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Leseprobe 1 DOI: 10.14623/thq.2017.4.320-336
Martin Hailer
Ökumenische Verständigung als Gabentausch
4. Ökumenischer Gabentausch in der dogmatischen Tagesarbeit: Weitere vorläufige Überlegungen

So sieht Gabentausch in praxi aus. Um der Deutlichkeit willen wurden Beispiele aus der offiziellen Ökumene von Kirchen gewählt; dass es sich bei ökumenischen Studiengruppen oder in Einzelarbeiten ähnlich verhalten kann, ist durchaus wahrscheinlich. Der Schluss lenkt den Blick noch einmal zum Schnittpunkt der Dialogökumene einerseits und der disziplinär betriebenen Dogmatik auf der anderen. Wie kann die Rezeption ökumenischer Dialogergebnisse in der alltäglichen Arbeit der materialen Dogmatik verbessert werden? Das hier skizzierte Lösungsangebot besteht in der noch einzulösenden Behauptung, das methodologische Konzept des Gabentausches sei nicht nur in der Dialogökumene sinnvoll einsetzbar. Es kann und soll auch in der Verantwortung der disziplinären Dogmatik zum Austrag kommen. Ich gehe dafür zum eingangs geschilderten Differenzaxiom zurück: Sakramental-korporative Kirchlichkeit stehe, so sagt es, gegen dynamisch-ereignishafte an. Wolfgang Beinert und Ulrich Kühn hatten in ihrer Ökumenischen Dogmatik ja gesagt, dass der Traktat Ekklesiologie nach wie vor getrennt verhandelt werden müsse und diesen Teil ihres Werkes auch so angelegt. Es kommt für die beiden darauf hinaus, dass die katholische Ekklesiologie vor allem an die Erneuerungen des II. Vaticanums erinnert und diese zu schützen trachtet. Die evangelische Seite diskutiert die Ämterfrage und dabei besonders das evangelische Bischofsamt. In Erwägungen wie diesen bietet der ökumenische Gesprächspartner den Anlass für eigene Erwägungen. Er ist aber erkenntlich nicht der, von dem man semantische Gaben empfängt und dem man sie zu überreichen trachtet. Aber genau darauf sollte es auch in der Einzelarbeit an materialdogmatischen Problemen herauskommen können. Das Modell des Gabentausches, bewährt in zumindest manchen ökumenischen Studiendokumenten, kann auch für die sozusagen normale Arbeit an der Dogmatik fruchtbar gemacht werden. Dieses work in progress soll hier wenigstens noch angedeutet werden.

Der Blick geht dafür in aller Kürze an eine Sachstelle der Ekklesiologie, an der für gewöhnlich eine besondere Differenz zwischen den Typen der Kirchlichkeit ausgemacht wird. Sie gibt dem Differenzaxiom auch den Namen: Das römisch-katholische Theorem, von der Kirche als sakramentaler Größe zu sprechen. Wolfgang Beinert setzt es auch in der Ökumenischen Dogmatik bewusst ein und skizziert eine sakramentale Ekklesiologie im Anschluss an die einschlägigen Bestimmungen des II. Vaticanums. Die Kirche, so sagt er, ist Heilszeichen und Heilswerkzeug Gottes, und daher von sakramentaler Art. Sie ist von sakramentaler Art, weil sie wesentlich dazu da ist, für Gottes Heil zu stehen und dies Heil weiterzugeben. Dieser Gedanke ist innerkatholisch wichtig, um einen rein institutionellen Kirchenbegriff in Bellarmin’scher Tradition abzuwenden: Durch das sakramentale Kirchenverständnis „ist im Keim die Versuchung zur Rechtfertigung von Juridismus und Triumphalismus erstickt. Sie sind keine legitimen Verhaltensweisen der Kirche. Sie ist keine selbständige, eigenzweckliche Größe, sondern nur des Heiles Zeichen und Werkzeug, dienende Kirche, vom Ansatz her relativ. So wie man zum Vollzug der Einzelsakramente Brot, Wein, Öl oder Wasser benötigt, so braucht es die Kirche zum geschichtlichen Vollzug des Heils. Aber so wenig die Elemente als solche schon sakramentale Effekte haben können, so wenig kann auch die kirchliche Organisation als solche ihrem Auftrag gerecht werden. Es bedarf der Gnade Gottes, damit in diesen und durch diese Phänomene sein Heil zuteil wird.“ Präzise der Dienstcharakter der Kirche wird in diesem Modell sakramental bestimmt und ist anders als sakramental nicht zu denken. Kann daraus eine Gabe an die evangelische Seite werden? Es gibt einen evangelischen Reflex, hierin genau keine Gabe zu sehen, sondern etwas, was abzulehnen ist: Die Sakramentalität der Kirche klingt evangelisch nach dem Risiko eines Selbstvollzugs und sakramentalen Automatismus’, von dem die Wortbestimmtheit einer evangelischen Ekklesiologie sich abgrenzen möchte.

Auch Darstellungen, die auf rasche kontroverstheologische Geländegewinne verzichten, sehen hier einen Trennungsgrund. Man wird eine solche evangelische Reserve also nicht rasch abtun sollen. Gleichwohl steckt in der Idee vom sakramentalen Charakter der Kirche eine echte Gabe an die evangelische Ekklesiologie. Das wird klar, wenn man ganz von der evangelischen Basisbestimmung von Kirche her denkt. CA VII benennt die kirchengründenden Vollzüge. Es sind die Predigt des Evangeliums und einsetzungsgemäße Verwaltung der Sakramente. Die Provokation evangelischer Ekklesiologie steckt in dieser Zumutung der Sparsamkeit: satis est. Mehr als diese beiden Kriterien sind zum Kirchesein nicht nötig. Insbesondere, so schärft CA VII ein, nicht Einigkeit in nachgelagerten Riten. Und nun kann man fragen, worin die Gabe des katholischen Gedankens besteht: Die Rede von der Sakramentalität schärft ein, dass diese Vollzüge nicht nur der Kirche gebotene Vollzüge sind. Die Gabe lenkt den Blick auf die Inhaltlichkeit: Predigt und Sakramentsdarreichung vermitteln tatsächlich Gottes Kraft und Gegenwart. Dem in der Kirche verkündigten Wort Gottes und den ihrer Einsetzung gemäß gespendeten Sakramenten kommt die Kraft Gottes zu, die von ihnen bekannt wird. Wo also die Kirche – Confessio Augustana VII gemäß – predigt und Sakramente spendet, da dient sie mit ihren Vollzügen nichts weniger als Gottes wirksamer Gegenwart. Es ist richtig, das sakramental zu nennen.

Wohlgemerkt: Diese Schlussfolgerung steckt ungesagt bereits in CA VII. Aber sie wird wegen der kritischen Funktion des Artikels allzu gerne übersehen. Der katholische Gedanke von der Kirche als Sakrament erinnert die evangelische Seite an etwas, was zu ihrer Sache gehört, was sie aber – aus seinerseits durchaus verständlichen Gründen – zu verhalten sagt und leider mitunter vergisst. Die unvertraute Gabe, von der Sakramentalität der Kirche zu sprechen, verhilft der evangelischen Seite dazu, besser evangelische Kirche zu sein.

Umgekehrt wäre nun zu überlegen, worin die semantische Gabe der evangelischen Ekklesiologie an den katholischen Gesprächspartner bestehen könnte. Bleibt man bei den hier herangezogenen Lumen gentium einerseits und CA VII andererseits, dann ist wohl vor allem an den Personalaspekt aus CA VII zu denken: Kirche ist wesentlich und nicht etwa sekundär Versammlung von Personen. Ihre Vollzüge sind nicht aus sich selbst zu denken, sondern Vollzüge von konkreten Menschen, die dazu berufen sind, (CA XIV) und die als die nun einmal so oder so gewordenen und auch fehlbaren Personen ihren Dienst tun. Das ist in sich selbst institutionellen Charakters, nicht jedoch eine den Personen vorgeordnete Institution. – Semantischen Wiederhall hat das in der Konzeption von „Volk“ und „Volk Gottes“ in der Konzilskonstitution Lumen gentium. Der Gabentausch regt dazu an, die unstreitig anders als evangelisch getakteten instituionellen Aspekte in LG im Licht dieser mit „Volk“ und „Volk Gottes“ gemeinten Sachlichkeit zu interpretieren.

Bei anderer Gelegenheit wäre zu erwägen, ob semantische Gaben dieser Art immer gegengleich und immer mit dem Zug zum etwa gleichgewichtigen Austausch sein müssen. Vermutlich ist das nicht der Fall. Entscheidend ist, dass eine wie auch immer genau geartete Wechselseitigkeit überhaupt stattfindet, weil Anerkennung inter pares anders als wechselseitig nicht zu denken ist. Asymmetrien und thematische Verschiebungen dürften die Anerkennungsverhältnisse zwar mitunter unübersichtlich, deswegen aber nicht weniger reizvoll machen.

Das eben skizzierte Beispiel ist, wie deutlich sein dürfte, ein Einzelzug, aber noch kein Ergebnis. Das eingangs geschilderte Differenzaxiom wird nicht verschwinden, auch arbeitet eine ökumenische Gabehermeneutik nicht mit dem Ziel, dies zu tun. Man kann aber an ihm arbeiten. Auf diese Weise stelle ich mir die Anwendung des Gabemodells auf das alltägliche Dogmatiktreiben vor. Er ist eine Aufforderung, an vielen Sachstellen der Ekklesiologie und über sie hinaus nach wechselseitigen Gabeprozessen zu suchen. Wer so vorgeht, wird die wachsende Verdichtung von Austauschprozessen entdecken.

Konfessionelle Dogmatik wird nicht aufhören, konfessionelle Dogmatik zu sein, auch soll sie nicht durch eine überkonfessionelle Systematik ersetzt werden – im Gegenteil. Der interkonfessionelle Austausch wird dann aber nicht mehr zu einer Abgrenzungsoder Ergänzungsfigur innerhalb unserer Lehrbücher. Er wird vielmehr ihr wesentlicher Bestandteil. Im Nebeneffekt wird Dogmatik anders als im auf Anerkennung ausgerichteten Dialog gar nicht mehr zu treiben sein. Und darin besteht die Gabe der ökumenischen Theologie an die je konfessionellen Dogmatiken. [...]


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