsekrierten Hostie ist Zielpunkt mittelalterlicher Frömmigkeit, was etwa zur Entwicklung eucharistischer Monstranzen führt. All dies ist Auswirkung der erwähnten Grundsatzfrage, die sich seit dem frühen Mittelalter in neuer Radikalität stellt. Die damit einhergehenden großen künstlerischen Leistungen etwa des Spätmittelalters dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie auch Symptom einer Krise sind: die eigentliche Liturgiefeier als Mysterium wurde immer weniger verstanden. Damit verbunden sind weitere Phänomene.

2. Von der Mysterienfeier zur Messallegorese – Liturgie als »Officium«

Die strenge Historisierung der Liturgie bedeutet im Grunde eine Abkehr vom Mysteriencharakter gottesdienstlichen Feierns mit der ureigenen Zeitdynamik, die nicht in einem Schema des Vorher – Nachher aufgeht, vielmehr das sakramentliche »Heute« postuliert. Dies wird seit dem frühen Mittelalter anders, wenn man ein völlig neues Denkschema über den Ablauf der Messe legt. Man übernimmt von den Kirchenvätern die Methode der Allegorese und wendet sie auf die Liturgie an, und zwar so, dass die einzelnen Teile des Messablaufs mit einzelnen Stationen des Lebens Jesu identifiziert und so reformuliert werden. Die Messe wird so »Abbild« des Lebens Jesu und ist nicht mehr Mysterienfeier seines Todes und seiner Auferstehung. An diesem Phänomen wird deutlich, wie wenig man die rituellen Vollzüge der Messe theologisch und spirituell noch zu füllen vermochte. Das heißt aber nichts anderes, als dass »die heilsgeschichtliche Perspektive also abgeschwächt und die historische Erzählung verselbständigt ist«. Das allegoretisch unterfütterte historische »Nachspielen« des Lebens Jesu statt der Feier des Mysteriums paart sich mit einer anderen Akzentsetzung, nämlich der Wertung von Stundengebet und Messe als »Officium«, als pflichtgemäße Erfüllung der übernommenen Aufgabe seitens des Kultpersonals. Es ist dies eine nicht zuletzt durch die Benediktsregel forcierte Vorstellung. Daran hängen mannigfache Folgen, etwa das Diktum vom »richtigen Kult« wie dem »selbstwirksamen Ritus«. Begleitumstände ritueller Art, die über den korrekten Vollzug hinausgehen, werden sekundär. Das beste Beispiel hierfür ist die sukkzessive auf den Karsamstag vorverlegte Osternachtliturgie, die somit ihrer zentralen Symbolik des Lichtes im Dunkel der Nacht entkleidet wird. Vom Offizumsgedanken her ist erstens solche Symbolik unnötig, zweitens kann man so die nun freigewordene eigentliche Osternacht mit dem Gebetspensum einer zusätzlichen Matutin füllen. Damit aber geht auf symbolisch-ritueller Ebene nicht nur die gesamte Lichtsymbolik, sondern auch die »Dominanz des Osterfestes verloren«. Arnold Angenendt spricht in diesem Kontext von der »Unfähigkeit der Scholastik, den Eigenwert von Zeichen und Symbolen, von Fest und Feier zu erkennen«.

3. Die Bedeutung des Klerikers im Kontext einer komplexen Feierstruktur

Die antagonistische Tendenz der hier zu verhandelnden Phänomene wird deutlich, schaut man auf die mit der benannten Krise einhergehende Tendenz, das Ritual zu verfeierlichen und eine derart komplexe Struktur zu schaffen, dass es der Fachleute bedarf, um einen korrekten Vollzug zu gewährleisten. Diese seit dem Frühmittelalter greifbare Tendenz kann unter den Stichworten »Monastisierung des Klerus« wie »Klerikalisierung der Orden« gekennzeichnet werden. Die Mühen um die Unterscheidung von Kanonikerregel und Benediktsregel sind Zeugen der Angleichung zweier Lebensmodelle des Christentums. Ob Stift oder Kloster: Die sich ausbildende Komplexität der Handlungsabläufe fördert auch eine neue liturgische Buchgattung, nämlich die bereits am Beispiel des Bonner Stiftes vorgestellten Libri Ordinarii als »Regiebücher« des Gottesdienstes. Es geht um das Bedürfnis nach liturgischem Fachpersonal, das nun an den heiligen Stätten Dienst tut, damit diese heiligen Orte durch tägliche Offiziumsliturgie geehrt werden. Damit wird zugleich der Kleriker immer mehr zum »sacerdos«, zum Diener am heiligen Ort. Kehrseite ist die hochdifferenzierte Feierstruktur, die zwar zentrale symbolische Gehalte preisgibt, dies aber mit einer Sakralisierung ritueller Abläufe zu kompensieren vermag.

4. Die Idee des »selbstwirksamen Ritus« und mystische Erfahrung

Arnold Angenendt hat auf die seit dem Frühmittelalter herrschende Tendenz der Verobjektivierung der Liturgie aufmerksam gemacht, wie sie sich etwa in der Auffassung vom selbstwirksamen Ritus darstellt. Seine Gültigkeit ist – fast magisch – an keine subjektive Zustimmung mehr gebunden: der objektive Vollzug allein genügt. Genau diese Haltung aber zieht als Kehrseite die Tendenz und das Bedürfnis nach sich, nach Räumen subjektiven Erlebens zu suchen, eine Tendenz, die sich etwa in Formen der Mystik äußert. Die Tendenz der Dramatisierung, wie sie sich in den Osterfeiern zeitigt, könnte in diesem Kontext eine neue Bedeutung als Ermöglichung subjektiver Empfindung erhalten.

5. Die »Verortung« der Liturgie: Gottesdienst in Stationen

Auf die Bedeutung römischer Stationsliturgie als prägenden Merkmals der bonifatianisch- karolingischen Liturgiereform wurde bereits hingewiesen. Es wäre eine eigene Aufgabe, neben den bisher genannten, hauptsächlich auf das Phänomen der Zeit ausgerichteten Kriterien diese räumlichen Dimensionen auf der Ebene einer Stadt wie eines Kirchenraumes weiter auszufalten. Denn es stellt sich die Frage nach der räumlichen Vergewisserung des Heilsgeschehens im Gesamtkosmos des Kirchenraumes. In der Spätantike konnte etwa der Taufbrunnen noch bei Ambrosius als »Grab« gedeutet werden. Das Mittelalter entwirft eine komplexe Mikrostruktur des Kirchenraumes, innerhalb deren besonders der Kreuzaltar Bedeutung erhält. Als einer der Orte der Osterliturgie steht er für das Kreuzesgeschehen selbst. Weiterer Überlegungen bedürfte der im Kontext der Osterfeiern festzustellende Schritt, dem Ort des Kreuzaltares mit den mobilen oder festen Heilig-Grab-Bauten einen weiteren Ort an die Seite zu stellen. Dabei ist vor allem der Bautyp der Rotunde als Zitat Jerusalemer Tradition bemerkenswert.

IV. Ein Blitzlicht: Osterfeiern im Kontext lutherischer Reformation

Ein Seitenblick sei nun auf die lutherische Reformation geworfen, und zwar deshalb, weil die bisher vorgetragenen Gedanken sozusagen von ihrer Gegenseite her, der Kritik durch die Reformation, nochmals an Plausibilität gewinnen. Die liturgietheologischen Grundlagen lutherischen Gottesdienstes sind von bestechender Klarheit, wenn etwa die Confessio Augustana als Paradigma des Gottesdienstes die richtige Verwaltung der Sakramente und reine Verkündigung des Evangeliums angibt:

Est autem ecclesia congregatio sanctorum, in qua evangelium pure docetur et recte administrantur sacramenta.

Es wäre viel dazu zu sagen, inwieweit sich etwa lutherische Gottesdienstpraxis nur der mittelalterlichen Entwicklung verdankt, was hier nicht geschehen kann. Doch setzten die Korrekturen Luthers grundsätzlich bei der mangelnden Wortverkündigung und dem Ausschluss der Gläubigen vom Eucharistieempfang an. Dementsprechend öffnet der Abendmahlsgottesdienst am Karfreitag den Gläubigen die Teilnahme am eigentlichen Geschehen der Drei Österlichen Tage, indem sie aus dem Kelch trinken und das eucharistische Brot empfangen dürfen69. Doch gelingt es der lutherischen Reformation kaum, die Weite eines spätantiken Mysterienbegriffs zurückzugewinnen, was auch nicht erklärtes Ziel ist. Zu prüfen wäre, inwieweit eine allzu einseitige Betonung des Wortes auch von der mangelnden Akzeptanz symbolisch-ritueller Inszenierung zeugt. Doch wenn durch den Laienkelch ein Mittun der Gemeinde wieder ermöglicht ist, bedarf es keiner Ersatzformen mehr. Das trifft nun die Osterfeiern in ganz besonderer Weise, allgemeiner sogar die gesamte rituelle Inszenierung der Heiligen Woche. In seiner Schrift Deutsche Messe und Ordnung Gottesdiensts von 1526 fordert Martin Luther, die Karwoche einfacher zu gestalten, um jedem Leistungsprinzip zu entgehen:

Die fasten, palmtag und marterwochen lassen wyr bleyben, nicht das wyr yemand zu fasten zwingen, sondern das die passion und die Euangelia, so auff die selbige zeyt geordenet sind, bleyben sollen; doch nicht also, das man das hunger tuch, palmen schiessen, bilde decken und was des gauckel wercks mehr ist, halten odder vier passion singen odder acht stunden am karfreytag an der passion zu predigen haben, sonder die marterwoche sol gleych wie ander wochen seyn, on das man die passion predige des tages eyne stunde durch die woche odder wie viel tage es gelustet, und das sacrament neme wer do will. Denn es sol ja alles umb des worts und sacramenten willen unter den Christen geschehen ym gotts dienst.

Das Grundprinzip lutherischer Umgestaltung zwischen Kontinuität und Innovation zeigt sich auch hier. Das Moment der Tradition liegt in der Beibehaltung der geprägten Zeiten, das Moment der Innovation in einer Reduktion der rituell-dramatischen Ausgestaltung. Doch bezüglich der Osterfeiern findet sich eine andere Aussage Luthers. In der dritten Osterpredigt 1533 bemerkt er:

Wie man auch jnn der Oster nacht ein spiel fuer die kinder getrieben hat. Und gefellet mir wol, das mans also den einfeltigen fuer malet, spielet singet odder sagt, Und sols auch da bey bleiben lassen, das man nicht viel mit hohen, spitzige gedancken sich bekomere, wie es moege zu gangen sein, weil es ja nicht leiblich geschehen ist, sintemal er die drey tage ja im grabe ist blieben.

Ohne beide Äußerungen harmonisieren zu wollen, ist letztes Zitat vor einem seelsorgerlichen Hintergrund zu verstehen. Die dramatische Darstellung des Osterereignisses ist um der Einfältigen und Kinder willen nützlich. Aber dies scheint dann suspekt zu werden, wenn es im gottesdienstlichen Kontext in Konkurrenz zu Wort und Sakrament geschieht. Grundsätzlich ist also ein szenisches Umsetzen biblischer Erzählungen möglich, doch der gottesdienstliche Kontext lässt es geboten erscheinen, »des gauckel wercks« zu entbehren.

Daß diese Kritik Luthers an ritueller Ausgestaltung der Heiligen Woche tatsächlich umgesetzt wurde, zeigen etwa die Quellen des Halberstädter Domes, die über die Abschaffung der Bräuche um das Heilige Grab berichten. In der Rede des Bischofs Heinrich Julius, mit der er am 23. Februar 1591 die Domherren zur Annahme der Reformation bewegen wollte, bemerkt er im Abschnitt über die bona opera liturgische Bräuche, die dringend abgeschafft werden müssten, und so auch »…das Fußwaschen und Kreuz ins Grab legen«. Ein pastorales Argument wie bei Luther zieht angesichts der gebildeten Domherren nicht mehr, und so können die Bräuche um das Heilige Grab ruhig unterbleiben. Die von Heinrich Julius initiierten liturgischen Maßnahmen führen übrigens zu einem Verlust der gesamten Liturgie des Triduum Paschale, mit Ausnahme der Offiziumsliturgie, die einige der Gebets- und Gesangstraditionen aufnimmt und weiterführt.

V. Zusammenfassung

Die Ausführungen haben in den Osterfeiern ein Phänomen im Kontext, aber doch eigentlich am Rande der Liturgie aufgezeigt: »Das Spätmittelalter scheint an einer Abgrenzung zwischen bloß imaginativer Vergegenwärtigung, Re-Präsentation im Spiel und Realpräsenz im liturgischen Akt nicht interessiert gewesen zu sein. Unterscheiden muß man sie trotzdem«.
Entstanden sind die Osterfeiern aus den frömmigkeitsgeschichtlichen Bedingungen des Mittelalters, die eine Ergänzung der hohen Liturgie forderten: »Die Theatralisierung der Liturgie in der Osterfeier dient der Erzeugung eines Absenzeffektes. In diesem Effekt liegt nun auch eine Antwort auf die (…) Frage nach der Funktion begründet, der die Osterfeier ihre Entstehung verdankt. Thema der Feier ist nicht allein die Verkündigung der Auferstehung, die, auch wenn sie effektvoll sein soll, einer theatralen Inszenierung ja nicht bedarf; Thema ist gleichermaßen die Leerstelle, aus der die Auferstehungsbotschaft hier abgeleitet wird. Und dies legt nahe, daß die Feier neben der liturgisch-kerygmatischen eine weitere, von der Osterliturgie differente Funktion besaß, die gebunden war an die inszenierte Absenz Christi«. Christoph Petersen deckt damit eine hochinteressante Spur auf, nämlich die Frage nach der repraesentatio vor dem Hintergrund des fehlenden gekreuzigt-auferstandenen Christus. Die Ritualisierung der Absenz wäre deshalb nötig, weil man im liturgischen Kontext aufgrund der Veränderungen des Mysterienbegriffes zu stark präsentisch denkt: »In der Osterfeier wird mittels der theatralen Kodierung liturgischer Zeichen etwas sichtbar und performativ verhandelbar gemacht, das im liturgischen Kontext als dogmatisch und rituell bereits überwunden gewissermaßen negiert wird: die Absenz des Körpers Christi«. Indes kann man anfragen, in wieweit eine solche Sicht neuzeitlich geprägt ist, konstruiert doch etwa der französische Jesuit Michel de Certeau eine gesamte Ekklesiologie vom fehlenden Christus des Auferstehungsmorgens her. Aber wie auch immer: »Das geistliche Spiel überschreitet die liturgische commemoratio, indem es das Moment der imitatio, nicht die in der Allegorese mit Bedeutung versehene Symbolhandlung der Liturgie, (…) zu einer basalen Kategorie seines darstellerischen Ansinnens erhebt, es verharrt diesseits theatraler Mimesis, weil es die Illusion einer Einheit von Darstellung und Dargestelltem offenbar systematisch zu unterminieren trachtet«. Die Osterfeiern sind bei alledem Zeugen der Farbigkeit mittelalterlicher Liturgie, die die Kirchenräume in ihren verschiedenen Raumteilen unterschiedlich ausfüllte. Zugleich zeigt sich das Bestreben, der hohen Liturgie der Messe und des Stundengebetes sinnlich greifbare Formen zur Seite zu Stellen.

Abstract

During the 10th century rites were brought into the liturgies of Good Friday, Holy Saturday and Easter Sunday to further illustrate the salvific event celebrated in the liturgy. The rites were the burial of the cross on Good Friday, the exaltation of the cross during the Easter Vigil, as well as the “Easter celebration” at the empty tomb on Easter morning which illustrates the visitatio sepulchri of St. Mark’s Gospel (Mk 16). The “real” liturgical celebration of the Easter Vigil with the Service of Light, the Liturgy of the Word, the Liturgy of Baptism and the Liturgy of the Eucharist is no longer solely experienced as a “Celebration of the Resurrection”; there is need for a dramatization of the account from St. Mark’s Gospel which nonetheless remains integrated into the familiar liturgical context. These extensions of the liturgical vocabulary stem from diverse circumstances in the history of piety (“efficacious rite”; vigil piety) and no doubt compensate for a lost experiential relevance of official liturgy.

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