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Leseprobe 2
Bernd Jochen Hilberath
Communio – Gift oder gift?
Zu Risiken und Nebenwirkungen eines Kirchenkonzepts
Liebe Communio, liebes geschenkte Wir!

1. Nach zwanzig Jahren …

Vor euch, vor Ihnen zu reden birgt für mich kein Risiko. Wir sind hier nicht als Fachkongress zusammengekommen; gerade für das Hiersein der Nichtfachtheologinnen und -theologen bin ich dankbar, sie waren und sind mir in meiner Glaubensbiographie und der theologischen Arbeit oft sehr hilfreich gewesen. Ich halte also eine Vorlesung, wie ich es üblicherweise tue – mit Tafelanschrieb und ohne Beamer, den gewiss notwendigen Fachjargon übersetzend, und ich hoffe, dass auch danach die Zuhörerinnen und Zuhörer eine Rückmeldung geben können, die ich am liebsten von meinen Studierenden höre: Jetzt haben wir es endlich verstanden! Unangenehme Nebenwirkungen suche ich also zu vermeiden.

Nebenwirkungen, welche die christliche Gesundheit gefährden, ja die für die Katholizität im originären, nicht im konfessionalistischen Sinn tödlich sein können, hatte ich vor Augen, als ich auf den Tag fast genau vor zwanzig Jahren und einem Monat hier in diesem Hörsaal meine Antrittsvorlesung hielt. „Communio – Beschwörungsformel oder Projektbeschreibung?“ hatte ich als Überschrift gewählt und damit signalisiert, dass ich angesichts der Nebenwirkung „Beschwörung“, die zur Hauptwirkung zu werden drohte, das Risiko eingehen wollte, an einer wahrhaft katholischen Konzeption von Communio/Gemeinschaft forschend und lehrend und in beidem lernend zu arbeiten. Die damals gängige Behauptung, im ersten Jahrtausend der Kirchengeschichte habe es noch eine wirkliche Communio-Praxis der Kirchen in Ost und West gegeben, provozierte zum Nachforschen. Doch die Überprüfung im Rahmen eines Forschungsprojekts scheiterte an fehlender Kooperationsbereitschaft.

Zur selben Zeit verlagerte sich mein Forschungsinteresse durch die Zusammenarbeit mit Matthias Scharer. Dieses Miteinanderleben und – arbeiten brachte mich auf den Weg, den meine Schülerinnen und Schüler zur Überschrift ihrer Festgabe wählten, die sie mir zum 60. Geburtstag überreichten: Von der Communio-Ekklesiologie zur Kommunikativen Theologie. Die zweite Hälfte meiner Tübinger Zeit stand im Zeichen einschlägiger Kongresse und Publikationen. Es ist mehr als passend, dass der Forschungskreis Kommunikative Theologie seit gestern hier tagt und dieser Abend in seine Tagung eingebunden ist.

2. … immer noch Communio-Theologie?

Die Umorientierung „Von der Communio-Ekklesiologie zur Kommunikativen Theologie“ wäre missverstanden, wenn sie als Verabschiedung des Ringens um eine Communio-Ekklesiologie, also um ein Konzept von Kirche, das dieses Prädikat verdient, aufgefasst würde. Nein: die Communio-Ekklesiologie wird als Communio-Theologie zu einem kommunikativ-theologischen Projekt. Aber lassen sich auf diese Weise die Risiken und Nebenwirkungen, wenn nicht ausschalten, so doch in Grenzen halten? Ernstzunehmende Kolleginnen und Kollegen raten vom Gebrauch dieses ekklesiologischen Medikaments ab und attestieren ihm auch nach der Aufbereitung im Labor der Kommunikativen Theologie keine heilende Wirkung.

Lucia Scherzberg, eine meiner Schülerinnen, hatte mit ihrem Forschungskreis „Theologie und Geschichte“ eine Tagung „Gemeinschaftskonzepte im 20. Jahrhundert zwischen Wissenschaft und Ideologie“ organisiert, auf der ich – neben Simone Sinn vom Lutherischen Weltbund – so ziemlich der einzige war, der noch für den Gebrauch von „Communio/Gemeinschaft“ plädierte. Gerade Historiker/innen stehen zu sehr unter dem Eindruck des einschlägigen Missbrauchs des Begriffs der Gemeinschaft, seit F. Tönnies Gesellschaft und Gemeinschaft gegenüberstellte, freilich keineswegs so undifferenziert, dass dies allein schon ein Verbot des Medikaments rechtfertigte. Die gefährlichste Nebenwirkung: die Beschwörung der Volksgemeinschaft, die dem Führer bedingungslos folgt und alle Nicht-Reinen ausschließt.

Auch R. Bucher ist hier einschlägig kompetent, vor allem aber fundamentaltheologisch durch Elmar Klinger und praktisch-theologisch durch Ottmar Fuchs geschult. Die Communio-Ekklesiologen sind ihm verdächtig bzw. durch falsche Medikation gefährdet. Unlängst hat er nochmals zwei Gruppen von Communio-Anhängern unterschieden: die einen, die „communio“ als Beruhigungspille verordnen („wir sind doch alle Brüder und Schwestern – was stört uns der real existierende Katholizismus“), und die anderen, die Kirche als Communio von prinzipiell Gleichwürdigen und innerkirchliche Kommunikation als eine solche auf Augenhöhe erträumen. Allerdings habe ich aufmerksam registriert, dass er diese zweite Rezeptur auch als möglicherweise missverstanden relativiert – vielleicht doch nicht nur Träumer … Elmar Klinger setzt ganz auf den Leitbegriff „Volk Gottes“; Ottmar Fuchs, Mitglied des Forschungskreises, mit dem ich Kommunikative Theologie in Seminaren und Netzwerken erproben darf, mahnt vor allem das Aufbrechen der Binnenzentrierung der „communio“ hin zur „missio“ an.

Auf den Medikamentenmissbrauch hatte ich ja selbst in meiner Antrittsvorlesung hingewiesen. Dieser begann auf der außerordentlichen römischen Bischofssynode zwanzig Jahre nach Konzilsende mit einer Überdosierung von „communio“: Gegen den Missbrauch der Volk-Gottes-Theologie im Interesse von Demokratisierung und der Basisgemeinden wurde „communio“ verordnet: statt Strukturdebatten zu führen sollte der Geschenkcharakter der Communio, ihre Partizipation am Leben der trinitarischen Communio ins Bewusstsein rücken und möglichst darin eingeschlossen bleiben. Sieben Jahre später gab die Glaubenskongregation zu verstehen, auch „communio“ werde missbraucht, und zwar da, wo ihr sakramentaler Charakter geringgeachtet wird und die ontologische Priorität der Universalkirche aus dem Blick gerät. Ja, das passte wohl den Strategen der vatikanischen Zentrale nicht, dass Leonardo Boff die trinitarische Communio ernst genommen hat, als er die These aufstellte, die Trinität sei „unser wahres Gesellschaftsprogramm“, denn „die Dreifaltigkeit [erscheint] als das Modell eines jeden gesellschaftlichen Zusammenlebens …, das gerecht ist, Gleichheit verwirklicht und die Unterschiede achtet“.

Angesichts der Packungsbeilage der Glaubenskongregation habe ich mich schon bei der Vorbereitung der Antrittsvorlesung gefragt, ob hier nicht eine Überdosis Gegengift verordnet wird. Skeptiker auf der einen, Glaubenswächter auf der anderen Seite: welchen Apotheker sollte ich fragen? Da ich gelernt habe, der Organismus sei ein sich selbst heilendes System, habe ich zunächst einmal mich selbst – kritisch – gefragt:

3. Kritische Selbstbesinnung …

Träume ich von der Communio? Oder kann ich durch die Seitentür schlüpfen, die Rainer Bucher offen gelassen hat?

Als ich in meiner Habilitationsschrift in Absetzung von Karl Rahner für die Beibehaltung des Personbegriffs auch im Reden von dem dreieinen Gott plädierte, meinte der damals junge Nachwuchswissenschaftler Ralf Miggelbrink, ich projizierte meine Gemeinschaftssehnsucht ins Gottesbild hinein. Ja, ich bin wohl ein Beziehungsmensch und ein Teamplayer! Privat und im Beruf! Ich erinnere mich an biographische Stationen, an denen ich einschlägige Erfahrungen machen durfte, die für mich das Dialogische als Freiheit des Dialogs und als dialogische Freiheit, Spiritualität als Angst überwindendes In-Beziehung-Treten, Gemeinschaft als stützende, herausfordernde wie bereichernde erscheinen ließen.

Es sind für mich Erfahrungen im ursprünglichen Verstand: das, was mir begegnet, begegnen kann, wenn ich aus-fahre; es sind für mich Erfahrungen im Sinne der Hegelschen Negativität – von Wider-fahrnissen sprechen wir (in der Theologie z. B. bei der Interpretation der Ostererfahrungen), also Erfahrungen, die Bisheriges durchkreuzen, erschütternd und umstürzend sein können, zumindest jedoch völlig unerwartet gemacht – ja eben gerade nicht gemacht werden! Was mir biographisch begegnete, konnte ich adäquat reflektieren, als ich mich in meiner Dissertation mit Hans-Georg Gadamers Hermeneutik und seiner Konzeption von Erfahrungen auseinandersetzte. Über Rahners Freiheitsbegriff wollte ich schreiben, weil dessen Offenbarungsbegriff – Offenbarung als Selbstmitteilung, als Gott-Mensch-Dialog und nicht als autoritärer Monolog – zu meinen Erfahrungen, ja auch zu meinen Sehnsüchten, passte und in Artikel 2 der Offenbarungskonstitution DV lehramtlich festgehalten wurde: „In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freundinnen und Freunde und verkehrt mit ihnen, um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen.“

Statt Rahner und Freiheit – die Rehabilitierung von Autorität und Tradition bei Gadamer? Das passte nicht nur zur Verschärfung des Problems, es ergaben sich auch Lösungsperspektiven: Erfahrung als Widerfahrnis und die Vollendung von Erfahrung als Offenheit für neue Erfahrungen. Hölderlins „seit ein Gespräch wir sind“ hätte ja schon damals der Startschuss zu einer Kommunikativen Theologie sein können! Dass ich von der Fundamentaltheologie in die Dogmatik wechselte, resultierte in der Tat aus dem Interesse an einem relationalen Personbegriff, der – bei aller je größeren Unähnlichkeit, wie wir in unserem Analogie-Jargon sagen – im Gottesbild grundgelegt ist und Mensch, Gesellschaft und Kirche bestimmen sollte. Ich danke meinen theologischen Lehrern, die mir diesen Weg ermöglicht haben: Josef Schmitz († 12. Oktober 2013), Karl Lehmann und vor allem Theodor Schneider, bei dem und mit dem ich zwölf Jahre als Assistent arbeitete und der heute hier ist! Und deshalb jetzt:

4. … und Dank für Gemeinschaftserfahrungen

Was im beruflichen Umfeld thematisch wurde, durfte ich leben: die eheliche Communio-Partnerschaft mit Theresia – dazu sage ich in diesem Rahmen nur, wie bereichernd der Austausch der Erfahrungen, Lektüren und Reflexionen zwischen unseren zwei Berufsfeldern ist. Dann die familiale Communio mit unseren Kindern, inzwischen auch Schwiegerkindern und den Enkeln, die mir schon Stichworte für die nächste Predigt und Vorlesung liefern.

Dank sage ich auch meinen/unseren Verwandten, den Freundinnen und Freunden, den Gemeinden und ihren Pfarrern, Direktor Kilian Nuß, Spiritual Rudolf Hagmann und den Repetenten, mit denen ich in meinen ersten fünf Tübinger Semestern im Wilhelmsstift eine anregende Communio leben durfte. Diese Dankabstattung ist keine private Fußnote; meine Theologie – wenn es denn so etwas wie meine gibt – lebte und lebt wesentlich auch aus diesen Begegnungen. Dazu gehören auch die gemeinsamen Fahrten mit Weihbischof Johannes Kreidler zu Kommissionssitzungen der Bischofskonferenz, wo wir es beinahe geschafft hätten, ein Arbeiten im Stile Kommunikativer Theologie einzuführen. Selbstverständlich schließe in diesen einschlägigen Dank die Kolleginnen und Kollegen ein, besonders diejenigen, mit denen ich gemeinsame Lehrveranstaltungen durchführte; ich erwähne nur die seit 12 Jahren bestehende Kooperation mit Albert Biesinger in unserer gemeinsamen Sakramentenvorlesung und die Theologie-Literatur-Seminare mit Karl Josef Kuschel und Ottmar Fuchs. Essentiell für mein Theologisieren waren und sind nach wie vor Kollegen aus der evangelischen Fakultät und seit kurzem auch Kollegen aus dem Zentrum für islamische Theologie.

Schließlich gehören zum Kontext meines Lehrens und Lernens die langjährigen Assistenten Annemarie Mayer (inzwischen Professorin an der Katholischen Universität Löwen) und Bernhard Nitsche, die Mitarbeiterin und der Mitarbeiter der letzten Jahre: Christine Jung und Vladimir Latinovićc. Und ich möchte die Sekretärinnen Frau Fischer, Frau Kreitz, Frau Hack, Frau Beck nicht vergessen und die langjährige Sekretärin am Lehrstuhl Schneider und Freundin der Familie Frau Gisela Baum – schließlich auch alle wissenschaftlichen Hilfskräfte unserer Communio am Lehrstuhl und im Institut.

Mein Zwischenergebnis lautet also nach selbstkritischer Prüfung: Was mich trägt bei meinen Versuchen, Communio-Ekklesiologie als Kommunikative Theologie zu entwickeln, sind nicht Projektionen, sondern Erfahrungen. Zu welchen vorläufigen Ergebnissen bin ich gekommen, sind wir gekommen, wie ich konsequenterweise sagen sollte?

5. Was für Communio spricht

Aus den Erfahrungen folgt nicht, dass mit Communio gearbeitet werden muss. Der Begriff könnte auch im Giftschrank stehen! Ganz so wie O. H. Pesch einmal empfohlen hat, die Rede von der Kirche als Sakrament für einige Zeit in diesen Schrank einzuschließen – die gemeinte Sache kann auch auf andere Weise zur Sprache gebracht werden.

Was spricht dennoch für die Verwendung dieses Begriffs?

Ich lenke unsere Aufmerksamkeit auf drei Erfahrungsfelder: Gesellschaft, Ökumene, die eigene römisch-katholische Kirche.

5.1 Tendenzen in unseren Gesellschaften


Wenn in Feuilletons und medienwirksamen philosophischen Analysen vom gesunden Egoismus die Rede ist, dann dokumentiert das im Sinne eines Pendelrückschlags oder zumindest als Kompensation, dass das „Wir“ seit Jahrzehnten als Schlüsselwort gesellschaftlicher Bewegungen fungiert. Die Bandbreite reicht von „Wir sind das Volk“, „Wir sind Kirche“ bis zu „Das Wir entscheidet“. Hans-Joachim Sander würde sich dagegen wehren, wenn wir im Blick darauf von Utopien sprächen. Nein, dieses „Wir“ ist kein Nicht-Ort, sondern ein anderer Ort, ein Fremd-Ort; angesichts des Bestehenden, Dominierenden ein Zweit-Ort, also: Heterotopie.

Wer googelt, wird ein Fülle von weiteren Belegen finden. Für mich war interessant, dass das gesellschaftliche Wir auch als „Gemeinschaft“ artikuliert werden konnte, z. B. auf den Straßen Belgrads, wo die Menge skandierte „Gemeinschaft, Gemeinschaft!“ Sobonorst und Solidarność sind nicht weit davon entfernt. Bischof Desmond Tutu hat in seiner Weltethosrede auch das Zulu-Wort Ubuntu in diesen Kontext gestellt. Sobornost, gebildet aus sobor (Konzil als Gemeinschaft von Bischöfen, Priestern und Laien), bezeichnet nach Chomjakov und Bulgakov eine „geistliche Einheit“ – „es hat dem Heiligen Geist und uns gefallen“ (Apg 15, 28) – deren Gegenstück die „seelischkörperliche Einheit“ des Herdentums bildet.

Gleichwohl zeigt sich auch hier eine grundsätzliche Ambivalenz: Während die einen mit Parolen wie „Wir sind doch alle Brüder und Schwestern, Genossinnen und Genossen“ usw. angesichts bestehender Diskrepanzen, Differenzen und Dissoziationen das Wir der Gemeinschaft beschwören, schwören sich andere auf die Heterotopie ein: „Nicht ihr, wir sind das Volk, die Gerechten, die wahren Erben, die Gesellschaft von morgen“, usw.


Die Alternative auf dieser Ebene lautet also nicht primär „Ich oder Wir“, das Ego oder die Gemeinschaft, sondern Wir hier und Ihr da. Angesichts bestimmter christlicher Traditionen sollten wir nicht unterschlagen, dass die offizielle römisch-katholische Bestimmung des Verhältnisses von Ich und Wir noch immer unausgeglichen erscheint. So hat z. B. auch das Zweite Vatikanische Konzil zwar die Berufung und Sendung aller, also des Wir der Getauften, neu ins Bewusstsein gehoben; von Freiheit und Verantwortung des Individuums ist jedoch wenig die Rede – und das kann durch die Rede von der Würde der Person nicht adäquat kompensiert werden, wie ja die nachkonziliaren Auseinandersetzungen etwa um Pluralität und Dissens vor Augen führen.

Gewiss, der Begriff der Person hat wesentlich christliche Wurzeln. Aber seltsamerweise weist er Amputationen nach zwei Seiten auf: Auf der einen führte er nicht zu einer Würdigung der Subjektivität – die Berufung auf subjektive Erfahrungen wurde als Modernismus verdächtigt; auf der anderen Seite wurde die Beziehung zu anderen Personen (trotz aller Rede von den innertrinitarischen Relationen) nicht als substanziell für das Personsein angesehen. Es waren jüdische Denker und dann diverse Humanwissenschaften, welche das Sein und Werden in Beziehung unübersehbar machten. „Bezogene Individualität“ nennt das der systemische Familientherapeut Helm Stierlin; Hirnforscher sprechen vom Hirn als sozialem Organ, und Dawkins Theorie vom „egoistischen Gen“ wird heftig widersprochen. Zum Lernprozess römisch-katholischer Lehrentwicklung gehörte darüber hinaus, das Beziehungsgeschehen nicht auf das Interpersonale zu beschränken. Erst mit der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute wurde durch Berücksichtigung soziologischer Erkenntnisse Gesellschaft als dritte Größe neben den Subjekten und den sog. objektiven Lebensbedingungen berücksichtigt.

Ein weiteres Zwischenergebnis lautet also:

Sofern eine Communio-Theologie sich um eine Ich und Wir gerecht werdende Balance bemüht, kann sie Einsichten und Impulse in den gesellschaftlichen Wir- bzw. Gemeinschaftsdiskurs einbringen. Denn dort ist genau dies Thema, wie ich z. B. der Ankündigung zum 17. Philosophicum Lech entnehme: „Ich. Der Einzelne in seinen Netzen“. Die werbende Problembeschreibung, der Beipackzettel, lautet: „Unsere Gegenwart ist von einem seltsamen Widerspruch gekennzeichnet: Auf der einen Seite beklagen wir einen zunehmenden Individualismus und Egoismus, der alle Bereiche unseres Lebens durchzieht: Das ‚Ich‘ steht im Vordergrund, die ‚Ich-AG‘ muss florieren, das ‚Selbst‘ muss verwirklicht werden. Auf der anderen Seite kann man den Eindruck bekommen, dass die Individualität und damit die Einzigartigkeit der Menschen verschwinden: Der Gruppendruck nimmt zu, Teamfähigkeit ist eine wichtige Kompetenz, wer nicht im Social Web seine Freunde und Adepten gefunden hat, gilt zunehmend als Außenseiter. Der Widerspruch zwischen Ich und Gemeinschaft, zwischen dem Einzelnen und der Welt, in der dieser lebt, gewinnt unter den aktuellen Bedingungen neue Konturen, Schärfen und paradoxe Ausprägungen.“

5.2 Um der Ökumene willen

Als ich 1996 von Hans Küng, dem ich für sein Vertrauen hier ausdrücklich danken will, die Leitung des Instituts für Ökumenische Forschung übernahm, habe ich mich um neue bzw. erneuerte kommunikative Vernetzungen bemüht, vor allem durch die Mitarbeit in der Societas oecumenica, der europäischen Gesellschaft der Ökumene-Institute und Forschungsstätten, sowie durch die Kreierung des Ökumene-Dreiecks Straßburg-Bensheim-Tübingen. Angesichts der vatikanischen Beipackzettel war zu verdeutlichen, dass es auch eine römisch-katholische Communio-Ekklesiologie geben kann, die wahrhaft katholisch und damit ökumenisch ist. Weil „koinōnia/communio“ mehr und mehr zum ekklesiologischen Schlüsselbegriff in der ökumenischen Theologie wurde – bis hin zum jüngsten lutherisch/römisch-katholischen Dokument „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“, womit eine zentral verwaltete Kirchenuniformität völlig unvereinbar ist –, wehrte und wehre ich mich dagegen, diesen Begriff in unseren Giftschrank zu stellen. Dann hängt freilich alles von den Ingredienzien dieses Medikaments zur Erneuerung des kirchlichen Lebens ab. Nach wie vor halte ich die sechs Aspekte, die unsere Freunde vom Straßburger Institut (die leider wegen der Sommerakademie heute nicht hier sein können) schon 1990 festgehalten haben, als wegweisend und maßgebend. Ihnen zufolge will der Begriff „communio“ uns sagen: Kirche ist eine Gemeinschaft in Christus; als solche ist sie „ihrem Wesen und nicht nur dem Belieben nach“ eine „solidarische [und] verpflichtete Gemeinschaft“. Mit Blick auf die Kirche ad intra, also binnenorientiert, wird die Communio als eine, die „partikulär und universal zugleich“ ist, sowie als eine „vielgestaltige“ bezeichnet; ad extra wird sie in Parallele zur Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils (Lumen gentium 1) „Zeichen und Werkzeug für das Heil der Welt“ genannt.

Mit den Stichworten „solidarisch“ und „verpflichtet“ greifen die Straßburger biblischen Sprachgebrauch auf. Ihre Stellungnahme trägt den Untertitel „Ein neutestamentlich-frühchristlicher Begriff und seine heutige Wiederaufnahme und Bedeutung“. Koinōnia bezeichnet nämlich im NT nicht nur das, was wir als erstes wohl assoziieren und was in den einschlägigen kirchlichen Verlautbarungen fast monopolartig hervorgehoben wird: die im Abendmahl/in der Eucharistie geschenkte Gemeinschaft (koinōnia) mit Christus und untereinander. Die Einheitsübersetzung übersetzt übrigens das koinōnia in 1 Kor 10,16 mit Teilhabe: „Ist der Kelch des Segens … nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi?“ Beide Male steht da im Griechischen koinōnia. Diese Gemeinschaft verpflichtet. Die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland nannte es vor vierzig Jahren „den Preis der Orthodoxie“, dass wir nicht nur das eucharistische, sondern auch das tägliche Brot teilen. Solidarität über die Grenzen der eigenen Gemeinschaft hinaus ist die in Röm 15, 26 von Paulus erwähnte Sammlung Achaias und Mazedoniens „für die Armen unter den Heiligen in Jerusalem“. Sammlung ist hier die Bedeutung von koinōnia. Und die Verbform (ekoinōnäsan) steht im folgenden Vers, der uns die theologische Begründung für die Entsprechung von Grund und Gestalt quasi auf dem neutestamentlichen Medikamententablett serviert: „Sie haben das beschlossen, weil sie ihre Schuldner sind. Denn wenn die Heiden an ihren geistlichen Gütern Anteil erhalten haben (ekoinōnäsan), so sind sie auch verpflichtet, ihnen mit irdischen Gütern zu dienen.“ In gewisser Weise führt Apg 2,42 zusammen, was zusammengehört: „Sie hielten fest an der Lehre der Apostel und an der Gemeinschaft (koinōnia), am Brechen des Brotes und an den Gebeten.“

Noch eine etymologische, das heißt eine an die Sprachwurzel reichende Bemerkung, die ich auf meine Kappe nehme: Communio ist nicht zusammengesetzt aus comm-unio, in dem Sinn also keine Verstärkung des Einheitsaspekts. Com-munire bedeutet allerdings „stark befestigen, verschanzen“; moenia sind die Mauern. Das würde der Verwendung von com-munio als Beschwörungsformel Vorschub leisten: zusammenhalten innerhalb unserer Mauern.

Im Sinne von „stärken, sichern“ könnte freilich auch eine universelle, jedenfalls eine weiter reichende Solidarität gemeint sein. Da communicare aus der gleichen Wurzel gebildet ist, würde ich das Eigenschaftswort com-munis auch mit „im Gespräch sein“ wiedergeben und com-munio als Kommunikationsgemeinschaft verstehen. Com-munitas schließlich steht nicht nur für Gemeinschaft, sondern kann auch Gemeinschaftsgeist und Leutseligkeit bedeuten. Und ganz zum Schluss gebe ich wenigstens zu erwägen, ob nicht auch die Bedeutung von munus, nämlich Amt, Aufgabe, Dienst einerseits und Geschenk, Gabe andererseits in com-munis hineinspielen könnten: Dienst an dem Gemeinsamen (communis kann auch „allgemein“ und „öffentlich“ bedeuten) als Gabe und Teilhabe an einer gemeinsamen Gabe – womit wir wieder bei der Bedeutung von koinōnia in 1 Kor 10,16 wären.

Zwischenbilanz

In Christus – Zeichen und Werkzeug: diese theologische Ortsbestimmung der Kirche verlangt nach ihr entsprechenden Strukturen. Solidarisch und verpflichtet sind erste Markierungen; was das Verhältnis von Partikularität und Universalität und die Wertschätzung der Vielgestaltigkeit angeht, können die Konfessionskirchen in der Ökumenischen Bewegung viel voneinander lernen. Dass dieser Prozess Zeit braucht, dass er Ängste hervorrufen, aber auch sehr bereichern kann, haben Studierende in unseren Ökumene-Seminaren ebenso lernen können wie wir im Forschungskreis Kommunikative Theologie.

5.3 Innerkatholische Strategie: die notwendige Entsprechung

Um der Ökumene willen wollte und will ich an dem Begriff der Communio festhalten. Deshalb lasse ich ihn mir auch innerkatholisch nicht nehmen. Und deshalb appelliere ich: „Vergiftet uns the gift nicht“, the given We, das geschenkte Wir, ein von Matthias Scharer in unseren Diskurs eingebrachte Formel.

Vergiftet werden Diskurs und Praxis des Wir, der Communio, wenn theologischer Grund und ekklesiologische und ekklesiopraktische Gestalt, also Kirche in Theorie und Praxis, sich kaum noch entsprechen. Die Unterscheidung von Grund und Gestalt wurde von unseren evangelischen Kolleginnen und Kollegen in die ökumenische Ekklesiologie eingebracht. Sie wurde inzwischen zur Trias Grund-Gestalt-Ordnung erweitert. Was steckt dahinter?

Grund der Kirche ist das Heilshandeln des „unsichtbaren Gottes, der aus überströmender Liebe die Menschen anredet wie Freundinnen und Freunde und sie in seine Gemeinschaft einlädt“ (vgl. DV 2). Wenn das Heilshandeln Gottes nicht nur dem Individuum gilt, dann ist die Kirche nicht die nachträgliche Addition je für sich erlöster Individuen, sondern von vornherein eine Gemeinschaft von Individuen. Dann muss ihre Gestalt eine Gestalt der Gemeinschaft von Individuen sein. Für eine solche sind verschiedene Ordnungen denkbar, sie werden ja selbst in der römisch-katholischen Gestalt von Kirche praktiziert, wenn auch vielleicht eher noch beargwöhnt. Verschieden können nicht nur die Ordnungen sein, sondern schon die Gestalten, sofern sie nur auf den Grund hin transparent bleiben. Mein Vorgänger auf dem Lehrstuhl, Walter Kasper, der sich als Bischof vor zwanzig Jahren meine Communio-Vorlesung anhören musste, hat eine Wendung seines Vorvorgängers in der Leitung des Einheitsrates aufgegriffen und von „Kirchen verschiedenen Typs“ gesprochen. Es gibt dann eine „katholische Gestalt“ – katholisch wird hier dann deskriptiv zur Beschreibung von Kirchen mit einer bestimmten Sakraments- und Ämterstruktur verwendet – eine „reformatorische Gestalt“, eine „freikirchliche“ oder eine „kongregationalistische“.

Die Gestalten, die in sich nochmals unterschiedlich geordnet sein können (so etwa lutherisch, reformiert oder uniert), können selbst legitimerweise verschieden sein, sofern sie nur – wie gesagt – auf den Grund hin transparent sind. Dies ist z. B. nicht der Fall, wenn eine Konfessionskirche nach Art einer Monarchie oder einer absoluten, zentralistischen Herrschaft gestaltet wird. Hier ist Einspruch im Sinne einer negativen Theologie notwendig, also eine ecclesiologia negativa. Das meint: Es ist zwar nicht möglich, auf positivem Weg aus dem Grund der Kirche eine einzige gültige Gestalt zu deduzieren oder gar noch deren Ordnung abzuleiten. Aber es ist notwendig, im Sinne einer ecclesiologia negativa inadäquate Gestalten, also solche, die den Blick auf den Grund verstellen, auszuschließen.

Zwischenbilanz


Wenn Christen glauben, dass Gott das Heil des Einzelnen als Individuum in der Gemeinschaft will, dann müssen die Kirchen, sofern sie Zeichen und Werkzeug genau dafür sein wollen, sich eine diesem Heilswillen angemessene Gestalt geben. Wird „communio“ als Beschwörungsformel eingesetzt, als beschwichtigende Käseglocke über den real existierenden hierarchisch-zentralistischen Katholizismus gestülpt, dann widersprechen sich Grund und Gestalt. Genau dies wird durch eine Communio-Ekklesiologie, deren Eckpunkte die Straßburger Kollegen namhaft gemacht haben, aufgedeckt. Einschlägige nachkonziliare Verlautbarungen fallen hinter den Aufbruch des Konzils zurück, das „communio“ und „participatio“, also Teilhabe am Gemeinsamen und Verantwortung für dieses, miteinander verschränkt. Das hat mich gereizt: Gerade mit „communio“ angebliche Communio-Ekklesiologien zu entlarven. Aber jetzt kommen wir auch zu den

6. Grenzen des WIR


Ich hatte erwähnt, dass es inzwischen Plädoyers gibt, welche die Aufmerksamkeit auf das Ich lenken wollen. Inwieweit das – auch aus der Sicht einer Kommunikativen Theologie – berechtigt ist, klang wenigstens an und kann in unserem neuerarbeiteten Grundlagenband nachstudiert werden. Sozusagen von der anderen Seite her werden Communio-Ekklesiologie und Kommunikative Theologie angegangen, wenn von den Grenzen des Wir gehandelt wird.

Peter L. Berger, dem unsere Schwesterfakultät den Leopold-Lucas-Preis verlieh, hat eine umfangreiche soziologische Untersuchung zu den Grenzen der verschiedenen Wir-Formationen mit herausgegeben. Davon kann unsere Arbeit in der Kommunikativen Theologie ebenso profitieren wie von der Studie Udo Tietz’ über die Grenzen des Wir. Wir sind ja in unserem Forschungskreis während der Arbeit an den Dimensionen Kommunikativer Theologie (in Kurzform: Ich – Wir – Es – Globe) deutlich an diese Grenzen gestoßen. Einerseits haben wir diese in der TZI unter aderen Faktoren genannten Eckpunkte „Dimensionen“ genannt, also ihre Erstreckung und Verschränkung mit bezeichnet. Schon für das Ich gilt „Wer bin ich – und wenn ja: wie viele?“ Das Wir haben wir, vor allem auf Grund der Interventionen im Interesse der Weltkirche, weit über die Grenzen der konkreten Arbeitsgruppe hinaus ausgedehnt. So, dass die Grenzen zwischen dem, was wir mit „Wir“, und dem, was wir mit dem „Globe“ bezeichnen, fließend geworden sind. Dahinter nehme ich die Intention wahr, dass wir zwei Haltungen nicht favorisieren wollten: die Binnenzentrierung, die zu einer Nabelschau degenerieren kann, und die Degenerierung der Arbeitsgruppe, selbst wenn sie auch durch freundschaftliche Bande verbunden ist, zu einem ideologischen Kollektiv. Bei der Arbeit am Wir hatten wir uns schließlich zu einer „plural-konfliktiven Katholizität“ bekannt. Als es dann darum ging, was das „Es“ in der Kommunikativen Theologie bedeutet, wurden Verschiedenheiten und auch Widersprüche unter uns deutlich – unvermeidlich, denke ich, wenn das Es nicht nur ein Projekt benennt, sondern eine Dimension darstellt und auch noch orientierende Funktion haben soll, die wiederum nicht nur aus den Quellen der eigenen religiösen Überlieferung schöpft. Folgerichtig lautet unser diesjähriges, derzeitiges Thema „Wir sind verschieden – was hält uns zusammen?“

Wir sind mitten im Prozess. Auch mit dieser Abschiedsvorlesung verabschiede ich mich nicht aus diesem Diskurs. Deshalb will ich wenigstens andeuten, was mir weiterhin zu denken geben wird. Durch die Fachliteratur meiner Frau Theresia bin ich mit den „Blüten der Paarbeziehung“ bekannt geworden. Es sind fünf: liebevolles Ineinander, alltägliches Miteinander, solidarisches Füreinander, glückvolles Durcheinander, notwendiges Gegeneinander.

Sofort ist klar: Eine Kirche als Communio und ein Forschungskreis können nicht Honig aus allen fünf Blüten saugen, weil es sich eben nicht um Paarbeziehungen handelt. So selbstverständlich scheint dies allerdings keineswegs zu sein, werden doch nicht selten persönliche Beziehungen und familiäre Konstellationen z. B. auf kirchliche Arbeitsverhältnisse übertragen. Das soll sogar in Fakultäten vorkommen! Für mich war hochinteressant, was David Bohm, der Atomphysiker, der um die Welt reiste, um Dialoggruppen zu initiieren, als das Freundschaftliche von Dialoggruppen bezeichnet hat: nämlich gerade nicht eine emotionale Verbundenheit, sondern eine im gemeinsamen Suchen nach dem, was für das Leben wichtig ist und trägt. Vielleicht sind wir Kirchenleute, Theologinnen und Theologen zwischen unseren Visionen und Projektionen, unseren Analysen und Träumen doch in bestimmter Hinsicht anfällig für emotional aufgeladene Communio – oder wir bleiben zur Vermeidung dessen lieber Einzelgänger. Drei Blüten könnten wir aber doch aufgehen lassen in unseren Communiones, in Forschungskreisen und Fakultäten: Pluralität als glückvolles Durcheinander und im notwendigen Gegeneinander immer ein solidarisches Füreinander. So möchte ich auch deuten, wenn derzeit wieder in Erinnerung gerufen wird, dass Ökumene mit Freundschaften begann und nur so wird wieder aufleben können. Wie auch immer man zu Jürgen Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns stehen mag, seine Beschreibung der dahinterstehenden Intuition lässt aufhorchen: „Es sind die Vorstellungen von geglückter Interaktion, Gegenseitigkeit und Distanz, Entfernungen und gelingender, nicht verfehlter Nähe, Verletzbarkeiten und komplementären Behutsamkeiten – all diese Bilder von Schutz, Exponiertheit und Mitleid, von Hingabe und Widerstand steigen aus einem Erfahrungshorizont des, um es mit Brecht zu sagen, freundlichen Zusammenlebens auf. Diese Freundlichkeit schließt nicht etwa den Konflikt aus, sondern was sie meint, sind die humanen Formen, in denen man Konflikte überleben kann.“

Wem Habermas zu elitär und der Rekurs auf die Blüten der Paarbeziehung zu abenteuerlich erscheint, könnte auch auf Axel Honneths Unterscheidung der Formen von Anerkennung zurückgreifen: Liebe, Recht, Solidarität. Alle drei spielen in der Kirche eine Rolle, aber die Unterscheidung der Formen des Wir ist dann unerlässlich, damit die Zuordnung der drei Formen jeweils passend wird. Hier ist weiterzuarbeiten. Dabei ließe sich auch anknüpfen an Honneths Differenzierung hinsichtlich des Wir in seiner dieses Jahr vorgelegten Monographie „Das Recht der Freiheit“. Unter der Überschrift „Soziale Freiheit“ (!) unterscheidet er: das „Wir“ persönlicher Beziehungen, das „Wir“ des marktwirtschaftlichen Handelns, das „Wir“ der demokratischen Willensbildung. Wird es einmal ein 4. Kapitel geben: das „Wir“ der Glaubensgemeinschaft? Im Forschungskreis werden wir jedenfalls weiter darüber nachdenken müssen, welches Wir wir denn sind und was uns zusammenhält. Der Austausch u. a. mit der Dramatischen Theologie kann uns helfen, zwischen Positionalität und Ausschlussmechanismen zu unterscheiden. Notwendig erscheint auch eine weithin noch nicht geführte Auseinandersetzung mit dekonstruktiven Positionen zum Konzept von Gemeinschaft, deren Kritik darauf zielt, „eine Gemeinschaftlichkeit zu denken, die mit Einheitsvorstellungen und einem als falsch empfundenen Repräsentationsdenken bricht und stattdessen auf der wechselseitigen Anerkennung von Differenzen beruht“.

So bleibt Gemeinschaft wie Freiheit, Vernunft oder Demokratie ein im Kerngehalt umstrittener Begriff, wie der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa gemeinsam mit seinen Mitarbeitern am Ende einer einschlägigen Untersuchung festhält: „Gerade weil [diese Begriffe] in ihrer Bedeutung notorisch unscharf sind, können sie als legitimatorische Formeln dienen, um hegemoniale Interessen und Zielvorstellungen zu stützen, aber auch kritisch gegen bestehende Sozial- und Herrschaftsverhältnisse gerichtet werden. Ihre Bedeutung bleibt notwendig umkämpft, weil sie je nach Verwendung in einer bestimmten Gruppe oder einem spezifischen Kontext ganz unterschiedliche Assoziationen und Erwartungen weckt.“

Konzept und Realisierung von Communio werden nicht nur durch Machtinteressen gefährdet, sondern auch durch selbstverschuldete Ohnmacht, durch mangelndes Selbstwertgefühl, das zu seiner Ausbildung wiederum die Gruppe braucht. Auch darauf macht Honneth aufmerksam, nämlich in einer seiner Studien zur Anerkennungstheorie unter der Überschrift „Das Ich im Wir“. In dem Kapitel „Konkurrenz und Kooperation“ seines neuesten Werkes „Zusammenarbeit. Was unsere Gesellschaft zusammenhält“ bezieht sich der in London und New York Soziologie und Geschichte kehrende Richard Sennett auch auf 1 Kor 12, 4: „Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist“. Nach Sennett ist „eine profane Version dieser biblischen Beobachtung [!] … die Tatsache, dass Altruismus für ein ‚Schatten-Ich‘ geübt wird“. Der Altruist ist ständig im Gespräch mit diesem Gefährten, er „lässt sich durch seinen inneren Dialog führen“. Das führt mich zu meinem letzten Punkt:

7. Der Geist der Communio


In meiner Arbeit an der Theologie des Heiligen Geistes ist mir, angeregt durch den leider schon verstorbenen Innsbrucker Kollegen Lothar Lies, das ‚Raum geben‘ als Charakteristikum dieses Geistes wichtig geworden. Der Geist der Communio ist nicht in besonderem Maße da spürbar, wo wir gemeinsam unter der Wärmedecke kuscheln, sondern wo wir einander Raum geben. Im Sinn der Pastoralkonstitution teilen wir „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ mit den Nahen wie den Fernen, die uns als Mitgeschöpfe eben gerade nicht fern sind. Im Geist dieser Communio befestigen wir (com-munire) Frieden, Gerechtigkeit und die Achtung vor der Schöpfung im Sinne der Nachhaltigkeit. Com-munire heißt für eine Communio-Ekklesiologie und eine Kommunikative Theologie nicht „sich einmauern“, sondern „andere schützen, stärken“.

Am Ganzen der Menschheitsgemeinschaft partizipieren und darin Ich selbst sein – das wäre das Ideal. Welche Einstellung dazu hilfreich sein kann, zeigt die folgende Geschichte: Ein Durchreisender fragt die Steinmetze auf der mittelalterlichen Baustelle: Was machst du da? Der erste antwortet: Ich behaue einen Stein. Der zweite gibt zur Antwort: Ich verdiene den Lebensunterhalt für meine Familie. Der dritte sagt: Ich baue eine Kathedrale.

Was den Geist der Communio ausmacht, habe ich entdeckt, als mir schlagartig aufging, was im IV. Hochgebet der Eucharistiefeier formuliert ist: „Damit wir nicht mehr uns selber leben, sondern ihm, der für uns gestorben und auferstanden ist, hat er als erste Gabe von Dir, Vater, für alle, die glauben, den Heiligen Geist gesandt.“ Nicht mehr ängstlich um mich selber kreisen müssen, ein paar Wimpernschläge mehr Geistvertrauen haben als Angst um die eigene Identität.
Ich habe hier im schwäbischen-weltoffenen Tübingen kein Hehl daraus gemacht, dass ich ein rheinischer Katholik bin, nicht nur, was den Dialekt angeht. Dazu stehe ich, und deshalb will ich mit einem Pfingst-Psalm des niederrheinischen Kabarettisten, Predigers und Mystikers Hanns-Dieter Hüsch diese Abschiedsvorlesung abschließen:

Was den Heiligen Geist betrifft


Gott ist nicht leicht
Gott ist nicht schwer
Gott ist schwierig
Ist kompliziert ist hochdifferenziert
Aber nicht schwer
Gott ist das Lachen nicht das Gelächter
Gott ist die Freude nicht die Schadenfreude
Das Vertrauen nicht das Misstrauen
Er gab uns den Sohn um uns zu (er)tragen
Und er schickt uns seit Jahrtausenden
Den Heiligen Geist in die Welt
Dass wir zuversichtlich sind
Dass wir uns freuen
Dass wir aufrecht gehen ohne Hochmut
Dass wir jedem die Hand reichen ohne Hintergedanken
Und im Namen Gottes Kinder sind
In allen Teilen der Welt
Eins und einig sind
Und Phantasten dem Herrn werden
Von zartem Gemüt
Von fassungsloser Großzügigkeit
Und von leichtem Geist
Ich zum Beispiel möchte immer Virtuose sein
Was den Heiligen Geist betrifft
So wahr mir Gott helfe. Amen.

Und damit verabschiedet sich Bernd Jochen Hilberath!

Summary


“Communio” has been regarded as a key concept of the Second Vatican Council since the Extraordinary Synod of Bishops of 1985. This assertion was connected to one’s clearly distancing oneself from the people of God theology. Since then, all theological concepts of a communio theology have been fraught with considerable risks and side effects. The option chosen here for a theology of communio / koinonia is based on the concept of communicative theology, takes the situation of ecumenical dialogue into account, and places its trust in that “which concerns the Holy Spirit.”

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