archivierte Ausgabe 4/2012 |
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Peter Hünermann |
Zum Streit über den Diakonat der Frau im gegenwärtigen Dialogprozess – Argumente und Argumentationen |
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Im Vorfeld des II. Jahrestreffens im Dialogprozess der Katholischen Kirche in Deutschland (14.–15. Sept. 2012) hat der Präsident des Zentralkomitees, Alois Glück, sieben Thesen veröffentlicht, die seines Erachtens für das Gelingen dieses Prozesses wesentlich sind. In These 5 schreibt er: „Der zweite Teil der deutlicher werdenden Aufgaben für uns Laien besteht darin, dass unser Mitwirken in den kirchlichen Gemeinden sehr viel stärker gefragt sein wird als bisher – aber dass ihm auch deutlich mehr eigenständiger Raum gegeben werden muss … Getauften und Gefirmten kann, muss man endlich entsprechende Verantwortung übertragen – für die Kirche vor Ort und in der Kirche vor Ort. Dazu gehört, auch die Charismen von Frauen anzuerkennen und zu fördern. Gerade weil Frauen schon heute die diakonische Arbeit auf vielfältige Weise leisten, erinnern wir an unsere Überzeugung, dass Frauen als Diakoninnen für die Verkündigung, für die Präsenz des Glaubens und der Kirche in den verschiedenen Lebensbereichen eine große Bereicherung sind“. Dem zuletzt zitierten Satz gegenüber vertritt eine Gruppe von Bischöfen eine gegenteilige Auffassung. So schreibt Kardinal Meisner:
„Allerdings erscheint es mir als fataler Zug unserer westlichen Kultur zu meinen, die Gleichheit von Frau und Mann in ihrer Würde und ihrer Bedeutung für die Kirche müsse sich niederschlagen in der Gleichförmigkeit ihrer Dienste. So wird heute immer lauter auch für Frauen der Zugang zu den kirchlichen Weiheämtern gefordert. Nachdem das päpstliche Schreiben ‚Ordinatio sacerdotalis‘ von 1994 verbindlich erklärt hat, die Kirche sei nicht bevollmächtigt, Frauen zu Priestern zu weihen, konzentriert sich die Diskussion auf den Diakonat der Frauen. ‚Ordinatio sacerdotalis‘ hat sowohl in dogmatischer als auch in disziplinärer Hinsicht neue Fakten geschaffen, und zwar nicht nur für das Priestertum, sondern für jedes Weiheamt der Frau. Zwar behandelt das päpstliche Schreiben nicht ausdrücklich die Diakonatsweihe von Frauen, bezieht sich aber in seiner Argumentation an keiner Stelle auf spezifische priesterliche Dienste, Gegebenheiten oder Eigenschaften. Vielmehr hat es Ursprung und Entwicklung des gesamten kirchlichen Amtes im Blick, das eben nicht nur Episkopat und Presbyterat, sondern auch den Diakonat umfasst (vgl. Lumen gentium LG 28 u. 29 u. a.)“.
Die im Folgenden vorgelegte Argumentation orientiert sich an der oben genannten theologischen Konklusion. Sie dient dem Ausweis, dass diese theologische Folgerung nicht begründet ist, und beschränkt sich in ihrer Argumentation strikt auf diese Fragestellung. Das heißt, es werden nicht angesprochen Fragen des Priestertums der Frau, noch werden die zahlreichen positiven Argumente zugunsten des Diakonats für die Frau eigens behandelt.
Der Typus der Argumentation, den die Herren Kardinäle Meisner und Scheffczyk sowie Herr Erzbischof Müller vertreten, stellt eine Wende in der jahrzehntelangen Auseinandersetzung um den Diakonat der Frau dar. Die zuvor geführte Diskussion bezog sich wesentlich auf die geschichtlichen Zeugnisse des Frauendiakonats bzw. der Diakonissen. Man denke etwa an die Arbeiten von Adolf Kalsbach, Robert Gryson, A. G. Martimort, die von einer Fülle anderer Forschungen begleitet und ausgeweitet wurden. Kennzeichnend für diese Publikationen war es, dass von den historischen Erörterungen her jeweils positive oder negative Beurteilungen der Möglichkeit oder der Unmöglichkeit einer Neugestaltung des Diakonats getroffen wurden. An diese Ergebnisse schlossen sich dann – im Fall einer Bejahung dieser Möglichkeit – in der Hauptsache gegenwartsbezogene Argumente pastoraler Art zur Einführung des Frauendiakonats in einer neuen Form an. Im Gegensatz zu diesen Argumentationsweisen wird in den oben angeführten Publikationen ein neuer Argumentationsstrang sichtbar. Die angeführten Autoren suchen – auch im Blick auf die inzwischen erfolgten historischen Forschungen zum Frauendiakonat – aufzuzeigen, dass die vorliegenden Zeugnisse die Dienste der Frauen betreffend sich von der Trias: Episkopat, Presbyterat, Diakonat nicht nur unterscheiden, sondern dass diese drei „männlichen“ Ministeria, und zwar von der nachapostolischen Zeit ab und durch die ganze Tradition hin, eine solche kompakte Einheit bilden, dass das Apostolische Schreiben „Ordinatio sacerdotalis“ vom 22. Mai 1994, das von der Priesterweihe von Frauen handelt, unmittelbar auch für den Ausschluss von Frauen vom Diakonat gilt, und zwar als eine sententia, die „von allen Gläubigen der Kirche definitiv festzuhalten ist“. Im Zusammenhang damit wird selbstverständlich auch auf die Antwort der Glaubenskongregation vom 11. Dez. 1995 verwiesen. Von dieser Argumentation her wird die Schärfe der Sprache verständlich, wenn Gläubigen, Frauen und Männern, Theologinnen und Theologen, die für den Diakonat der Frau eintreten, gesagt wird, dass sie das Fundament des Glaubens verlassen hätten. Um unseren Argumentationsgang transparenter zu machen, wenden wir uns zunächst der gegebenen Forschungssituation zu.
1. Anmerkungen zur jüngeren Forschungssituation
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Es zeichnet sich ein wesentlich plastischeres Bild von Frauen ab, die vor allem während des ersten Milleniums in den Kirchen des Ostens wie der lateinischen Kirche im Westen Diakone, Diakoninnen oder Diakonissen oder Kanonissen genannt werden. Sie nehmen öffentliche Dienste in den Gemeinden und Ortskirchen wahr.
Die Betrauung von Frauen mit der Wahrnehmung von öffentlichen Diensten in der Kirche und in den Gemeinden gibt es seit den apostolischen Anfängen der Kirche. Ein erstes Beispiel – der Römerbrief ist noch vor 58 n. Chr. verfasst – ist Phoebe, die Röm 16,1 als „Diakon der Kirche in Kenchraea“ vorgestellt wird. Paulus bezeichnet sie auch als prostatis.
Die lange Liste von Frauen in Diensten der Kirche, die sich an Röm 16,1 anschließt, ist im Verlauf der zurückliegenden zwanzig Jahre, aufbauend auf Vorarbeiten einzelner bahnbrechende Arbeit leistender Theologinnen und Theologen, intensiv weiter getrieben worden. Dies betrifft zum einen die exegetische Arbeit, die in enger Kooperation mit frühpatristischen Forschungen voran getrieben wurde. Ich verweise hier beispielsweise auf die Publikation von Johannes Hofmann, Zentrale Aspekte der Alten Kirchengeschichte, Würzburg 2012, der einen Überblick über die Entstehung und Entwicklung der kirchlichen Ämter und Dienste in den ersten drei Jahrhunderten gibt und dabei zugleich zahlreiche Literaturhinweise bietet. Ein eigenes Kapitel widmet Hofmann dem Thema: „Frauen als kirchlichen Autoritäten in altkirchlicher Zeit“, in dem er sorgfältig die Veränderungen und Ausprägungen, welche die Autoritätsausübung von Frauen in den Gemeinden und in den Kirche annimmt, historisch und soziologisch einordnet. Dabei profitiert er – wie andere Autoren – von den zahlreichen Untersuchungen zur Stellung von Frauen im kaiserzeitlichen Kleinasien.
Über die ausgezeichnete Zusammenfassung hinaus, die Dorothea Reininger in: Diakonat der Frau in der einen Kirche, Ostfildern 1999, über die Zeugnisse in Schrift und Tradition vorgelegt hat (a. a. O. 56–126) hat die Forschung nochmals Fortschritte gemacht. Exemplarisch sei auf die Publikation von Dietmar W. Winkler (Hrsg.), Diakonat der Frau: Befunde aus biblischer, patristischer, ostkirchlicher liturgischer und systematisch-theologischer Perspektive (Orientalia – Patristica – Oekumenica, Bd. 2), Wien – Berlin 2010, verwiesen. Es zeichnet sich ein noch deutlicheres Bild der Entwicklung des Frauendiakonats – und insgesamt der Ministeria von Frauen in den orientalischen Kirchen – ab. Vor allem auch der Übergang zur Diakoninnenweihe von Äbtissinnen und Jungfrauen der späteren Zeit sowie deren spezifische Aufgabenstellungen sind weiter geklärt worden. Die Wurzel dieser Entwicklung liegt in dem Faktum, dass vom 4. Jahrhundert an neben Diakoninnen, die im elterlichen Anwesen verblieben oder verheiratet waren, andere in „Parthenon“ genannten Häusern zusammen lebten, eine Tradition, die in Klöstern ihre Fortsetzung fand. Aufschlussreich sind die zahlreichen archäologischen Funde von Grabdenkmälern in Kleinasien, aber auch in Gallien, Italien, Dalmatien, Ägypten, Mesopotamien, Griechenland, Syrien und die Grabaufschriften, die oft die Tätigkeit der Diakonissen nennen.
Neu ist die Erschließung der Geschichte der Diakoninnen in einzelnen orientalischen Kirchen z. B. in der armenisch-apostolischen Kirche. Letztere steht in engem im Zusammenhang mit jeweiligen politisch-wirtschaftlichen Blütezeiten des armenischen Volkes, spielt sich wesentlich im zweiten Jahrtausend ab und dauert bis in unsere Tage hinein.
Die Ausbreitung des Diakoninnenamtes, die Bestellung von Frauen zu Diakonissen in der lateinischen Kirche dürfte entscheidende Impulse von der Entwicklung in den orientalischen Kirchen empfangen haben, insbesondere auch die lateinische Praxis, Äbtissinnen und Nonnen die diakonische Würde und den diakonischen Auftrag zuzuerkennen.
Hinsichtlich der Linie der geschichtlichen Zeugnisse für die Diakoninnen und Diakonissen zeigen sich allerdings gewisse Variabilitäten: - Hinsichtlich der Aufgaben und Kompetenzen: Dies betrifft die jeweilige Verschiedenheit der Abweichungen gegenüber den zeitgenössischen männlichen Diakonen und Abweichungen betreffend Aufgaben und Kompetenzen in den unterschiedlichen Kirchen und Kulturen; - hinsichtlich der Weiheformen und der Bezeichnungen der Weihehandlungen; - hinsichtlich unterschiedlicher Typen von Diakoninnen: Frauen, die, verheiratet oder nicht, unmittelbar den Bischöfen zuarbeiten und für Dienste zur Verfügung stehen, für die männliche Diakone nicht einzusetzen sind; Frauen, die zu Jungfrauen geweiht und damit personae publicae in der Kirche werden und die Sendung haben, das Opfer ihres Lebens in der Hingabe an ihren Bräutigam, Jesus Christus, dem Hohenpriester, darzubringen sowie diakonale Dienste für gewisse Personengruppen zu übernehmen; Frauen, die zu Äbtissinnen konsekriert und dabei mit den Insignien der Diakonin ausgezeichnet werden, als verantwortliche Leiterinnen ihrer Gemeinschaft mit oder ohne Jurisdiktionsgewalt. Schließlich gibt es sogenannte „Kanonissen“, Frauen, die Diakonissen sind und in den Registern des Klerus aufgezeichnet sind.
Trotz dieser Variabilitäten urteilt Corrado Marucci S. J. in seinem Artikel: „Storia e valore del diaconato feminile nella chiesa antiqua“, in: RDT 38 (1997) 771–795: „Es besteht kein Zweifel, dass über verschiedene Jahrhunderte hin die ungeteilte Kirche Diakoninnen hatte, die in einem analogen Ritus zu dem, der für Diakone gebraucht wurde, ordiniert wurden. Wir glauben nicht, dass die leichten Differenzen so gewichtig sind, dass sie den Historiker dahin bringen, eine substantiale Differenz zwischen beiden Riten zu konstatieren. Die konkrete Präsenz der Diakoninnen ist bis zum 12./13. Jahrhundert etwa registrierbar, vor allem im christlichen Orient (Syrien) und in der byzantinischen Kirche“ (a. a. O. 783 f.).
2. Wie beurteilt G. L. Müller den historischen Befund in seinem Beitrag „Können Frauen die sakramentale Diakonenweihe gültig empfangen?“
2.1 Zwei Beobachtungen
Der Verfasser stellt im letzten Abschnitt seines Beitrags fest, im Verlauf der Patristik sei es, vor allem im Osten, zur Ausbildung eines Diakonissen-Dienstes gekommen. Dieser Dienst aber habe nie einen sakramentalen Charakter besessen und habe dies auch gar nicht haben können. Wie gelangt der Verf. zu seiner These, die seiner Auffassung nach eine im Glauben verbindliche Aussage ist? Dazu zunächst äußerliche Beobachtungen: Während die genannten Variabilitäten bei den Diakoninnen/Diakonissen sofort für eine negative Antwort in Anspruch genommen werden, wird den Veränderungen hinsichtlich der Aufgaben und Kompetenzen des Bischofs, des Presbyters, des Diakons nicht nachgegangen.
Es gibt den schwierigen und nicht konfliktfreien Übergang des Presbyters im 3./4. Jahrhundert zum ordentlichen Verkünder des Evangeliums und zum ordentlichen Leiter der Eucharistiefeier. Ein Beispiel dafür bildet der Streit in der afrikanischen und der römischen Kirche, ob Presbyter den sonntäglichen Predigtdienst des Bischofs übernehmen dürfen, ein Streit, der bei der Priesterweihe Augustins greifbar wird und Papst Coelestin zu einer negativen Stellungnahme veranlasst. Ein Brief an die Bischöfe der damaligen römischen Kirchenprovinz legt davon Zeugnis ab.
Ein nächstes Beispiel: Erst im frühen Mittelalter wird dem Presbyter die priesterliche Kompetenz zum ordentlichen Spender der Lossprechung zuerkannt, und zwar durch die Ablösung der öffentlichen Beichte, zunächst in Gallien durch iro-schottische Mönche. Nicht reflektiert werden die Wandlungen des theologischen Verständnisses des Presbyterats, die sich mit der einsetzenden Weihe von Mönchen zu Priestern im Mittelalter mit der entsprechenden Einzelzelebration verbinden. Was hat sich verändert, wenn im 12./13. Jahrhundert der Presbyter der eigentliche sacerdos ist und der bischöflichen Konsekration kein sakramentaler Charakter mehr zugesprochen wird?
Hinsichtlich der Weiheformen und der Bezeichnungen der Weihehandlungen gibt es ebenso eine reiche Fülle von Variationen: Bekannt ist die Entscheidung des Konzils von Florenz im Dekret für die Armenier: „Das sechste ist das Sakrament der Weihe (sacramentum ordinis), deren Materie das ist, durch dessen Übergabe die Weihe gespendet wird: So wird das Priestertum übertragen durch die Darreichung des Kelches mit Wein und der Patene mit Brot; das Diakonat aber durch das Geben des Evangelienbuches … (DH 1326)… Die Form der Priesterweihe ist folgende: ‚Empfange die Vollmacht, das Opfer für Lebende und Tote in der Kirche darzubringen, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes‘. Und so bei den Formen der anderen Weihen, wie es im Pontificale Romanum ausführlich festgehalten wird“ (ebd.).
Die Variabilitäten hinsichtlich der unterschiedlichen Typen von Bischöfen und die zugrunde liegenden theologischen Konzepte sind nicht weniger gravierend als bei den Presbytern. Welchen Typ des Bischofs und welche theologische Konzeption von diesem Dienst repräsentiert etwa Ignatius von Antiochien gegenüber dem Typ des irischen Abtes, des mittelalterlichen oder neuzeitlichen Bischofsfürsten und gegenüber dem zugehörigen theologischen Konzept, das sich im „Dictatus Papae“ Gregors VII. oder der Bulla „Una sanctam“ Bonifaz VIII. ausspricht? Was verändert sich im „Bild“ des Bischofs, wenn im 20. Jahrhundert der Anteil der nicht-residierenden Bischöfe, d. h. der Bischöfe, die nicht einer Ortskirche vorstehen, auf nahezu 50 Prozent wächst und Leiter bzw. Sekretäre der römischen Kongregationen und Räte Bischöfe sind.
Was bedeutet schließlich das „Tiefgefrieren“ des Diakonats über rund eintausend Jahre hinweg?
Man kann sich schwer der Frage entziehen, ob die Variationsbreite bei Diakoninnen, Diakonissen, Kanonissen nicht eine erheblich kleinere Amplitude bildet als bei den männlichen Klerikern.
Es gibt schließlich sehr massive Begründungen, warum Frauen der Zutritt zum Altarraum, das Berühren heiliger Geräte etc. zu verbieten ist. Auf eine Nennung oder Einbeziehung solcher Fakten wird hier verzichtet.
2.2 Der Ausfall solcher Reflexionen ist begründet in der Sachlogik der vorgelegten Argumentation und der angewandten Hermeneutik
Um die Sachlogik und angewandte Hermeneutik zu erheben, sei zunächst der Argumentationsgang nachgezeichnet.
Die Sachlogik manifestiert sich deutlich in der Einleitung des zugrunde gelegten Artikels: „Können Frauen die sakramentale Diakonenweihe gültig empfangen?“ Nach einer ganz kurzen Erläuterung der Fragestellung: „Erstreckt sich die Lehrentscheidung von ‚Ordinatio sacerdotalis‘ nur auf die Bischofs- und Priesterweihe oder auch auf den sakramentalen Diakonat?“ wird die wesentliche These der nachfolgenden Untersuchung charakterisiert: „Die verbindliche Lehre von der wesenhaften Einheit des Sacramentum ordinis in Episkopat, Presbyterat und Diakonat, die im Ursprung der apostolischen Sendung gründet, die ausgeübt wird von den Bischöfen als Dienstamt in der Gemeinschaft cum adiutoribus presbyteris et diaconis (LG 19; 28; 29)“.
Diesem Gesichtspunkt entsprechend beginnt der Verfasser seine Darlegungen mit einem Abschnitt über „Das aktuelle Glaubensbewusstsein der Kirche“. Der erste Satz lautet: „Es ist eindeutige Lehre der Kirche, dass die Bischöfe ex divina institutione an die Stelle der Apostel als Hirten der Kirche getreten sind … Dieses Dienstamt haben sie übernommen ‚zusammen mit ihren Helfern, den Presbytern und den Diakonen‘ (LG 20)“. Diese drei Weihestufen bilden das eine Sakrament des Ordo. Der Bischof ist „mit der Fülle des Sakraments der Weihe ausgezeichnet“ (LG 26, 1). Dieses eine Amt übergibt er „vario gradu, variis subjectis“ – in vielfältiger Abstufung vielfältigen Trägern in der Kirche (LG 28, 1). Es handelt sich also um eine dogmatisch-theologische Abhandlung, nicht um eine Abhandlung historischer Art.
Im Anschluss an diese Skizze verweist der Verfasser auf das Trienter Konzil. Er merkt an, dass in diesem Dekret „der Unterschied zwischen Diakonat und den niederen Weihen nur relativ vage formuliert wurde“. Darauf, dass hinter der „vagen“ Formulierung die weitaus häufigere These der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Theologen steht, alle sieben ordines seien Sakramente, geht der Verfasser nicht ein. Es ist eine These, die Thomas von Aquin mit zahlreichen anderen Theologen vertritt. Die Herausgeber der Summa Theologiae des Thomas von Aquin, Turin 1948 – De Rubeis, Billuart, F. Fauscher OP – haben in einer redaktionellen Anmerkung zu STh, suppl. q. 37, a. 2: „Utrum sunt septem ordines“ eine Übersicht über die theologischen Qualifikationen beigefügt, die die Mehrzahl der Theologen um diese Zeit – also nach dem II. Weltkrieg – vertritt: „Ob alle genannten Ordines Sakramente sind? Antwort: 1. Das Priestertum (Sacerdotium) ist ein Sakrament: im Glauben sicher. 2. Das Diakonat ist Sakrament: so sicher, dass es ohne Unbedachtsamkeit (Verwegenheit, temeritas) nicht negiert werden kann. 3. Auch wenn es hinsichtlich des Subdiakonates nicht in gleicher Weise feststeht, ist es höchst wahrscheinlich, dass es selbst ein Sakrament ist. 4. Dass die niederen Ordines Sakramente sind, ist die allgemeinere und wahrscheinlichere Sentenz (Trid. Sess. 23 can 2 und can 3).“
Der Verfasser verweist ferner auf die Apostolische Konstitution Pius’ XII. „Sacramentum ordinis“ von 1947, die ausdrücklich die Einheit des Weihesakraments herausstellt, das durch Christus eingesetzt worden sei. Ebenso wird die Zugehörigkeit des Diakonats zu diesem Sakrament herausgestellt. Er unterstreicht, dass das II. Vaticanum die von Hieronymus und vom Ambrosiaster vertretene Lehre, die sich in breiter Weise bei den Theologen und Kanonisten durchgesetzt hat, die Bischofsweihe sei kein Sakrament, korrigiert hat. Ebenso erweise die Abschaffung der Ordines minores, dass sie nicht zum Weihesakrament gehören.
Aufgrund dieser Klärungen „ergibt sich, dass der Diakonat zur Substanz des Weihesakraments gehört, über die die Kirche keine Vollmacht hat“.
In diesem Sinne ist folglich die Definition des Trienter Konzils zu verstehen: Das Sakrament des Ordo ist eines der sieben Sakramente der Kirche; es ist von Christus eingesetzt (DH 1773; 1776).
In Bezug auf Thomas stellt der Verfasser fest, er habe die „im Glauben der Kirche verankerte Überzeugung von der Einheit des Weihesakramentes, zu dem sensu proprio nur Diakon, Presbyter und Bischof gehören, deutlich bezeugt“. Nach Thomas besitze er ja die „‚completio potestatis‘ innerhalb der Stufen des Weihesakramentes“. Dass Thomas dies ausdrücklich als „Würde“ (dignitas), nicht als Sakrament bezeichnet, bleibt unerwähnt.
Zur Erläuterung der Lehre vom einen Sakrament, das im Ministerium des Bischofs ganz gegeben ist und vario gradu variis subjectis übertragen wird, greift der Verfasser auf die Ausführungen des Thomas im Supplementum der Summa Theologiae zurück. Der nächste Abschnitt trägt die Überschrift: „Die geschichtliche Ausformung des Glaubensbewusstseins von der Einheit des Ordo“. In einem ungemein knappen Überblick nennt der Verfasser die Mitarbeiter des Paulus, ferner das Praescript des Philipperbriefes (Episkopen und Diakone) sowie weitere Bezeichnungen von „Ämtern der Vorstehenden“. Hinsichtlich der Unterscheidung von Episkopen, Hirten und Vorstehern auf der einen Seite und Diakonen auf der anderen Seite wird auf unterschiedliche Tätigkeitsbeschreibungen 1 Tim 3, 8–13 und Const. Apost. XIII, 46 verwiesen. In einer Anmerkung wird vermerkt, dass die Vorsteher, Hirten und Lehrer der Gemeinde nach Eph 4, 11 in „den judenchristlichen Gemeinden zuerst als Presbyter, in den heidenchristlichen Gemeinden eher mit dem Titel Episcopus bezeichnet worden“ seien. „Inhaltlich handelt es sich um das gleiche Amt der Lehrverkündigung und des Hirtendienstes.“
Den Schluss des Abschnitts bildet die knappe Feststellung, dass nach der apostolischen Gründungsphase „das dreigliedrige Gemeindeamt zu Beginn des II. Jahrhunderts deutlicher“ hervortrete. Es wird in dem ganzen Abschnitt keine exegetische Literatur angeführt. Stellung genommen wird in einer längeren Anmerkung gegen das Verständnis des Bischofsbegriffs vom profanen Gebrauch her: „Episcopus ist keineswegs von der Verwendung in der Profangräzität als bloßes kommunalpolitisches oder vereinstatuarisches Verwaltungs- und Aufseheramt aufzufassen“. Insgesamt sei das „Verhältnis Christi zur Kirche, zu den Aposteln und den daraus hervorgegangenen Ämtern nicht mit dem religionsgeschichtlichen Begriffspaar ‚profan – sakral‘ zu fassen“.
Der dritte Abschnitt trägt die Überschrift: „Die Profilierung einer von Episkopat und Presbyterat unterschiedenen Weihestufe des Diakons“. Dieser etwas längere Abschnitt setzt ein mit der Bestellung des Siebenerkreises durch die Handauflegung der Apostel (Apg 6). Man dürfe aber diese Einsetzung nicht einfachhin „im Sinne der ersten Stufe des dreigliedrigen sakramentalen Ordo“ verstehen. Es könnte sich historisch wohl um das Leitungsgremium der hellenistischen Gemeinde gehandelt haben. Sie gehörten zum Kreis „der führenden Männer“ (Apg 15,22), „die beim Apostelkonvent unter der Sammelbezeichnung ‚Apostel und Presbyter‘ begegnen (Apg 1,30; 15,2.6.22)“. Es sei aber immerhin deutlich, dass sich „die Verselbständigung eines eigenen Amtes als Dienst an den Menschen, besonders in ihren leiblichen und seelischen Nöten, dem Wirken des Geistes in der Urkirche und der Initiative der Apostel verdankt“. Im Blick auf die Pastoralbriefe wird festgestellt: „Timotheus … nimmt die Weisung des Apostel Paulus bezüglich der Diakone entgegen. Diese sind nicht Vorsteher der Kirche und wie diese unmittelbar verantwortlich für die Lehrverkündigung“. Wenige Zeilen später heißt es in derselben Art: „Schon Paulus hatte Timotheus aufgefordert, für die Bestellung weiterer Lehrer des Evangeliums zu sorgen“. Dazu wird auf 2 Tim 2,1 f. verwiesen. Das Fazit: „Die Einsicht, dass die Ämter des Bischofs, der Presbyter und Diakone im Stiftungswillen Christi und dem Wirken des Geistes bei der Entstehung und grundlegenden Entfaltung der Kirche in ihren konstitutiven Charismen, Diensten und Ämtern (1 Kor 12,4–6) und in der Gestaltungskompetenz der Apostel (Apg 6,4; 14,23; 20,28; Eph 4,11; Tit 1,5) verankert sind und somit zum gottgewirkten Wesen und zur sakramentalen Gestalt der Kirche gehören, verdichtet sich in der unmittelbaren nachapostolischen Zeit“. In diesem Kontext wird dann Didache 15,1–3 angeführt, wo die Gemeinde aufgefordert wird, sich Bischöfe und Diakone zu erwählen. Wie der Verfasser die „Gestaltungskraft“ der Apostel im Blick auf das sakramentale Amt versteht, geht daraus hervor, dass er trotz des pseudepigraphischen Charakters der Pastoralbriefe von der unmittelbaren Weihe des Timotheus durch Paulus (1 Tim 4,14; 1,18; 2 Tim 1,6) und der direkt auf Paulus zurückgehenden Anweisungen im Amtsspiegel des 2. Timotheusbriefs ausgeht. „Schon Paulus hatte Timotheus aufgefordert, für die Bestellung weiterer Lehrer des Evangeliums zu sorgen“.
Nach einschlägigen Zitaten aus 1 Clemens und den Timotheusbriefen heißt es dann wiederum bekräftigend: „Das dreigliedrige Amt ist also keine menschliche Schöpfung (de iure mere ecclesiastico) … Mit bloß profanhistorischen Mitteln vermag man die Geschichte der Kirche und die Profilierung ihrer Gestalt sowie die Ausbildung ihrer dogmatischen Lehrinhalte nicht adäquat zu erfassen, wenn man von der Tatsache der Offenbarung und ihrer spezifischen Form der Selbstvergegenwärtigung im menschlichen Medium der Gemeinschaft, der Glaubenden und der von Christus bewirkten sakramentalen Zeichen absieht. Die Kirche ist eine in der Offenbarung begründete sakramentale Wirklichkeit, deren Inhalt auch das maßgebende Prinzip ihrer Gestaltwerdung ist, die die Kirche unter der Leitung des Heiligen Geistes in der Form des dreigliedrigen Amtes definitiv rezipiert hat“. Den Schluss dieses Abschnitts bilden dann Zitate aus Ignatius von Antiochien, der Traditio apostolica, dem Katechismus Romanus sowie dem Trienter Ordensdekret und aus Texten des II. Vatikanischen Konzils (insbesondere Lumen gentium 29, Christus Dominus 15 und Ad gentes 16). Der Verfasser betont in Bezug auf LG 29, dass der Diakon zum „Ganzen des Ordo“ gehört, teilnimmt am „dreifachen Amt Christi“ (als Lehrer, Priester und Hirte)… „Seine Leitungsaufgabe ist Teilhabe am Hirtendienst Christi und zeigt sich mit einem besonderen Akzent im caritativen Bereich.“
Das dritte Kapitel trägt die Überschrift: „Das Amt der Diakonisse“. Die erste Zwischenüberschrift hat Frageform: „Ein Amt de iure ecclesiastico oder sakramentale Weihestufe?“ Diese Frage bezieht sich auf den geschichtlichen Befund. Sie wird im nächsten Abschnitt: „Das Diakonissenamt ein Amt de iure ecclesiastico“ durch eine systematische, theologische Reflexion beantwortet.
Der Verfasser eröffnet die erste Fragestellung, ob nämlich das Amt der Diakonisse ein Amt „de iure ecclesiastico“ oder eine sakramentale Weihestufe darstelle, mit der Feststellung, dass man ab dem 3. Jahrhundert „die Entwicklung zu einem spezifischen kirchlichen Dienstamt“ feststellen könne, das speziell Frauen übertragen wird. Er merkt zu diesem ersten Satz an: „Die umfangreichste Sammlung, Auswertung und theologische Interpretation aller Zeugnisse über das kirchliche, aber nicht sakramentale Amt der Diakonissen bietet Johannes Pinius, De diaconissarum ordinatione, in: Acta Sanctorum, September I Antwerpen 1746, I–XXVIII“. In der nächsten Anmerkung gleich darunter bezieht er sich auf François Hallier in seinem Traktat über den Ordo von 1636 und seine Beurteilung der Zeugnisse zum Frauendiakonat.
In seiner eigenen Interpretation sowohl in der Anführung von Zeugnissen wie in der Beurteilung dieser Zeugnisse schließt er sich dem Vorgehen von Pinius und Hallier weitgehend an.
Er schließt diesen Abschnitt mit der Feststellung: „Der sakramententheologische Befund ist eindeutig und lässt keine Zweifel zu, wenn man zur Interpretation des geschichtlichen Befundes eine konzise Theologie des Weihsakramentes zugrunde legt: Ein dem Diakonenamt innerhalb des dreigliedrigen Ordo entsprechendes Diakonat von Frauen hat es in den katholischen Kirchen legitim nicht gegeben. Die gegenteilige Meinung oder Praxis, die Frauen legitim und gültig den Empfang der Priesterweihe und Diakonenweihe zuspricht, wird klar als häretisch zurückgewiesen. Das Amt der Diakonisse ist vom Amt der Diakone ausdrücklich unterschieden. Es ist nicht das Diakonenamt, das auch von Frauen ausgeübt wird, sondern ein nur von Frauen ausgeübtes Kirchenamt, das freilich bei der Aufführung dieser Kirchendienste gelegentlich vor dem Amt der Subdiakone genannt wird und somit an der Spitze der kirchlichen Ämter de iure ecclesiastico zu stehen kommt (vgl. 1 Tim 3,11)“. Mit diesem hermeneutischen Zirkel als Grundlage der Interpretation von geschichtlichen Fakten ist die Beurteilung vorgegeben, wie es die „konzise Theologie des Weihesakraments“ – die der Verfasser vertritt – zulässt. Dieses hermeneutische Prinzip stellt nichts anderes als die Kehrseite der hermeneutischen Auslegungsprinzipien dar, die bereits die Fragen nach dem männlichen Diakonat geleitet haben. Bezüglich der Verbindung dieser „konzisen Theologie des Weihesakramentes mit dem historischen Befund merkt der Verfasser an: „Sachlich macht sich der Unterschied (zwischen Diakonissen und Diakonen, P. H.) fest an den dem Priesteramt spezifischen Funktionen, nämlich der Vorsteherschaft in Wortverkündigung, im Lehr- und Leitungsamt und der Vollmacht der Sakramentenspendung, besonders in der Zuordnung zur Eucharistie. Nur von daher lässt sich der spezifische Sinn der Einsetzung in das sakramentale Amt (de iure divino) oder in ein Kirchenamt (de iure ecclesiastico) festmachen“.
Zur Beantwortung des zweiten genannten Problems – das Diakonissenamt, ein Amt de iure ecclesiastico –, das im Prinzip bereits im voraufgehenden Abschnitt beantwortet ist, stützt sich der Verfasser einerseits auf die zahlreichen Texte, die von Diens ten der Frauen in den Gemeinden der frühen Kirche berichten – im NT wie in den patristischen Texten. Hier zeichne sich ein Zug zur Institutionalisierung ab, besonders was den Witwenstand angehe. Von hier aus ergebe sich eine Entwicklung, „an deren Ende die diakonischen Aufgaben der Gemeindevisitation von den gottgeweihten Jungfrauen geleistet werden, denen das Amt der Diakonisse übertragen wird … Von den Diakonissen führt womöglich eine Entwicklungslinie zu den Äbtissinnen, die auch diakonische Dienste ausüben“.
Dieses Kirchenamt aber war nach dem Autor nie ein sakramentales Kirchenamt, sondern lediglich ein Amt de iure ecclesiastico.
Wie wird die letzte These begründet? Müller greift hier auf die mittelalterliche Amtstheologie, und zwar auf Thomas von Aquin, zurück: „Für alle Theologen des Mittelalters, die bei der Ausbildung der Sakramententheologie die Substanz des Weihesakramentes aus dem Glaubensbewusstsein der Kirche erhoben haben, war klar, dass wegen der fehlenden Einsetzung durch Christus und die Nicht-Übertragung von Vollmacht hinsichtlich der Eucharistie oder zur Leitung der Kirche das Amt der Diakonisse nicht sakramentaler Natur ist“. Müller zitiert hier die Argumentation von Thomas Suppl. 37 a. 1.2 und 39, 1 und schließt seine Aussagen mit der Feststellung des Thomas: „Das männliche Geschlecht ist zum Empfang der Weihen von Sacerdotium und Diakonat notwendig, nicht nur de necessitate praecepti, sondern de necessitate sacramenti“. Daneben bringt er nochmals längere Zitate von Autoren wie Martimort, aber auch von Hans Jorissen, der auf dem Stuttgarter Kongress43 auf Bitten der Veranstalter über die theologischen Bedenken gegen die Diakonatsweihe von Frauen referiert hat, obwohl er als Theologe persönlich die Meinung vertritt, Frauen seien heute zum Weihesakrament zuzulassen. Man könne diese theologische Forderung aber nicht einfach aus der historischen Entwicklung und Reflexion ableiten. Hans Jorissen hatte damals jene Aufgabe übernommen, weil kein Theologe, der die Gegenthese vertrat, gewonnen werden konnte. Ferner findet sich ein längeres Zitat von Eva Maria Faber aus dem Artikel: Diakon, historisch theologisch, LThK 3, 179–181, die in ähnlicher Weise wie Hans Jorissen auf die Insuffizienz einer lediglich auf Tradition aufbauenden Argumentation hinweist.
Was ergibt sich als Sachlogik und Hermeneutik aus dem eben skizzierten Argumentationsgang? Das Ergebnis lautet: Es gibt in der Kirchengeschichte ein sich schrittweise herausbildendes Amt der Frauen, die Diakone, Diakonissen genannt werden. Dieses Amt ist ein Amt de iure ecclesiastico, d. h. kein sakramentales Amt, da zum sakramentalen Amt des Diakons de necessitate sacramenti das männliche Geschlecht erforderlich ist.
Mit der Anerkennung der schrittweisen Institutionalisierung eines kirchlichen Amtes öffnet sich der Autor offensichtlich den oben angeführten theologiegeschichtlichen Forschungen.
Wie steht es um den zweiten Teil seiner These? Dieses Ergebnis wird offensichtlich durch einen wiederkehrenden Zirkelschluss erzielt. Die „konzise Theologie des Weihesakraments“ wird in der Gestalt, wie sie sich bis zur Apostolischen Konstitution Pius’ XII. herausgebildet hat, in die apostolische Frühzeit zurückprojiziert und so als schlechthin von Gott durch Jesus Christus und die Apostel vorgegebene Konzeption charakterisiert. Sie leitet alle Beurteilungen und Interpretationen von geschichtlichen Fakten, die angeführt werden. Das II. Vatikanische Konzil wird zwar zitiert, die veränderte und wesentlich vertiefte Theologie des Dienstes in der Kirche aber wird nicht rezipiert.
Der Zirkelschluss, mit dem der Verfasser den zweiten Teil seiner These zu untermauern sucht, verdeckt ihm den theologischen Zugang zur heute angemessenen Beurteilung der Tradition und zu dem damit unlösbar verbundenen, theologisch durchreflektierten Glaubensverständnis der Kirche, wie es sich im II. Vatikanischen Konzil repräsentiert. Vereinfacht gesagt: Die theologische Folgerung, die der Verfasser vertritt: „Das männliche Geschlecht ist zum Empfang ‚der Weihe des Diakonats‘ notwendig, nicht nur de necessitate praecepti, sondern de necessitate sacramenti“ hat vom Verfasser nicht bedachte Voraussetzungen, die vom II. Vatikanischen Konzil korrigiert und umgeformt worden sind. Diese Voraussetzungen sind geschichtlicher und rationaler Art, die als konstitutive Momente wesentlich zum theologischen Urteil, das sich auf die Offenbarungs- und Überlieferungszeugnisse stützt, hinzugehören. Die historischen und rationalen Voraussetzungen, die von den Theologen des Mittelalters über Theologen des 17. Jahrhunderts bis zu Pius XII. gemacht wurden, sind von den Vätern des II. Vatikanums so modifiziert worden, dass sich eine Reform der Amtstheologie ergibt und in der Kontinuität in neuer Gestalt auftritt. Zur Begründung dieser Behauptung sollen im Folgenden der Sakramentsbegriff und der Begriff des Ordo im Blick auf die implizierten Voraussetzungen im Mittelalter und im II. Vatikanischen Konzil bedacht und von daher der Ausschluss von Frauen „de necessitate sacramenti“ vom Diakonenamt hinterfragt werden.
3. Zur Ausbildung des Sakraments- und Ordo-Begriffs im Mittelalter und zum Verständnis von Sakramentalität und Sakramenten im II. Vatikanischen Konzil
3.1 Der Sakramentsbegriff und seine Eigentümlichkeiten im Mittelalter
Die Ausbildung des Sakramentsbegriffs im Mittelalter vollzieht sich mit dramatischer Geschwindigkeit im Paris des 12. Jahrhunderts, und zwar in St. Victor und der Kathedralschule von Notre-Dame. Hugo von St. Victor, gestorben 1141, einer der berühmtesten Theologen seiner Zeit, bezeichnet den Ausgangspunkt der Bewegung. Sein Schüler, Petrus Lombardus († 1160), der von 1136 ab in St. Victor bei Hugo studiert, „markiert“ bereits den Zielpunkt der Bewegung. Hugo von St. Victor legt in seinem Traktat die „De sacramentis christianis fidei“ eine die augustinische Tradition und Gedanken des Pseudo-Dionysios aufgreifende Definition des Sakramentsbegriffs vor:
„Wenn aber jemand voller und vollkommener definieren will, was ein Sakrament sei, so kann er definieren, dass ein Sakrament ein körperliches oder materiales Element ist, äußerlich sinnlich vorgegeben, aus der Ähnlichkeit heraus repräsentierend, aus der Einsetzung bezeichnend und aus der Heiligung eine unsichtbare und spirituelle Gnade enthaltend. Diese Definition wird als so eigentümlich und vollkommen anerkannt, dass sie jedem und allein dem Sakrament als zukommend erfunden wird. Alles nämlich, was diese drei (Momente) hat, ist Sakrament und alles, was dieser Drei entbehrt, kann im eigentlichen Sinn kein Sakrament genannt werden“.
Wenn Hugo hier vom „Enthaltensein“ der Gnade in den Sakramenten spricht, so sieht er diese Gnade durchaus in ihrer Wirkmächtigkeit. Dass Hugo von St. Victor in dieser Definition die augustinische Tradition fasst und fortschreibt, zeigt sich sehr deutlich in seinen näheren Ausführungen über die Sakramente. Hugo hat – wie Augustinus – die gesamte Menschheitsgeschichte vor Augen, „vom Anfang der Welt an“: Es gibt Sakramente bereits in der Zeit der „lex naturalis“, Zeichen, in denen der Mensch seine Erlösungsbedürftigkeit anerkennt und zugleich zur Sehnsucht nach dem Heil erweckt wird; Sakramente in der Zeit des geschriebenen Gesetzes, des Alten Bundes und Sakramente des Neuen Bundes. Alle Sakramente der verschiedenen Heilsepochen aber sind von Jesus Christus eingesetzt und haben von ihm her ihre Wirkmacht. Hugo thematisiert dies in einem großen Bild:
„Wie nämlich könnte ich das menschgewordene Wort nennen, wenn nicht einen König, der in diese Welt durch das angenommene Menschsein eingetreten ist, um mit dem Teufel zu kämpfen und ihn alsdann gleichsam als einen Tyrannen und als einen, der in fremdem Eigentum gewalttätig herrscht, hinauszuwerfen? Und als was könnte ich alle früheren Heiligen bezeichnen, die vor der Fleischwerdung des Wortes von Anfang an erwählt waren, wenn nicht als eine Art hervorragender Soldaten, die dem kommenden König in der Schlachtreihe vorausgegangen sind und die durch die Sakramente selbst, durch die sie damals geheiligt waren, wie mit Waffen gerüstet und umgürtet waren? Als was ebenso diejenigen, die nach der Fleischwerdung bis zum Ende als Erwählte folgen, wenn nicht als andere Soldaten, die dennoch nicht einem anderen König, sondern demselben, der vorausgeht, einmütig und freudig folgten, die, selbst Neue, neue Waffen haben, dennoch aber von demselben bewaffnet sind und gegen denselben kämpfen? Daher tragen sie, sei es, dass sie vorausgehen, sei es, dass sie folgen, die Sakramente ein und desselben Königs, dienen ein und demselben König, überwinden ein und denselben Gewaltherrscher; jene, indem sie dem Kommenden vorausgehen, diese, indem sie dem Vorausgehenden folgen“.
Und Hugo fügt ausdrücklich hinzu: „Unde patet, quod ab initio etsi non nomine, re tamen Christiani fuerunt“. (Von daher ist offensichtlich, dass sie – wenn nicht dem Namen, so doch der Sache nach – Christen waren.) Nimmt man hinzu, wie Hugo von St. Victor die Sakramente einteilt und welche Sakramente er dabei auflistet, so sieht man deutlich, dass Hugo die Weite der augustinischen Sakramentalität im Blick hat, verbunden mit der konkreten alltäglichen Erfahrung der Menschen in ihrer christlichen Lebenswelt. Er teilt die Sakramente ein in sacramenta salutis, in denen primär das Heil besteht; zu ihnen zählt er Taufe, Eucharistie, die Weihe der Kirche, die Firmung. Daneben nennt er die Sakramente der Betätigung (exercitatio), wie das Sich-Besprengen mit Weihwasser, das Auftragen der Asche, Palmen- und Kerzenweihe, das Schlagen an die Brust, die Kniebeuge, die Gebete der Messe. Schließlich nennt Hugo die sacramenta praeparationis, die der „Vorbereitung und Verwaltung der übrigen Sakramente“ dienen: Ordination, Konsekration der heiligen Gefäße, Weihe der Gewänder und anderer Dinge. Bei den zeitgenössischen Kanonisten bildet sich – nicht ohne Beeinflussung durch Hugo – eine ähnliche, allerdings vierförmige Klassifizierung der Sakramente mit ähnlich vielen Sakramenten aus.
Inwiefern „markiert“ Petrus Lombardus mit seiner Sentenzensammlung, die wenige Jahre nach Hugo von St. Victor verfasst ist, einen neuen Schritt in der Entfaltung der Sakramentenlehre? Petrus Lombardus „markiert“ diesen Schritt, weil er zwar den entscheidenden Schritt tut, selbst aber noch gar nicht alle jene Konsequenzen zieht, die in seiner neu eingeführten Definition enthalten sind. Im vierten Sentenzenbuch schreibt er: „Sakrament im eigentlichen Sinne wird genannt, was so (in der Weise, P. H.) Zeichen der Gnade Gottes, Gestalt (forma) der unsichtbaren Gnade ist, das es deren Bild trägt und Ursache ist. Sakramente sind nicht um des Bezeichnens willen eingesetzt, sondern auch zum Heiligen“. Aufgrund dieser Definition sagt Petrus Lombardus sofort anschließend, dass man die sogenannten alttestamentlichen Sakramente besser lediglich „signa“, Zeichen, als Sakramente nennt: „Was nämlich allein um zu bezeichnen eingesetzt wurde, sind lediglich Zeichen, aber nicht Sakramente, wie es die fleischlichen Opfergaben und die zeremoniellen Vorschriften des Alten Testamentes waren, die niemals die Opfernden zu Gerechten machen konnten“. Dazu zitiert er Hebr 9, 13.
Die sakramentale Sicht der Heilsgeschichte wie des christlichen Lebens, wie sie Hugo in der augustinischen Sicht kennengelernt hat, wird von Petrus Lombardus offensichtlich nicht mitvollzogen. Mit der Summa sententiarum des Lombardus beginnt sich zugleich auch die Siebenzahl der Sakramente durchzusetzen. Der Lombarde statuiert im vierten Buch der Sentenzen: „Von den Sakramenten des neuen Gesetzes. Wir kommen zu den Sakramenten des neuen Gesetzes: Es sind dies die Taufe, die Konfirmation, die Segnung des Brotes, das heißt Eucharistie, die Buße, die äußere Salbung, der Ordo und die Ehe“.
Es wird weder auf die Schrift Bezug genommen, noch werden andere Gründe angeführt.
Weil die Sentenzen – mit durchaus guten Gründen – zu dem „Lehrbuch“ der mittelalterlichen Theologie werden, setzen sich beide Thesen – die Definition des Sakraments und die Siebenzahl – durch, allerdings mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. In Bezug auf die Rezeption der Siebenzahl in der Hochscholastik merkt Finkenzeller an: „Die Überlegungen über die Kongruenz der Siebenzahl der Sakramente durch die scholastische Theologie ist eines der überzeugendsten Beispiele für die Argumentationsweise in dieser Zeit. Nicht in einer kritischen Betrachtung der Heiligen Schrift oder gar der Geschichte wird die Frage nach der Siebenzahl der Sakramente beantwortet. Die Siebenzahl, deren Erkenntnis noch kein Jahrhundert zurückliegt, steht vielmehr fest; sie muss nun theologisch als angemessen, wenn nicht gar als notwendig erwiesen werden“.
In Bezug auf das Sakrament als „causa gratiae“ entsteht ein heftiger, langandauernder Streit. Thomas lehrt dann, lediglich Gott sei causa gratiae, die Menschheit Jesu Christi durch die Passion causa meretoria, die Sakramente als solche seien causa instrumentalis. Die Lehre des Lombarden trägt aber entscheidend dazu bei, dass das gesamte Heilsgeschehen unter dem Gesichtspunkt der Kausal-Ursächlichkeit betrachtet wird, eine Kategorie, die einem Kommunikationsgeschehen nicht adäquat ist.
Die Auffassung Hugos von St. Victor hinsichtlich der Sakramente in allen Epochen der Heilsgeschichte wird hingegen noch von allen großen Theologen der Hochscholastik vertreten. Die Auffassung des Petrus Lombardus setzt sich erst in der frühen Neuzeit durch.
Der Catechismus ad Parrochos Pius’ V. charakterisiert in seinem Traktat über die Sakramente im Allgemeinen in Nr. 9 „Die von Gott eingesetzten Zeichen im Alten wie im Neuen Testament“.
„Andere Zeichen sind von Gott nur deshalb den Menschen empfohlen worden, damit sie etwas bezeichneten oder anmahnten: dieser Art waren die gesetzlichen Reinigungen, das ungesäuerte Brot und viele andere (Dinge, P. H.), die zu den Mosaischen Kultzeremonien gehörten; andere (Zeichen, P. H.) hat Gott eingesetzt, die nicht nur die Kraft zum Bezeichnen, sondern auch zum Bewirken haben“. Zu letzteren gehören die neutestamentlichen Sakramente. Hier regieren Sprache und Konzeption des Petrus Lombardus.
3.2 Der Ordobegriff im Mittelalter und seine Eigentümlichkeiten
Die Konzeption des Ordo, wie sie sich im Mittelalter herausbildet, bewegt sich im Rahmen des Sakramentsverständnisses, wie es oben gekennzeichnet wurde. Die Suche nach einer Definition des Ordo setzt parallel im 11./12. Jahrhundert ein und artikuliert sich zunächst in der Frage, welche Dienste überhaupt zum Ordo zu zählen sind. Gratian übernimmt in sein Dekret die Liste von Isidor von Sevilla mit neun Graden und gründet damit eine lang anhaltende Tradition bei den mittelalterlichen Kanonisten. Ivo von Chartres († 1116) nennt sieben Grade. Psalmist und Bischof fehlen. Er begründet die Siebenzahl mit den sieben Gaben des Heiligen Geistes und dem Beispiel Christi, der diese sieben Grade ausgeübt habe. Petrus Lombardus übernimmt die Siebenzahl – zusammen mit seinem Lehrer Hugo von St. Victor – und legt eine erste Definition vor.
In den Kapiteln 1–4 fasst Petrus Lombardus zunächst die wichtigen Aussagen zusammen, die er aus der Tradition übernimmt: Die Siebenzahl der Ordines ist in der Tradition der Väter überliefert, im Beispiel Jesu Christi aufgezeigt und von ihm, seinem Leib, der die Kirche ist, übergeben (C 1). Sieben Ordines aber gibt es wegen der sieben Gaben des Heiligen Geistes, die jene, die zu den kirchlichen Graden Zugang erlangen wollen, bereits empfangen haben müssen. Diese sieben Gaben werden durch die Ordines, und zwar den verschiedenen Graden entsprechend, in einer sich steigernden Weise ausgegossen (C 2).
Die zu einem geistlichen Amt zu Erwählenden werden Kleriker, sie empfangen die „Krone“ oder Tonsur. „Krone nämlich ist ein Zeichen, durch das sie bezeichnet werden als jene, die zur ‚Teilnahme am Los‘ des göttlichen Dienstes bestimmt sind. Die Krone bezeichnet eine königliche Würde, und Gott dienen heißt herrschen. Ihnen sagt Petrus: „Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum etc.“ (C 4). Lombardus bezieht die Aussage in 1 Petr 2, 9 nicht auf das Volk Gottes, wie es im 1. Petrusbrief steht, sondern nur auf die tonsurierten Kleriker. Als Beispiel, wie der Lombarde die Ordines im Leben Jesu Christi vorgegeben sieht: Der Herr selbst hat in seiner Person das Amt des Ostiariers ausgeübt, „als er eine Geißel aus Stricken machte und die Verkäufer und Käufer aus dem Tempel jagte“.
In Bezug auf die Diakone zitiert Petrus Lombardus Isidor von Sevilla: „Zum Diakon gehört es, den Priestern zu assistieren und in allem, was sie in Bezug auf die Sakramente Christi tun, zu dienen, nämlich bei der Taufe, beim Chrisma, bei Patene und Kelch, die Gaben herbeizubringen und auf dem Altar anzuordnen, den Tisch des Herrn herzurichten und zu bekleiden, das Kreuz zu tragen, das Evangelium und den Apostel zu verkünden. Denn wie den Lektoren das Alte Testament, so ist den Diakonen das Neue zu verkünden aufgetragen. Ihm kommt ebenso die Aufgabe zu, die Gebete (zu verrichten, P. H.) und die Namen zu verlesen. Er ermahnt, die Ohren für Gott zu öffnen, er gibt den Frieden und er gibt die Ankündigung“ (C 10). Christus hat dieses Amt ausgeübt, als er beim Abendmahl das Sakrament des Leibes und Blutes seinen Jüngern gereicht hat (ebd.).
In Kapitel 12 schließlich lehrt Petrus Lombardus, dass zwar alle Ordines geistliche Ordines sind und damit heilig, dass aber zwei Ordines besonders herausragen, die deswegen heilige Ordines genannt werden: der Diakonat und der Presbyterat, welche die frühe Kirche alleine hatte und „von denen wir allein eine Anweisung des Apostels haben“ (C 12). Bereits in dem Abschnitt über den Diakon und den Priester hatte Petrus Lombardus ausdrücklich auf 1 Tim 3,1–7, Tit 1,5–9 und 1 Tim 3,8–13 hingewiesen. Ebenso erklärt er im Abschnitt über die Priester, dass Paulus im ersten Timotheusbrief unter dem Namen des Bischofs einen Presbyter bezeichnet.
Wie lautet nun die Definition des Ordo, die er ausdrücklich im Blick auf diese sieben Ordines formuliert? Der Lombarde fasst seine Definition in zwei Sätze: Der Ordo ist „ein gewisses Zeichen, das heißt etwas Heiliges, durch das eine geistliche Vollmacht dem Ordinierten übertragen wird und ein Amt (officium). Wo Beförderung (promotio) in der Vollmacht (potestatis) geschieht, wird der (entstehende, P. H.) geistliche Charakter Ordo oder Rangstufe (Gradus) genannt“.
Im Folgenden spricht Petrus Lombardus dann noch von anderen Würden und Ämtern, insbesondere vom Bischof, ein Name der Würde und des Amtes, kein Ordo. Er unterscheidet eine vierfache Bischofsordnung: den Bischof, den Erzbischof, Patriarchen, schließlich den Pontifex als „Fürsten der Priester“.
Mit der Rezeption des Petrus Lombardus wird seine Lehre vom Sacramentum ordinis in verschiedener Hinsicht konkretisiert und ausgefaltet. So wird im Blick auf die Gnade, welche das Sakrament des Ordo bewirkt, von einer Vermehrung der Tugenden gesprochen. Sie wird als gratia praerogativa bezeichnet. Zahlreich sind die Hinweise, dass der Weihecharakter entsprechend dem jeweiligen Gradus einen sich steigernden Vorrang mit sich bringt. Eine weitere wichtige Fortschreibung bringt Alexander von Hales in seiner Glossa zum Sentenzenbuch des Petrus Lombardus IV, 24, 2 an: Der Ordo ist ein geistliches Sakrament der Vollmacht hingeordnet auf ein Amt in der Kirche „ad sacramentum communionis“ – im Hinblick auf das Sakrament der Kommunion. Thomas von Aquin übernimmt diese Lehre und präzisiert sie nochmals. Thomas weist zunächst die angeführten Gründe für die Siebenzahl – wie die Siebenzahl der Geistesgaben – zurück und zeigt ihre innere Inkonsistenz auf. So bleibt nur noch übrig, die Siebenzahl und die Ordnung der verschiedenen Ordines zueinander vom Sakrament der Eucharistie her aufzuzeigen, „das das Sakrament der Sakramente ist“. Bei der Hinordnung auf die Eucharistie aber sind zwei Momente zu unterscheiden: die potestas ordinis ad consecrationem eucharistiae ipsius, die Vollmacht des Ordo zur Konsekration der Eucharistie selbst, bzw. in Bezug auf einen Dienst, der darauf auszurichten ist. Die Konsekrationsvollmacht ist dem Ordo der Priester eigen und von dorther bestimmt sich für ihn dann die Abfolge der übrigen Ordines.
Die Definition des Ordo übernimmt Thomas wörtlich von Petrus Lombardus, bringt aber auch hier eine wichtige Unterscheidung an. Thomas unterscheidet bei allen Sakramenten drei unterschiedliche Ebenen: Jedes Sakrament bezeichnet eine letzte „res“, nämlich die Gnade Gottes. Er spricht in dieser Hinsicht von der „res tantum“, „nur Sache“, weil sie zwar im Sakrament angezeigt wird, aber im Zeichen selbst nicht aufleuchtet. Davon unterscheidet er die zweite Ebene „res et sacramentum“, jene Ebene, auf der die „res im Zeichen“ aufleuchtet. Zum Beispiel: Beim Sakrament der Eucharistie das Abendmahl Jesu. Die Eucharistie repräsentiert im Vollzug das Abendmahl Jesu. Hier ist die „res im Zeichen“ wahrnehmbar. Davon unterscheidet er nochmals das, was in der Unmittelbarkeit wahrgenommen werden kann, das „sacramentum tantum“, das unmittelbare Zeichen. Bei der Eucharistie Brot, Wein, die liturgische Handlung etc.
Beim Ordo nun ist nach Thomas die zweite Ebene die „promotio potestatis“ im Sinne des inneren geistlichen Charakters. Er ist der „principalis effectus“ des Sakraments des Ordo. „Potestas“ aber erläutert Thomas als die „Vollmacht, die Menge zu regieren und öffentliche Akte zu setzen“. Er fährt fort: „An die Stelle dessen tritt im geistlichen Leben das sacramentum ordinis.“ Ordo meint also nach Thomas die sakramental vermittelte Vollmacht zum geistlichen Leitungsdienst. In diesem Kontext erläutert Thomas auch die Einheit der verschiedenen Ordines. Weil Ordo nach Thomas die sakramental vermittelte Vollmacht zum Leitungsdienst in der Kirche ist, bildet der Ordo – wie er dem Presbyter zukommt – ein „totum potestativum“, eine Vollmachts-Ganzheit. Thomas erläutert dies dadurch, dass die Vollmacht zwar nach den jeweils zu setzenden Akten und Aufgaben zu differenzieren ist, aber es gleichwohl die Möglichkeit einer Vollmachts-Ganzheit gibt. Er greift dafür auf die „staatliche“ mittelalterliche Variante zurück: „Obwohl im Königreich die ganze Fülle der Vollmacht beim König ist, werden damit nicht die Vollmachten der Diener [ministrorum – hier zu verstehen im Sinne von „Ministerialen“, d. h. Angehörigen des mittelalterlichen Dienstadels] ausgeschlossen. Und ähnlich ist es im Ordo. […] In einer Aristokratie aber gibt es niemanden, bei dem die Fülle der Vollmacht ist, sondern bei allen“.
3.3 Der vertiefte und wesentlich komplexere Begriff des Sakraments im II. Vatikanischen Konzil
Das II. Vatikanische Konzil hat keine Definition des Sakraments nach Art der mittelalterlichen Theologen vorgelegt. Es hat eine neue Sicht auf das Mysterium Jesu Christi, das Mysterium der Kirche und damit zugleich auch auf die einzelnen Sakramente eröffnet. Es hat so – geleitet vom Geist – die patristische, insbesondere die augustinische Sicht der Sakramentalität zurückgewonnen und zugleich in kreativer Weise die vom Mittelalter her stammende Tradition eingebunden. Die Grundzüge zeigen sich deutlich bereits im ersten Satz von „Lumen gentium“ und bestimmen die folgenden Kapitel ebenso wie die Einzelaussagen. Diese Grundzüge aber prägen nicht weniger markant die anderen Konstitutionen des II. Vatikanischen Konzils: „Sacrosanctum concilium“, „Dei Verbum“ und „Gaudium et spes“. Sie geben die Gesamtsicht vor für die Dekrete und Erklärungen, die jeweils einzelne Aspekte in diesem Kontext thematisieren.
Die Kirchenkonstitution beginnt mit einem Wort Johannes’ XXIII.: „Christus, das Licht der Völker, leuchtet in der Kirche auf“. Bei der Vorlage des Textes im September 1964 vermerkt der Sprecher der Kommission ausdrücklich: „gentes“ meine hier nicht die Heiden, sondern allgemein die Völker der Erde. Die Aufdeckung seines „Mysteriums“ (LG 3,1) aber geschieht in seiner Passion und in seiner Erhöhung, im „Mysterium paschale“ (ebd.). In diesem Ereignis geht auf die ewige Berufung der Menschen zur Teilnahme am göttlichen Leben, die Begleitung der sündigen Menschheit durch Gott bis hin zur Kirche, die „seit dem Ursprung der Welt vorausgestaltet …im Alten Bund auf wunderbare Weise vorbereitet, in den letzten Zeiten gegründet durch die Ausgießung des Geistes offenbart wurde und am Ende der Zeiten in Herrlichkeit vollendet werden wird“ (LG 2,1). Im und durch das Mysterium Jesu Christi werden Warum, Woher und Wohin des Menschen licht. Mit dieser lichten Herrlichkeit Christi möchte die Kirche alle Menschen erleuchten. Dieses Licht strahlt auf ihrem eigenen Antlitz wider. Damit aber kommt der Mysteriencharakter der Kirche in den Blick. Die Kirche ist in Christus gleichsam „Sakrament“ bzw. „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott und für die Einheit des ganzen Menschengeschlechts“ (LG 1,1).
Von Christus, vom Mysterium Christi her ist die Kirche selbst Mysterium, Sakrament, und zwar in und durch ihr Dasein als Gemeinschaft der Gläubigen, durch die Vollzüge ihrer Sendung. Hier ist von einem Kommunikationsgeschehen die Rede, das jede kategoriale Fassung durch die Wirkursächlichkeit übersteigt.
Die anderen Konstitutionen sprechen in der gleichen Weise. Höchst signifikant ist in dieser Hinsicht das erste Kapitel der Offenbarungskonstitution „Dei Verbum“, das die Überschrift trägt: „Die Offenbarung selbst“. Bei seiner Vorstellung des Textes dieser Konstitution spricht Kardinal Florit ausdrücklich von der „Geschichtlichkeit“ und „Sakramentalität der Offenbarung“. Zahlreiche Kommentatoren sprechen von der „geschichtlich-sakramentalen Struktur der Offenbarung“, u. a. Latourelle, Ratzinger, Stakemeier.
Folgt man dem Text DV 2,1 Wort für Wort, so kehren genau jene Schlüsselworte wieder, die Jesus Christus als Mysterium, als sacramentum bezeichnen. „Es hat Gott in seiner Güte und Weisheit gefallen, sich selbst zu offenbaren und“ – hier wird Eph 1, 9 zitiert – „das heilige Geheimnis (mysterium, sacramentum) seines Willens bekannt zu machen“, nämlich Jesus Christus und das durch und in ihm geschehende Heil. Der unsichtbare Gott spricht „aus dem Übermaß seiner Liebe“ die Menschen als Freunde an, und zwar die „Ureltern von Anfang an“ (DV 3,1). Wie? Durch miteinander verbundene „gesta“ et „verba“. Dafür steht im gleichen Satz auch das Paar „res – verba“, in denen das „in ihnen enthaltende Mysterium ans Licht“ gebracht wird.
In den äußeren Worten und Gesten bzw. Taten ist das Mysterium enthalten, es leuchtet in ihnen auf, wird durch sie bezeichnet. So sind die Ereignisse der Heilsökonomie sakramentaler Art, Sakramente. Von Christus wird dann gesagt: „Die innerste, durch diese Offenbarung sowohl über Gott als auch über das Heil des Menschen (gegebene) Wahrheit aber leuchtet uns in Christus auf, der zugleich als Mittler und als Fülle der ganzen Offenbarung hervortritt (existit)“. So ist Christus – „durch seinen Tod und seine glorreiche Auferstehung von Toten, schließlich durch die Sendung des Geistes“ (DV 4) – jener, der die Offenbarung vollendend abschließt (complendo perficit). Dabei wird zweimal dasselbe Verb für das Christus-Ereignis und die voraufgehenden Heilsereignisse genannt: elucidare/elucescere: Das Mysterium leuchtet auf, kommt ans Licht sowohl in den vorchristlichen Heilsereignissen der Geschichte, wie – vollendet – in Christus.
In der gleichen Weise wird in der Konstitution „Sacrosanctum concilium“ vom Sakrament gesprochen. Bereits in der Einleitung (SC 2,1) wird diese Sicht klar fassbar, wenn von der Liturgie gesagt wird – und von dem „göttlichen Opfer der Eucharistie“ gilt das „in besonderer Weise“ –, „dass die Gläubigen durch ihr Leben, das Geheimnis Christi und die eigentliche Natur der wahren Kirche zum Ausdruck bringen und anderen offenbar machen, deren Eigentümlichkeit es ist, zugleich menschlich und göttlich zu sein“. Im Einzelnen wird diese Sicht entfaltet vor allem SC 7,3 f.:
„Mit Recht gilt also die Liturgie als Vollzug des priesterlichen Amtes Jesu Christi; in ihr wird durch sinnenfällige Zeichen die Heiligung des Menschen bezeichnet und in je eigener Weise bewirkt und vom mystischen Leib Jesu Christi, nämlich dem Haupt und seinen Gliedern, der gesamte öffentliche Kult vollzogen. Infolgedessen ist jede liturgische Feier als Werk Christi, des Priesters und seines Leibes, der die Kirche ist, in vorzüglichem Sinne heilige Handlung, deren Wirksamkeit keine andere Handlung der Kirche in derselben Bedeutung und demselben Rang gleichkommt“.
Die gesamte Liturgie ist sakramentaler Art. So empfängt das Volk Gottes die Sakramente nicht nur, es feiert und vollzieht die Mysterien. Wenn hinzugefügt wird, Liturgie unterscheide sich in Bedeutung und Rang von anderen Handlungen der Kirche, wird man hinzufügen müssen, dass diese anderen, dem Rang und dem Schwergewicht nachgeordneten Handlungen von gleicher sakramentaler Struktur sind. So empfängt das Volk Gottes die Sakramente nicht nur, es feiert und vollzieht die Mysterien.
Sie besitzen nicht die gleiche sakramentale Prägnanz, bezeichnen das Mysterium Christi nicht in gleicher Deutlichkeit, besitzen aber gleichwohl dieselbe Struktur. Dabei betont das Konzil von Anfang an, dass die Liturgie die unterschiedlichsten Momente umfasst, unterschiedliche Akteure versammelt. Von ihnen gilt insgesamt, dass Jesus Christus in diesem Geschehen gegenwärtig und der eigentlich Wirkende und Vollziehende ist.
In Bezug auf „Gaudium et spes“ mag es genügen, auf das Kapitel 4, die zusammenfassende Reflexion auf die voraufgehenden Ausführungen des ersten grundsätzlichen Teils, zu verweisen. In GS 40,2 und 3 wird auf der einen Seite zusammengefasst, wie die Kirche „zusammen mit der ganzen Menschheit“ einherzieht, das „gleiche irdische Geschick wie die Welt erfährt“. Sie ist aber zugleich „Sauerteig“ der in Christus zu erneuernden
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