archivierte Ausgabe 2/2019 |
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Leseprobe 2 |
DOI: 10.14623/thq.2019.2.133-147 |
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Friedrich Schweitzer |
Gottebenbildlichkeit, Menschenwürde und verantwortliche Freiheit |
Bildung aus evangelisch-theologischer Perspektive |
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Zusammenfassung Der Beitrag geht davon aus, dass ein evangelisches Bildungsverständnis heute nicht mehr gegen das katholische Bildungsdenken zu profilieren ist, sondern dass es beiden Konfessionen um den fraglich gewordenen Sinn eines christlichen Beitrags zu Bildung gehen muss. Vor diesem Hintergrund wird das evangelische Bildungsdenken seit der Reformation zusammenfassend charakterisiert – im Ausgang von Luther und Melanchthon, aber auch mit besonderer Berücksichtigung der neuzeitlichen Transformationen (Schleiermacher u. a), durch die das protestantische Bildungsdenken erst sein bis heute gültiges Profil gefunden hat. Der Beitrag vertieft dieses exemplarisch in weiteren Schritten: Bildung wird im Horizont von Glaube, Gottebenbildlichkeit, Menschenwürde, Mündigkeit Freiheit, Ethik und Pluralitätsfähigkeit theologisch erschlossen.
Abstract The author argues that today, a Protestant understanding of education (Bildung) should no longer be developed as a critical alternative to its Catholic counterpart but that both denominations must be first of all committed to demonstrating the importance of a Christian contribution to education which is no longer generally accepted. Against this background the Protestant understanding of education is summarized in its development since the time of the Reformation, starting with Luther and Melanchthon but also with an emphasis on its modern transformations (Schleiermacher and others) which have led to the specific profile of the Protestant understanding of education characteristic until today. In subsequent steps, the article exemplarily gives deeper insights: education in its relationship to religious faith, the human's likeness to God, human dignity, freedom, ethics and plurality.
Schlüsselwörter/Keywords Protestantisches Bildungsverständnis; Reformation; Aufklärung; Gottebenbildlichkeit; Freiheit; Mündigkeit; ethische Verantwortung; Pluralitätsfähigkeit Protestant educational concept; Reformation; Enlightenment; man’s likeness to God; freedom; autonomy; ethical responsibility; ability to plurality
Zwischen Bildung und Protestantismus wird häufig ein besonderer Zusammenhang angenommen – im Sinne einer besonderen Affinität der evangelischen Tradition zu einer hervorgehobenen Bildungsaspiration. Entsprechend galt das „katholische Mädchen vom Lande“ lange Zeit als Inbegriff einer katholischen Bildungsferne, vor deren Hintergrund ein protestantisches Bildungsverständnis umso mehr zu leuchten vermochte. Gegen solche Vereinfachungen sind inzwischen zu Recht Einwände vorgebracht worden, allgemein etwa im Rahmen der Konfessionalisierungsdiskussion in der (Kirchen-)Geschichte, aber auch speziell im Blick auf die Mädchenbildung in der katholischen Tradition. So kann auch der für diesen Beitrag gewählte Untertitel – Bildung aus evangelisch-theologischer Perspektive – sinnvoll nicht darauf zielen, den Protestantismus erneut gegen den Katholizismus zu profilieren. Vielfach stehen heute beide Konfessionen auch bei Bildungsfragen vor ähnlichen Herausforderungen besonders durch gesellschaftliche Entwicklungen, die einen vom Christentum ausgehenden Beitrag zum Bildungsverständnis und zur Ausgestaltung des Bildungswesens nachhaltig infrage stellen. Insofern ist es gut, wenn sich die Konfessionen – und vielleicht kann man zumindest in mancher Hinsicht inzwischen sagen: auch die verschiedenen Religionen in Deutschland – gemeinsam für eine Bildung einsetzen, die weder in den Zwecken der Ökonomie noch in einem naturalistisch-naturwissenschaftlichen Denken aufgeht.
Damit ist bereits eine zweite Intention dieses Beitrags angesprochen. Der Sinn einer theologischen Perspektive auf Bildung versteht sich heute nicht mehr von selbst. Daher muss immer gefragt werden, was eine solche Perspektive eigentlich noch austragen kann – eine Frage, die dann am Ende dieses Beitrags noch einmal ausdrücklich diskutiert werden soll.
Auch unter der Voraussetzung, dass es heute nicht auf eine konfessionelle Profilierung ankommen kann, und gerade im Ausgang von dieser Voraussetzung werden die verschiedenen Traditionen im Christentum nicht einfach gleichgültig. Deshalb soll im Folgenden nach dem Zusammenhang zwischen Bildung und Protestantismus gefragt werden, zunächst in Gestalt eines geschichtlichen Überblicks und dann im Blick auf ausgewählte Aspekte der Vertiefung. Dabei ist zwischen Begriff und gemeinter Sache zu unterscheiden: Der Bildungsbegriff hat eine eigene geschichtlich identifizierbare Entwicklung, aber es ging und geht immer wieder auch dort um Bildungsfragen, wo dieser Begriff (noch) nicht verwendet wurde oder verwendet wird. Dies kann allerdings umgekehrt zu einer – in unserer Gegenwart vielfach beobachtbaren – inflationären Ausweitung in dem Sinne führen, dass nun einfach alles, was mit Pädagogik zu tun hat, als Bildung bezeichnet wird. Sofern etwa die mitunter allerdings fließende Unterscheidung zwischen Erziehung und Bildung einen Sinn haben soll, ist deshalb vorab an einige definitorische Bestimmungen zu erinnern.
In einem vorläufigen, für das Folgende orientierenden Sinne kann vor allem auf zwei Merkmale verwiesen werden:
• Bildung zielt auf Mündigkeit: Auch dieser Begriff findet seine Verbreitung zwar erst im Horizont der Aufklärung – als „Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeter Unmündigkeit“ –, aber als Urteils- und Kritikfähigkeit findet sich das Gemeinte doch schon zuvor. Das ist dort der Fall, wo das Individuum gegenüber persönlichen oder institutionellen Autoritäten gestärkt werden soll.
• Bildung zielt auf das Subjekt: Auch in diesem Falle wird ein neuzeitlicher Begriff herangezogen. Er verweist hier auf den mit Bildungsprozessen verbundenen Anspruch, dass nicht nur etwa Wissen erworben oder Fähigkeiten vermittelt werden sollen, sondern dass es dabei immer auch – und mitunter in erster Linie – auf die individuelle Bildung ankommt, verstanden als Entwicklung von Person und Persönlichkeit, Subjektivität und Selbstbestimmung. [...]
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