In Caroli Susonis Frank OFM memoriam
In seiner viel gelesenen kleinen »Geschichte des christlichen Mönchtums« hat Karl Suso Frank (1933–2006) geschrieben: »Im alten Streit, ob das abendländische Mönchtum ein eigenes Gewächs der Kirche des westlichen Römerreiches oder nur ein Ableger des östlichen Mönchtums sei, kann die Lösung nur in einem sowohl-als-auch liegen.« Diese Einschätzung ist nach wie vor richtig. Sie soll hier keineswegs revidiert, sondern nur durch drei Miniaturen ergänzt und illustriert werden.
Frank fuhr in seiner Darstellung fort: »Eigenständigkeit liegt […] vor, da das westliche Mönchtum sich ebenfalls aus der innergemeindlichen Askese, besonders in der Art des Familienasketismus, entwickelte.« In der Tat wurde die Ausbreitung des Mönchtums im Osten wie im Westen vorbereitet durch das Entstehen des Jungfrauenstandes in den Gemeinden, im Westen besonders denen Nordafrikas, speziell Karthagos, doch es ist unklar, wie weit hier eine Beeinflussung aus dem Osten stattfand.
Schon Anfang des 2. Jahrhunderts lassen sich in Karthago die ersten Jungfrauen feststellen, die auf Grund eines privaten, der Gemeinde aber bekannten Versprechens ein eheloses Leben führten. Tertullian (um 160 – um 220) hat gewisse Probleme mit ihnen. Er stößt sich daran, dass diese oftmals aus wohlhabenden Verhältnissen stammenden Jungfrauen nicht auf das Tragen von Schmuck und Schminke verzichten, vor allem aber, dass sie keinen Schleier im Gottesdienst tragen wollen. Er befürchtet, dass dies missverständlich sein könne, aber wir dürfen darin durchaus ein Stück Frauenemanzipation erkennen, wie sie im Christentum möglich war.
Zu Tertullians Zeit waren die Jungfrauen in der Gemeinde jedoch noch kein institutionalisierter Stand, und er entwirft auch keine ausgebaute Theologie für diese Lebensform. Ganz anders knapp fünfzig Jahre später Cyprian. Auch er bekämpft die Gewohnheit der wohlhabenden Jungfrauen, Schmuck, feine Kleider und aufwändige Frisuren zu tragen. Die Gruppe der Jungfrauen ist jedoch zu seiner Zeit eine konsolidierte Gemeinschaft innerhalb der Gemeinde des karthagischen Bischofs; sie sind für ihn, wie er in der 249 entstandenen Schrift »Über die Haltung der Jungfrauen« sagt, die inlustrior portio gregis Christi, der erlauchteste Teil der Herde Christi, und in der Tat sind eine Reihe feminae illustrae, vornehme Frauen von Stand, darunter zu vermuten. Doch nicht allein ihres sozialen Standes wegen rangieren sie im Ansehen gleich hinter den Märtyrern. Ihre ehelose Existenzweise, in der sie quasi mit Christus verheiratet sind, nimmt die Gestalt des Auferstehungsleibes vorweg. Dadurch, dass sie sich nicht fortpflanzen, vermeiden sie die Strafe der schmerzlichen Geburt, die Eva nach dem Sündenfall im Paradies traf (Gen 3,16), und machen deren Schuld so rückgängig. Deshalb ähnelt ihr Zustand dem der Engel, werden sie engelgleich. Sie werden auf diese Weise bei der Auferstehung sofort verherrlicht werden und können – wie später die Märtyrer – Fürsprecher bei Gott sein. Der Bischof trägt für diese Gruppe eine besondere Verantwortung; er fungiert als ihr Vater, der ihnen eine disciplina, Verhaltensmaßregeln, auferlegt und eine Theologie ihres Standes entwickelt.
In dieser Theologie des Jungfrauenstandes sind bereits eine Reihe Elemente enthalten, die später in der Theologie des Mönchtums ganz substanziell sein werden, besonders die Vorstellung von der vita angelica, dem engelgleichen Leben der Asketen. Es darf aber nicht übersehen werden, dass im Osten gleichzeitig Origenes eine wesentlich entfaltetere und auch tiefer gehende Theologie der Jungfräulichkeit entworfen hat.
Der Gemeindeasketismus ist in Ost wie West die Vorstufe, auf der sich die asketische Lebensweise als Basis des frühen Mönchtums entwickelte. Im Westen ist die Institutionalisierung des Standes der Gemeindejungfrauen am frühesten, schon in der Mitte des 3. Jahrhunderts, festzustellen, im Osten ist die Theologie des Standes ausgebauter. Keine ungewöhnliche Beobachtung für die Verhältnisse in Ost und West.
I
Einer klassischen These nach hat Athanasius das Mönchtum in den Westen verpflanzt. Athanasius hat zeitlebens, bekanntlich durchaus nicht immer freiwillig, in engem Kontakt mit dem frühen ägyptischen Mönchtum gestanden. Er hat während seines dritten Exils bei den Wüstenmönchen das Material der Erzählungen gesammelt, die über Antonius im Umlauf waren, und daraus dessen Vita gestaltet.
Wenn man Hieronymus folgt, hat Athanasius jedoch bereits während des zweiten Exils in Rom in den Jahren 339 bis 346 das Mönchtum im Westen bekannt gemacht. In seinem Brief 127, auch bekannt als Epitaphium Marcellae, dem Nachruf auf die heilige Marcella, eine in Rom asketisch lebende Witwe und Theologin, schreibt Hieronymus:
»Keine der vornehmen Frauen Roms hatte zu jener Zeit die Lebensweise der Mönche gekannt, noch gewagt wegen der Neuheit der Sache den schändlichen, wie damals geglaubt wurde, und beim Volk verächtlichen Namen (das heißt des Mönchs) anzunehmen. Diese (Marcella) lernte von alexandrinischen Priestern und vom Bischof (papa) Athanasius, und nachher von Petrus, welche die Verfolgung von seiten der arianischen Häresie umgingen und gleichsam zum sichersten Hafen für ihre Gemeinschaft nach Rom flohen, das Leben des seligen Antonius, damals noch lebend, und die Klöster des Pachomius in der Thebaïs, und die Lebensweise der Jungfrauen und Witwen kennen.«
Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Athanasius in ähnlicher Weise auch schon während seines ersten Exils in Trier (335–337) gewirkt hat. Augustinus nämlich berichtet in seinen Confessiones von seinem Freund Ponticianus aus Trier, dieser sei dort beim Spazierengehen vor der Stadt auf die Behausung von Asketen gestoßen, die einen Codex mit der Vita Antonii des Athanasius besaßen. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit handelte es sich dabei um eine der beiden frühen lateinischen Übersetzungen der Vita Antonii, denn die Besucher beginnen gleich zu lesen. Der Spaziergang ist nicht genau datierbar, muss aber wohl zwischen den Jahren 375 bis 381 stattgefunden haben.
Damals gab es also ähnlich wie in Mailand auch in Trier eine suburbane monastische Siedlung. Diese ist aber sehr wahrscheinlich älter.
Die noch nicht abgeschlossene Auswertung der römerzeitlichen Fundmünzen in der Stadt Trier zeigt einen auffälligen Befund, auf den mich Maria R.-Alföldi aufmerksam gemacht hat. Unter den spätkonstantinischen Folles (ca. 326–337) gibt es in Trier eine Handvoll Stücke aus östlichen Münzstätten, namentlich Nicomedia, Antiochia und Alexandria, deren Produktion sonst in der Stadt überhaupt nicht vorkommt. Zudem massieren sich die Fundstellen in und um die ehemalige Reichsabtei St. Maximin, im Areal des sogenannten Nordgräberfeldes, weit gestreut nördlich der Porta Nigra und der Stadtmauer. Dort liegen neben den Grabanlagen auch reiche spätrömische Bauten. Da es sich bei dieser in Trier ungewöhnlichen Münzgruppe um einen sehr kleinen Umlaufwert handelt, liegt die Folgerung nahe, dass sie nicht auf dem Wege des üblichen, das heißt kommerziellen Austausches nach Trier gelangt ist, sondern als unscheinbarer Börseninhalt von Einzelpersonen. Ihre Zeitstellung und die Massierung um St. Maximin und im Norden der Stadt verweisen fast zwingend auf Athanasius’ Exil in Trier und auf seine Begleitung. Berücksichtigt man die spätestens Mitte des 4. Jahrhunderts auch gesetzlich festgeschriebene restriktive Handhabung des Kleingeldverkehrs innerhalb des Reiches, so können diese Fundmünzen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf eine mönchische Gruppe im Umfeld des Athanasius zurückgeührt werden, die sich dort im Norden von der Stadt eremitisch zurückzog, bzw. auf östliche Besucher dieser Gruppe, womöglich Athanasius selbst.
Die Begegnung mit diesem »athanasianischen« Mönchtum führte 367 dazu, dass Hieronymus, der spätere große Propagator asketisch-monastischer Lebensformen in West und Ost, sich dieser Lebensweise 367, während seines Aufenthalts in Trier, selbst zuwandte.
II
Als Gründer des westlichen Mönchtums gilt Martin von Tours. 316/17 in Savaria (Szombathely/Steinamanger, Ungarn) geboren, trat er mit fünfzehn Jahren ins Heer ein, wo er sich 334 taufen lässt. Nach 25-jähriger Dienstzeit nimmt er 356 seinen Abschied vom Militärdienst. Anders als für diese Zeit üblich, heiratete er dann jedoch nicht und wurde einer jener Siedler und Landgutsbesitzer, als welche die Veteranen dem römischen Staat nützlich waren, sondern Schüler des gleichaltrigen Hilarius von Poitiers. Dieser wurde allerdings im Zusammenhang von politischen Auseinandersetzungen mit dem späteren letzten nichtchristlichen Kaiser der Antike, dem zunächst nur in Gallien herrschenden Julian, von 356 bis 360 in den Osten ins Exil verbannt. Es ist umstritten, ob Martin schon 356 oder erst 360 sein Schüler wurde.
Es sieht so aus, dass Martin während dieser Jahre das Leben eines Wandereremiten geführt hat, der an verschiedenen Orten versuchte sich niederzulassen; so errichtete er ein monasterium – eher eine Eremitage – in Mailand, wo ihn allerdings Bischof Auxentius, der homöisch denkende Vorgänger des Ambrosius, vertrieb. Martin stand wie auch Hilarius gegen diese Position. Seine nächste Zuflucht war dann die Insel Gallinaria an der Ligurischen Küste. 361, nach der Rückkehr des Hilarius, nimmt Martin dann den Kontakt mit diesem wieder auf, und nun gründet er in Logociacum/Ligugé, unweit von Poitiers, wahrscheinlich auf dem Landgut des Hilarius, erneut ein monasterium, welches als das erste westliche Kloster zu gelten hat. Zehn Jahre später wurde er gegen den Willen zahlreicher gallischer Bischöfe auf Grund der hohen Verehrung, die er bereits zu Lebzeiten genoss, Bischof von Tours an der Loire, in dessen Nähe er im Jahre 375 ein weiteres größeres Kloster, das maius monasterium (Marmoûtier), gründete.
Das frühe Mönchtum Martins hat sein ganz eigenes Gepräge. Michaela Puzicha hat es sehr prägnant beschrieben: Das martinische Mönchtum war eher eremitisch ausgerichtet. Jeder lebte für sich in einer Art Höhle oder Verschlag. Für diese Höhlen gab es im Loiretal bei Tours ideale natürliche Bedingungen. Das Flussbett wird dort gesäumt von steilen Wänden aus Tuffgestein, in das sich leicht Höhlen graben lassen. Bis heute gibt es dort Häuser, deren hintere Partie in den Tuff hineingegraben wurde. Oberhalb des mittelalterlichen Klosters von Marmoûtier haben sich die Klosterhöhlen erhalten, die letztlich eher das Bild einer östlichen Lavra vermitteln als eines späteren westlichen Klosters. In den Martinsklöstern fanden nur Gebet und Mahlzeiten gemeinsam statt. Die Nahrungs- und Kleidungsaskese spielte eine große Rolle. Es wurde jedoch nicht gearbeitet. Nur die jüngeren Mönche sollten Bücher abschreiben. Arbeit lehnte Martin ausdrücklich ab; sie hielt vom Gebet ab. Man lebte folglich von dem, was die einzelnen, mitunter wohlhabenden Mönche bei ihrem Eintritt eingebracht und andere gestiftet hatten. Es gab keine für alle verbindliche Tagesordnung, wohl aber eine strenge Klausur. Zum Teil blieb das Mönchtum Wandermönchtum. Martin zog als Bischof viel in seiner Diözese und darüber hinaus in Gallien umher, stets von Mönchen begleitet. Die Leitung der Klöster erfolgte charismatisch orientiert am Vorbild des Meisters, der keine Regel vorschrieb, an die sich die Mönche nach seinem Tod hätten halten können. Das martinische Mönchtum war damit schon von Seiten seines Gründers nicht als Institution auf Dauer geplant. Martin war stark von Endzeiterwartungen geprägt. Unter diesen Bedingungen wird nichts auf Zukunft hin gegründet.
Martin starb 397. Seine Klöster überlebten ihn nicht lange, auch deshalb, weil sein Nachfolger Brictius, obwohl Martins Schüler, ein Bischof anderen Schlages war. Dennoch gelangte Martin im Westen zur gleichen Bedeutung wie Antonius im Osten, weil auch er einen Biographen fand, der seine Bedeutung literarisch zementierte: Sulpicius Severus (nach 353 – um 420) widmete ihm gleich mehrere Schriften, darunter die literarisch in vielfacher Hinsicht von der Vita Antonii des Athanasius abhängige Vita Martini, sowie drei Dialoge, verfasst zwischen 404 und 406. Alle drei Dialoge geben Gespräche zwischen dem Verfasser Sulpicius und einem seiner Freunde, dem Martinsschüler Gallus, sowie einem gewissen Postumianus wieder, der ein Reisender zwischen Ost und West war und ein Kenner des Mönchtums in Ägypten und Palästina. Er soll in den drei Dialogen davon überzeugt werden, dass Martin die Mönche des Ostens an Heiligkeit und Wunderkraft überragte, und diese Botschaft nun umgekehrt in den Osten transportieren. Mit diesem Auftrag wird er zu Ende des 3. Dialogs verabschiedet, der ein schönes Beispiel für die Import- und Export-Beziehungen zwischen östlichem und westlichem Mönchtum ist. Postumianus wird auf seiner Rückreise in den Osten zunächst nach Kampanien geschickt, wo um diese Zeit der aus gallischem Senatsadel stammende Paulinus in Nola/Cimitile einem Kloster beim Grab des heiligen Felix von Nola vorstand. Von dort soll Postumianus möglichst nach Nordafrika übersetzen und Martinus genauer in Karthago bekannt machen. Weiterreisen soll er schließlich über Griechenland. »Dann«, so schließen die Dialoge, »möge Korinth, dann möge Athen erfahren, dass Plato in der Akademie nicht weiser, noch Sokrates im Kerker standhafter war. Griechenland verdient zwar glücklich gepriesen zu werden, weil es die Predigt eines Apostels hören durfte, aber die gallischen Lande wurden von Christus nicht stiefmütterlich behandelt, da er ihnen einen Martinus schenkte. Kommst du aber bis nach Ägypten, das so stolz ist auf die Zahl und Wunderkraft seiner Heiligen, so soll es doch nicht die Kunde verschmähen, dass Europa ihm, ja dem gesamten Asien in dem einen Martinus nicht nachsteht.«
Martin wird auf diese Weise mit Paulus als Apostel Griechenlands gleichgestellt; er ist apostelgleich (isapóstolos), was das höchste Prädikat für einen Heiligen im orthodoxen Sprachgebrauch darstellt. Der Mission des Postumianus blieb freilich eine durchschlagende Wirkung verwehrt. Anders als die Vita Antonii fand die Vita Martini des Sulpicius Severus nie einen Übersetzer, der sie ins Griechische übertrug. Zwar lobte Sozomenos, dass Martins Wundertaten »hinter denen der Apostel nicht zurückstanden«, und fand er als wundertätiger »Bischof der Franken« auch Eingang ins Synaxarion von Konstantinopel, doch blieb er sonst in der östlichen hagiographischen Literatur unbekannt.
III
Charismatisch verfasstes, unmittelbar auf die Person des Gründers bzw. Leiters eines Klosters bezogenes Mönchtum, das unter dessen spiritueller Führung und Anweisung lebt, hat es im Westen auch noch lang über Martin hinaus gegeben. Verwiesen sei auf die Klöster, die der heilige Severin von Noricum 472 in Favianis (Mautern in der Wachau) und kurz darauf in Boiotro (Passau-Innstadt) gründete. Das Kloster der drei sogenannten Juraväter Romanus, Lupizinus und Eugendus, drei Äbte, die von der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts bis zum Beginn des 6. Jahrhunderts dem Kloster Condadisco (Condat/Saint-Claude im französischen Jura) vorstanden, ist ein weiteres Beispiel. Ihren Viten aus dem frühen 6. Jahrhundert, die zugleich von der Vita Antonii wie der Vita Martini beeinflusst sind, ist sehr gut zu entnehmen, wie sich das Klosterleben, in dem es zu Anfang koinobitische und eremitische Lebensformen zugleich gibt, immer mehr organisatorisch entwickelt, ohne dass es dazu kommt, dass einer der Äbte eine Regel verfasst.
Zu Beginn des 5. Jahrhunderts aber gab es schon die ersten Klosterregeln im Westen. Der erste, der im Westen eine Regel schreib, ist aller Wahrscheinlichkeit nach Augustinus – falls die Regula ad servos Dei, auch Praeceptum genannt, echt ist und noch in die Zeit des sogenannten Gartenklosters von Hippo zu datieren ist, also jene Zeit, in der Augustinus als Kleriker Gehilfe des Bischofs Valerius von Hippo war (ab 391), dem er dann 395 nachfolgte. In dieser Zeit sammelte Augustinus eine Reihe Freunde um sich, die mit ihm zusammen asketisch lebten. Durch seine Aufgaben in der Gemeinde bekommt dieses Mönchtum aber von vornherein seine eigene Note: Die Klostergemeinschaft versteht sich als communio im Sinne der Urgemeinde der Apostelgeschichte, in der allerdings auch Platz für Kleriker ist, die als solche in die ecclesia hinein wirken. Die Augustinusregel reflektiert damit zweifellos die soziologischen und pastoralen Bedingungen des städtischen Christentums im spätantiken Nordafrika. Für Nordafrika war diese Regel in der Spätantike wohl die einzige und auch beherrschende.
Früher als in Nordafrika wurde es in Gallien unsicher. Äußeres Zeichen der Veränderungen ist, dass die Kaiserresidenz Trier in der Zeit zwischen 394/5 und 407 aufgegeben wurde und die gallische Präfektur von dort zunächst nach Vienne, später nach Arles verlegt wurde.
Im südfranzösischen Rückzugsgebiet der römischen Kultur kam es ab etwa 400 zu einer Reihe von Klostergründungen, namentlich auf den beiden Inseln von Lérins an der Côte d’Azur (vor Cannes) und in Marseille. Von diesem Inselmönchtum haben sich die ältesten Regeln des Westens – abgesehen von der das Augustinus – erhalten: die »Regel der vier Väter« aus der Zeit von 400 bis 410 und ihre Ergänzung, die »Zweite Regel der Väter«, wohl nach 426 entstanden. Erstaunlich ist, dass als Autoren dieser Regel nicht der Gründer von Lérins, Honoratus von Arles, und sein Nachfolger Maximus auftreten, sondern vier Äbte mit Namen Serapion, Macarius, Paphnutius und noch einmal Macarius. Die Regeln präsentieren sich literarisch durch das Stilmittel der »fiktiven Mündlichkeit« (Karl Suso Frank) als mündliche Satzungen von vier Mönchsvätern mit griechischen bzw. koptischen Namen (Paphnutios = Gottespforte). Als Regel stellen sie sich also unter die Autorität von vier fiktiven Vätern des östlichen Mönchtums.
Erkennbar ist, dass das Mönchtum von Lérins von Anfang zönobitisch gewesen ist. Dabei war die Entfaltung der asketischen Lebensform der Individualität des Einzelnen entzogen und der Gehorsam spielte eine dominierende Rolle. Es gab eine starke Betonung der Arbeit und eine für alle verbindliche Tagesordnung. Die Zeit für die geistliche Lesung war auf drei bzw. zwei Stunden pro Tag beschränkt. In integraler Weise ist das Leben durch die stabilitas, das Bleiben auf der Insel, gekennzeichnet. Anders jedoch als in der Gemeinschaft des Augustinus ist dieses Mönchtum eine reine Laienbewegung.
Auch Honoratus, der Klostergründer (um 360–430), der in der Gallia Belgica geboren wurde und dessen Großvater mit hoher Wahrscheinlichkeit der am Trierer Kaiserhof tätige Konsul und Dichter Ausonius war, dürfte in seiner Jugendzeit dort das »athanasianische« Mönchtum kennengelernt haben. Er ist, bevor er sich auf der Insel niederließ, aber auch längere Zeit in Ägypten gewesen, weshalb er die überhaupt erste Kloster-Regel, die des Pachomius (um 290–347), die dieser für seinen Klosterverband geschrieben hatte, vermutlich gekannt hat. Ursprünglich koptisch, lag sie damals auch schon griechisch vor und wurde just während der Zeit, als Honoratus sein Kloster gründete, von Hieronymus ins Lateinische übersetzt (404).
Dennoch zeigt eine genaue Analyse der »Regel der vier Väter«, dass sie weniger von Pachom als von der Rufin-Übersetzung der Basiliusregel abhängig ist. Ähnlich wie diese ist sie voller biblischer Zitate und Anklänge, was sich so weder bei Augustinus noch Pachom findet.
Das Wort monachus kommt noch nicht vor; der Mönch ist stets frater. Auch der Obere ist weder abbas noch praepositus, sondern umständlich wie in der lateinischen Basilius-Übersetzung is qui praeest aus dem griechischen »proestós«.
So zeigt sich in dieser Regel umgekehrt zu dem von Sulpicius Severus intendierten »Export« des Martinus-Ideals in den Osten ein Autoritätsimport in Gestalt von fiktiven regelgebenden, östlich benannten Mönchsvätern.
Ganz direkter »Import« östlicher monastischer Lebensformen lässt sich dann bald darauf in Marseille in den Schriften Johannes Cassians beobachten. Ab dieser Zeit nahmen das südgallische, aber auch das italische Mönchtum jene Entwicklung, die in dem im Niedergang befindlichen weströmischen Reich und den neuen sich etablierenden gentilen Königsherrschaften dazu führte, dass das Mönchtum eine gesellschaftlich-soziale Bedeutung erlangte, die dem östlichen Mönchtum in vergleichbarer Weise nie zugekommen ist.