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Leseprobe 1
Gerhard Schneider
Integrative Propädeutik
Neue Wege der Priester- und Theologenausbildung im theologisch-propädeutischen Seminar »Ambrosianum« in Tübingen
Zu den Aufgaben bei der Konzeption eines Theologiestudiums gehört die Heranführung der Studierenden an das Wesen und die Ausgangsvoraussetzungen des Studienfaches zu Beginn des Studiums. An dieser Nahtstelle zwischen individuellen biographischen Anwegen und dem Eintritt in ein gewachsenes theologisches Curriculum zeigen sich Veränderungen in Selbstverständnis, Motivation, Erwartungen und Vorbildung der (künftigen) Studierenden besonders schnell und deutlich. Jede neue Generation von Theologiestudierenden bringt damit neue Herausforderungen mit sich. Seit einigen Jahren werden zwei ganz unterschiedliche Reformen umgesetzt, die in jeweils spezifischer Form darauf reagieren wollen: zum einen die Studienreform der katholischen Fakultäten infolge des »Bologna-Prozesses«, zum anderen die Einführung von Propädeutika im Rahmen der Theologen-, insbesondere der Priesterausbildung. Während der Bologna-Prozess kontrovers und öffentlich diskutiert wird, verlief und verläuft die Einrichtung verschiedener propädeutischer Phasen an deutschen Priesterseminaren relativ geräuschlos.

1. Das theologisch-propädeutische Seminar Ambrosianum: Von Stuttgart über Ehingen nach Tübingen

Die Diözese Rottenburg-Stuttgart gehört zu den deutschen Diözesen, die bereits sehr lange Erfahrungen mit eigenen Propädeutika gesammelt haben. In den 1970er Jahren wurde in das damalige Spätberufenenseminar »Ambrosianum« in Stuttgart ein vorbereitendes Schuljahr für Abiturienten integriert, das den Erwerb der für das Theologiestudium notwendigen alten Sprachen ermöglichte. 1983 wurde dieses Studienjahr unter dem Namen »Ambrosianum« nach Ehingen verlegt und um einige propädeutische Elemente erweitert. Das Ambrosianum war im dortigen diözesanen Konvikt angesiedelt und, für die damalige Zeit stimmig, damit ganz im schulischen Kontext verortet. Bedingt durch den fundierten und umfassenden Sprachunterricht und den von den Teilnehmern stets als bedeutender Mehrwert empfundenen gemeinsamen Anweg einer Gruppe künftiger Theologiestudierender hat sich das Ambrosianum im Laufe der Stuttgarter und Ehinger Jahre einen guten Ruf erworben, der es zu einer bekannten »Marke« in der Diözese hat werden lassen. Über viele Jahre hinweg durchliefen zahlreiche künftige Priesteramtskandidaten und andere Theologiestudierende – in aller Regel Abiturienten – vor ihrem Studienbeginn bzw. ihrem Eintritt ins Wilhelmsstift in Tübingen das Ambrosianum, das wichtige propädeutische Funktionen erfüllte.

Mitte der 1990er Jahre begannen sich die Anwege der Priesteramtskandidaten Mitte der 1990er Jahre begannen sich die Anwege der Priesteramtskandidaten zunehmend auszudifferenzieren: Eine wachsende Gruppe von jungen Männern trat in das Wilhelmsstift ein, ohne zuvor das Ambrosianum besucht zu haben, und auch bei den Absolventen des Ambrosianums fiel auf, dass ein bis dahin als selbstverständlich vorausgesetztes mehr oder weniger einheitliches Niveau der kirchlichen, theologischen und glaubensgeschichtlichen Sozialisation nicht mehr vorhanden war.

Die Diözese Rottenburg-Stuttgart reagierte 2000 mit der Einführung eines im Tübinger Wilhelmsstift angesiedelten sechswöchigen Kurz-Propädeutikums unmittelbar vor Studienbeginn, das alle neu aufgenommenen Priesteramtskandidaten durchlaufen mussten, also auch die Absolventen des Ambrosianums. Damit wurde auch der Impuls des Apostolischen Schreibens »Pastores dabo vobis« aus dem Jahre 1992 aufgegriffen, in einem Propädeutikum die Dimensionen der Priesterausbildung grundzulegen. Erreicht werden sollten zumindest annähernd gleiche Ausgangsvoraussetzungen bei den Neueinsteigern im Wilhelmsstift. 2003 wurde die propädeutische Phase als eigenständiges Ausbildungselement schließlich auch in die revidierte »Rahmenordnung für die Priesterbildung« aufgenommen.

Die weiter zunehmende Bedeutung einer propädeutischen Phase für die Priesterausbildung rückte beim Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe 2006 in den Blick, als Papst Benedikt XVI. auf die Notwendigkeit einer solchen Vorbereitungszeit vor Studienbeginn eindringlich hinwies. Folge war die Neukonzeption einiger (meist überdiözesaner) propädeutischer Kurse für Priesteramtskandidaten, deren Diözesen bis dahin noch keine Propädeutika etabliert hatten. Andere Diözesen, wie z. B. Trier oder Freiburg, hatten bereits zuvor Propädeutika entwickelt und führten diese in teils modifizierter Form fort. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart entschloss sich zu einer Zusammenlegung der beiden existierenden propädeutischen Phasen. Im Zuge dieser Neustrukturierung wurde im Herbst 2009 das Ambrosianum als theologisch-propädeutisches Seminar der Diözese Rottenburg-Stuttgart nach Tübingen verlegt, wo sich bereits die Katholisch-Theologische Fakultät und die diözesanen Ausbildungseinrichtungen der ersten Bildungsphase für Priester und Pastoralreferenten/innen befinden.

Diese Verlegung war mit grundsätzlichen Überlegungen verbunden, welchen Anforderungen eine dem Theologiestudium vorausgehende propädeutische Phase genügen muss. Die Beziehungen zu den anderen diözesanen Ausbildungseinrichtungen waren dabei ebenso im Blick wie das Verhältnis des Lern- und Ausbildungskonzeptes des Ambrosianums zum sich anschließenden Studium an der Katholisch-Theologischen Fakultät. Vor allem war mit der Neukonzeption des Ambrosianums eine gründliche Analyse der verschiedenen Anwege zum Theologiestudium und zu einem kirchlichen Beruf, insbesondere dem Priesterberuf, verbunden. Auf Grundlage dieser Überlegungen entstand unter Beibehaltung des bewährten Grundkonzeptes des Ambrosianums eine Einrichtung, die den allgemeinen und sinnvollen Trend zu Propädeutika in der Priesterausbildung aufnimmt, gleichzeitig aber die besondere Tradition der Diözese Rottenburg-Stuttgart in der Theologenausbildung weiterführt.

2. Neue Anwege zu Theologiestudium, Priesteramt und pastoralem Beruf

Die Tatsache, dass das Ambrosianum als eine dem Theologiestudium vorangestellte propädeutische Einrichtung in den fünfzig Jahren seines Bestehens immer wieder tiefgreifende konzeptionelle Änderungen erfuhr und nun schon an seinen immerhin dritten Ort zieht, liegt vor allem in den sich immer wieder grundsätzlich ändernden Anwegen junger Menschen zum Theologiestudium, zum Priesteramt und zu pastoralen Berufen begründet. Das Ambrosianum hat sich stets eine hohe Sensibilität für entsprechende gesellschaftliche und kirchliche Entwicklungen bewahrt. Jede Änderung im Konzept war der Versuch, einer neuer Generation von Theologiestudierenden auf ihrem Weg zu ihrer Berufung und ihrem Beruf gerecht zu werden und dadurch ein optimaler Wegbegleiter zu sein.

Betrachtet man die Anwege zum Priesterberuf, ist eine der auffälligsten Entwicklungen der letzten Jahre der immer spätere Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung von Seiten der Studenten getroffen wird. War es bis vor ca. zehn Jahren bis auf wenige Ausnahmen die Regel, dass die Priesteramtskandidaten, die nach Abschluss ihres Studiums vom Wilhelmsstift Tübingen in das Priesterseminar Rottenburg empfohlen wurden, bereits von Beginn ihres Studiums an als Priesteramtskandidaten im Wilhelmsstift wohnten, so hat sich heute die Situation grundlegend gewandelt: Etwa ein Drittel der im Laufe der letzten fünf Jahre neu ins Priesterseminar aufgenommenen Alumnen (ohne die Absolventen des Spätberufenenseminars in Lantershofen) hat sich erst während des Studiums um die Aufnahme als Priesteramtskandidat der Diözese Rottenburg-Stuttgart beworben. Es ist absehbar, dass sich diese Tendenz in den nächsten Jahren weiter verstärken wird.

Nun waren das Wilhelmsstift und das Theologische Mentorat allein schon aufgrund ihrer Zweckbestimmung stets bevorzugte Orte der Berufungsklärung. Vor allem mit Blick auf das Wilhelmsstift ist in den letzten Jahren eine klare Kehrtwende festzustellen: Noch bis vor wenigen Jahren vollzog sich dieser Prozess häufig während des Aufenthalts im Wilhelmsstift. Vereinfacht gesagt: War ein Theologiestudent noch in der eigenen Überlegungs- und Entscheidungsphase, verlegte er diese häufig ins Wilhelmsstift, wo er regelmäßig auf eine nicht kleine Gruppe stieß, die ebenfalls keineswegs für sich schon fest entschieden hatte, Priester werden zu wollen. Nicht wenige Priesteramtskandidaten verließen im Verlauf des Studiums das Wilhelmsstift oder bewarben sich nach dem Studienabschluss nicht um Aufnahme ins Priesterseminar. Entscheidungsprozesse im Blick auf die eigene Berufungsklärung waren damit vor allem im Umfeld des Wilhelmsstifts verortet.

Diese Situation hat sich grundlegend geändert: Bewirbt sich heute ein Theologiestudent um die Aufnahme als Priesteramtkandidat im Wilhelmsstift, hat er nach einem meist längeren Klärungsprozess bereits für sich entschieden, Priester zu werden. Häufig trifft er diese Entscheidung in einem fortgeschrittenen Stadium seines Studiums. Das Durchschnittsalter der Priesteramtskandidaten ist in den letzten Jahren auch deshalb immer weiter angestiegen, weil die künftigen Priester im Durchschnitt immer später im Verlauf des Studiums in die Seminare oder Konvikte eingetreten sind. Es verbleiben dann nur wenige Semester im Wilhelmsstift, in denen jedoch nach wie vor wesentliche Inhalte der Priesterausbildung vermittelt werden müssen.

Die Konzeption des Ambrosianums berücksichtigt diese stark wachsende Gruppe insofern, als es eine individualisierte propädeutische Phase der neu aufgenommenen Diözesantheologen ermöglicht. Treten Theologiestudenten im Laufe ihres Studiums in das Wilhelmsstift ein, absolvieren sie als Quereinsteiger nicht alle, sondern nur bestimmte propädeutische Kurse des Ambrosianums. Je nach Studienstand fallen z. B. der Sprachunterricht und die theologischen Basiskurse weg, während die spirituell-geistliche Ausbildung, ein diakonisches Projekt und ein praktisch-liturgischer sowie ein diözesangeschichtlicher Kurs absolviert werden müssen. Eine Prämisse bei der Konzeption des propädeutischen Programms für Quereinsteiger war, dass das laufende Studium nicht unterbrochen werden muss. Deswegen sind diese Elemente so gestaltet, dass die Studenten an der Universität eingeschrieben bleiben und ihr Studium an der Katholisch-Theologischen Fakultät auch während der propädeutischen Phase fortsetzen können.

3. Zur Eigenart des Tübinger Ambrosianums

Ort der Selbstvergewisserung und Berufungsklärung


Das Ambrosianum verdankt seine Entstehung den Anforderungen der Priesterausbildung, und bis heute sind Modifikationen der Priesterausbildung Anlass und Legitimation für inhaltliche Weiterentwicklungen. Dennoch werden seit den 1970er Jahren nicht nur Priesteramtskandidaten, sondern alle, die ein Studium der katholischen Theologie mit der Absicht aufnehmen möchten, einen kirchlichen Beruf zu ergreifen, aufgenommen. Diese bisherige Praxis des Ambrosianums wurde auch in der Tübinger Konzeption im Grundsatz übernommen. Deswegen ist nur ein gewisser Teil der Veranstaltungen des Ambrosianums in der zweiten Hälfte des Schuljahres ausschließlich für die Teilnehmer gedacht, die sich zu diesem Zeitpunkt dafür entschieden haben, mit dem Ziel des Priesterberufs ihr Studium aufzunehmen. Charakteristisch für das Jahr ist die Offenheit der Berufungsfrage: Erst in der letzten Phase des propädeutischen Jahres müssen sich die Teilnehmer dafür entscheiden, ob sie ihr Studium als Priesteramtskandidaten beginnen möchten.

Damit profitieren auch Studierende für andere pastorale Berufsgruppen wie Pastoralreferenten/innen oder Religionslehrer/innen von den aufwändigen Bemühungen der Diözese, die Anwege zum Priesterberuf zeitgerecht zu gestalten. Diese Praxis kommt aber gerade auch den jungen Männern zugute, die sich mit dem Gedanken tragen, Priester zu werden, ohne dies gleich zu Beginn des Studiums öffentlich benennen zu wollen. Diese Gruppe der Studierenden nimmt stetig zu und wird in der bisherigen Struktur vieler Propädeutika und auch der Priesterausbildung insgesamt kaum beachtet. Das Ambrosianum bietet den Raum, diese wichtige Phase der Berufungsklärung und persönlichen Entscheidung bewusst und begleitet zu gestalten, und zwar in einer Struktur, die für die Betroffenen gerade auch im Rahmen ihres Weges hin auf ein akademisches Studium als sinnvoll und richtig erscheint. Eine wesentliche Rolle in diesen Entscheidungsprozessen spielt dabei, dass Berufungsentscheidungen im Ambrosianum in einer Gruppe von künftigen Studenten getroffen werden, die mit Blick auf unterschiedliche Berufe und Berufungen (wobei neben den klassischen pastoralen Berufen auch Ordensberufungen an dieser Stelle zu nennen sind) nahezu alle in ähnlichen Prozessen stehen. Die so entstehenden Austauschbeziehungen sind ein wesentlicher Bestandteil des Ambrosianums und werden regelmäßig von allen Teilnehmern als großer Gewinn beschrieben. Dies führt z. B. dazu, dass sich aus den jährlichen Ambrosianumskursen regelmäßig langjährige, tragende geistliche Freundschaften ergeben.

Die zunehmende Bedeutung des Ambrosianumskurses als geistliche Weggemeinschaft von jungen Menschen, die ihrer Berufung auf der Spur sind, ergibt sich auch aus tiefgreifenden Änderungen im sozialen Umfeld der Teilnehmer. Eine Untersuchung der religiösen Herkunft von Priesteramtskandidaten ergab, dass 1974 80% der Befragten angaben, aus einem »sehr religiösen Elternhaus« zu stammen, 2005 »nur« noch 49%. Noch deutlicher zeigt sich die Veränderung bei den Bekanntenkreisen: Gingen 1974 noch 61% der Bekannten von Priesteramtskandidaten zum Gottesdienst, waren es 2005 nur noch 25%. Ähnlich stark ist der Rückgang der verbandlichen Jugendarbeit: 2005 waren 19% der Priesteramtskandidaten dort engagiert, 1974 waren es mit 50% mehr als doppelt so viele. Eine nach wie vor sehr große Rolle spielt dagegen der Ministrantendienst, was sich auch im Ambrosianumskurs 2009/10 zeigt: Nahezu alle Teilnehmer sind Ministrant oder Ministrantin, viele in leitenden Funktionen.

Unmittelbare Folge dieser Änderungen des sozialen Umfelds ist das Wegbrechen von Räumen der Glaubenskommunikation unter Gleichaltrigen. Die Ausformung einer religiösen Sprachfähigkeit, die Reflexion des eigenen Glaubensweges und vor allem auch die gemeinschaftliche Erfahrung des Christseins in der eigenen Altersgruppe finden seltener als früher im heimatlichen sozialen Umfeld statt. Übergemeindliche, oft auch überdiözesane Gemeinschaftserfahrungen werden deswegen seit Jahren gerade von religiös engagierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen gesucht – wenngleich hier sofort angemerkt werden muss, dass für die Mehrheit der Interessenten am Priesterberuf und darüber hinaus wohl auch für die meisten anderen Theologiestudierenden nach wie vor die eigene Heimatgemeinde der Ort ist, an dem sich bisheriges kirchliches Leben vor allem abspielte oder zumindest seinen Anfang nahm.

Das Ambrosianum in Tübingen reagiert auf diese Entwicklung mit einer weiteren Profilierung des propädeutischen Jahres als einer Intensivzeit der Selbstvergewisserung der Teilnehmer in ihrem Christsein und der Berufungsklärung. Die Angebote zur geistlichen Begleitung werden ausgebaut. Ein Curriculum zur Einführung ins geistliche Leben wird verpflichtender Bestandteil des Jahres. Ein Glaubenskurs führt in Grundlagen des christlichen Glaubens ein. Vor allem aber bringt die Verortung in Tübingen einen nicht zu unterschätzenden Mehrwert für die Ambrosianer mit sich: Einerseits ist das Ambrosianum nach wie vor eine eigenständige Institution, die nicht im universitären Umfeld aufgeht, andererseits ermöglicht die Nähe zur Katholisch-Theologischen Fakultät und zu den diözesanen studienbegleitenden Einrichtungen eine Vielzahl von informellen Kontakten zu Studierenden, die ähnliche Wege der Berufswahl und Berufungsklärung bereits gegangen sind oder gehen. Ansprechpartner der Fakultät und der Diözese sind außerdem leichter erreichbar; die räumliche Nähe senkt die diesbezüglichen Hemmschwellen.

Ort diözesaner Identitätsbildung

Der Gründungsgedanke des Ambrosianums war 1957, jungen Männern mit Berufsausbildung das Abitur zu ermöglichen mit der Perspektive, danach ein Theologiestudium aufzunehmen. 1970 kam der einjährige sprachliche Zug hinzu, der bis heute unter dem Namen »Ambrosianum« existiert und Abiturienten die Möglichkeit bot, die für das Theologiestudium notwendigen Sprachen zu erlernen. Die Zweckbestimmung des Ambrosianums war damit in seiner Anfangszeit stets von dem Gedanken geleitet, Interessenten am Theologiestudium zu den notwendigen Bildungsvoraussetzungen zu verhelfen. In der Ehinger Zeit kam verstärkt der Aspekt der Berufungsklärung in einem komplexeren gesellschaftlichen Umfeld hinzu: Mit dem Wechsel nach Tübingen ist eine weitere Profi lierung dieser Dimension des propädeutischen Jahres verbunden. Dazu kommt schließlich eine neue Aufgabe, die rasch an Bedeutung gewinnt: die Förderung einer diözesanen Identität der Teilnehmer.

Die Diözese spielt als kirchliche Bezugsgröße bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen nur eine marginale Rolle. Die eigene kirchliche Identität bildet sich dagegen mehr und mehr an den beiden Polen der Ortsgemeinde und der »Weltkirche« heraus. Nun kann mit Recht eingewendet werden, dass die eigene Heimatgemeinde die Konkretion der Ortskirche im eigenen Lebensumfeld darstellt. Greifbar wird die Diözese als eigenständige kirchliche Größe im Leben junger Menschen heute jedoch weniger als früher, und es ist offensichtlich, dass die Ortskirchen einen Teil ihrer Integrationskraft früherer Jahrzehnte verloren haben. Die Gründe hierfür mögen vielschichtig sein. Nur einige seien hier genannt: Die Organisation der Jugendlichen in Verbänden auf Diözesanebene hat, wie oben ausgeführt, stark abgenommen. Gleichzeitig lenkt das Internet als eine der maßgeblichen Quellen bei der Informationsbeschaffung und Meinungsbildung den Blick beinahe automatisch über die Diözesangrenzen hinaus. Schließlich verbinden nahezu alle Interessenten am Theologiestudium positive und nachhaltig prägende Erfahrungen mit internationalen Großereignissen wie Ministrantenwallfahrten, Weltjugendtagen oder Veranstaltungen in Taizé.

Es ist eine wichtige Aufgabe eines Propädeutikums, diese Erfahrungen mit den Prägungen durch die Heimatgemeinde zu verbinden und in die Geschichte und Kultur der Diözese einzuordnen. Die Integrationskraft einer Diözese ist in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung, da sie eine echte ekklesiologische Identitätsbildung der Interessenten an kirchlichen Berufen ermöglicht. Es besteht ja nicht die Gefahr, dass künftige Pfarrer, Pastoralreferenten und Religionslehrer keine kirchliche Identität entwickeln, sondern mehrere mehr oder weniger unverbundene kirchliche Identitäten. Nicht zu unterschätzen ist hier die Gefahr des Auseinanderfallens einer pragmatisch ausgeformten Identität, die in der Heimatgemeinde und vor allem auch im je eigenen Glaubensleben und in der Lebensführung verortet ist, und einer weltkirchlich ausgerichteten Identität, die sich (zumindest: auch) medial ausbildet und nicht selten idealisierte Züge trägt.

Das Ambrosianum wird vor diesem Hintergrund methodisch und inhaltlich vielfältig gestaltete Zugänge zur heutigen Wirklichkeit der Diözese ermöglichen. Dazu gehören ein Curriculum in Diözesangeschichte, eine Exkursion zu zentralen Kirchbauten unserer Diözese, Begegnungen mit Mitgliedern der Diözesanleitung und verschiedenen Pfarrern und Pastoralreferenten in deren konkreten Gemeindekontexten sowie die Auseinandersetzung mit aktuellen pastoralen Problemstellungen.

4. Integrative Propädeutik: konstruktive Zuordnung von propädeutischer Phase und wissenschaftlich-theologischer Bildung

Anschlussfähigkeit des Propädeutikums zum wissenschaftlichen Studium


Eine grundsätzliche Herausforderung für eine propädeutische Phase in der Theologenausbildung ist die Sicherung ihrer Anschlussfähigkeit und Verknüpfung zu anschließenden Bildungsphasen. Im Propädeutikum werden Grundlagen für das Selbstverständnis einer geistlichen und theologisch-wissenschaftlichen Ausbildung gelegt, die prägend für das Studium sind. Wesentliche Fragen wie theologische Methodik oder der Zusammenhang zwischen der existentiell-geistlichen Dimension des eigenen Glaubens und dem wissenschaftlich-theologischen Studium werden bereits thematisiert. Hier rückt die reflektierte Zuordnung der propädeutischen Phase zum sich anschließenden Studium in den Blick.

Es ist heute weitgehend vergessen, dass die Anfänge der Diskussion über eine propädeutische Phase in der Priesterausbildung bereits im unmittelbaren Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils liegen. Einen wichtigen Anstoß gab hier übrigens mit Joseph Möller ein Professor der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen. Im Umfeld des Konzils wurde der Gedanke weiter entwickelt, wesentlich auch von Karl Rahner, der mit seiner Idee eines »theologischen Grundkurses« einflussreich war. Es ergaben sich dabei aber nicht nur leidenschaftlich ausgetragene Kontroversen hinsichtlich der inhaltlichen und methodischen Ausgestaltung eines solchen Grundkurses, sondern vor allem auch im Blick auf die Zuständigkeit: Sollte es ein Zusammenwirken der für die Priesterausbildung zuständigen Institutionen Priesterseminar und Theologische Fakultät geben, und wenn ja, auf der Grundlage welcher Zielsetzung? Diese Diskussion verlief letztlich im Sande. Faktisches Ergebnis zahlreicher Entwürfe und Versuche war der Übergang der Zuständigkeit allein an die Fakultäten, die fortan einen »theologischen Grundkurs« anboten. Eine dem Studium vorgelagerte »Einführung ins geistliche Leben « gab es auch weiterhin nicht.

Der Zusammenhang zwischen propädeutischer Phase und der sich anschließenden Studienphase wird heute auch deswegen kaum thematisiert, weil im Gegensatz zur Diskussion der 1970er Jahre am Ausgangspunkt der aktuellen Diskussion weniger Vorbildung in klassischen studienrelevanten theologischen Fachgebieten stand, sondern Themenbereiche wie spirituelle Bildung, geistlich-menschliche Reifung und christlichkirchliche Sozialisation in den Mittelpunkt des Interesses rückten. Da diese eher in die Zuständigkeit der Priesterseminare oder anderer studienbegleitender Einrichtungen fallen, ging und geht die Neukonzeption der aktuellen Propädeutika in der Regel von diesen diözesanen Einrichtungen aus.

Wenn die Propädeutika jedoch wie das Ambrosianum auf ein ganzes Jahr angelegt sind und nicht nur einige Monate dauern, beinhalten sie in jedem Falle zahlreiche auf das Theologiestudium hingeordnete Veranstaltungen. Diese sollen gerade nicht Elemente des wissenschaftlichen Studiums vorwegnehmen oder gar in Konkurrenz zu ihnen treten, sondern vielmehr die Grundlage für dieses schaffen. Deshalb ist eine sorgfältige Abstimmung der Inhalte sowie der Methoden mit der Fakultät notwendig. Ziel ist die konstruktive Anschlussfähigkeit beider Ausbildungsabschnitte. Auf diese Weise soll das Propädeutikum nicht als isoliertes Vorspiel des Studiums verstanden werden, sondern als integrierter Bestandteil eines umfassenden theologischen Bildungsweges. Eine derartige integrative Propädeutik will dazu beitragen, dass die gesamte theologische und pastorale Ausbildung als eine organische Einheit erlebt werden kann, die nicht in unverbundene oder gar widersprüchliche Elemente zerfällt. Ein derartiger propädeutischer Ansatz hat damit auch die nicht leicht zu bewältigende Aufgabe, die Grundlage für ein fruchtbares Miteinander der je individuellen geistlich-spirituellen Glaubenswege und des theologisch-wissenschaftlichen Studiums zu legen.

Es ist von Vorteil, wenn diese Abstimmung nur mit einer Fakultät notwendig ist, wie es beim Tübinger Ambrosianum der Fall sein wird. Diese Verbindung zeigt sich auch darin, dass Mitglieder der Fakultät in einzelnen Veranstaltungen zu Gast sind.

Die grundlegende Bedeutung des Sprachenstudiums


Zwar gehören zum Gesamtprogramm des Ambrosianums auch Fächer wie Bibelkunde, Einführungen in Philosophie, Theologiegeschichte und Kirchenmusik, Diözesangeschichte, Liturgie und ein Glaubenskurs, so dass insgesamt ein breites Spektrum an propädeutischen Inhalten abgedeckt wird. Den mit Abstand größten Anteil am Unterricht nehmen jedoch die Alten Sprachen ein. Bezogen auf das gesamte Unterrichtsjahr verbringen die Ambrosianer knapp drei Viertel ihrer Zeit im Latein-, Griechisch- und Hebräischunterricht.

Bei der konzeptionellen Gestaltung des Ambrosianums war die grundsätzliche Einsicht maßgebend, dass dieser Sprachunterricht nicht etwa additiv zu den »eigentlichen« Propädeutikumsinhalten hinzukommt oder gar verbleibende Zeitfenster im propädeutischen Jahr schlicht auffüllt. Vielmehr ist das Sprachenstudium selbst originärer propädeutischer Inhalt. Diese Erkenntnis gilt es vor allem ins Bewusstsein der Teilnehmer zu heben: Die von den Studienordnungen geforderten Sprachkenntnisse sind nicht einfach nur eine technisch notwendige Ausgangsvoraussetzung für das Studium, sondern wesentlicher Bestandteil einer umfassenden universitären theologischen Bildung, der einen eigenständigen Zugang zu theologischen – und dabei nicht nur exegetischen – Fragen ermöglicht.

Konsequenterweise nutzt das Bildungskonzept des Ambrosianums das umfangreiche Stundenkontingent, das zum Erlernen der Alten Sprachen zur Verfügung steht, auch dazu, deren theologische, philosophische und historische Relevanz plausibel zu machen. Eine entsprechende Qualifi kation der Sprachlehrer ist von großer Bedeutung.

Weltoffene Katholizität im propädeutischen Kontext


Die grundsätzliche Ausrichtung der Theologenausbildung in Tübingen wurde von Max Seckler unter dem Stichwort »Weltoffene Katholizität« zusammengefasst.11 Sie besteht im Kern aus dem Postulat eines konstruktiven Miteinanders von Kirchlichkeit und Weltoffenheit, von religiös-spiritueller Motivation und wissenschaftlichem Theologiestudium. Wenngleich Seckler die Konkretisierung dieser Programmatik an den beiden Institutionen Wilhelmsstift und Katholisch-Theologischer Fakultät festmachte, gibt sie dennoch darüber hinaus Auskunft über das implizite Selbstverständnis von theologischer Bildung in der Diözese Rottenburg-Stuttgart und an der Katholisch-Theologischen Fakultät.

Das Ambrosianum als theologisch-propädeutisches Seminar weiß sich dieser Konzeption in mehrfacher Hinsicht verpflichtet. So geschieht die spirituell-geistliche Formation und Reifung bewusst in einem theologisch-inhaltlichen Kontext: Das propädeutische Jahr beinhaltet ein anspruchsvolles Programm an sprachlichen und theologischen Inhalten, deren Bewältigung die Teilnehmer herausfordern und an Grenzen führen kann. Solche Erfahrungen sind dem Wachstum der geistlichen Reife förderlich, wenn es Raum gibt, sie zu reflektieren und fruchtbar zu machen.

Ähnliches gilt für die Orientierung und Entscheidungsfindung hinsichtlich eines kirchlichen Berufs. Das propädeutische Programm des Ambrosianums bietet eine Vielzahl an Erfahrungsräumen, die es den Teilnehmern ermöglichen, ein differenziertes Bild der einzelnen Berufe zu erhalten: Begegnungen mit Pfarrern und pastoralen Mitarbeitern, Besuche in Gemeinden, Kurzpraktika in sozialen Einrichtungen, Kontakte zu verschiedenen Bereichen der Sonderseelsorge. Dazu kommt die Möglichkeit des intensiven Kontaktes zu den verschiedenen diözesanen Ausbildungseinrichtungen. Die Entscheidung, einen bestimmten pastoralen Beruf anzustreben, erfolgt somit aufgrund möglichst repräsentativer Erfahrungen mit der kirchlichen bzw. diözesanen Wirklichkeit.

Aus der besonderen Perspektive der Priesterausbildung schließlich ermöglicht die hier beschriebene Programmatik des Ambrosianums einen niederschwelligen Einstieg für die wachsende Gruppe junger Männer, die zwar grundsätzlich am Priesterberuf interessiert sind, aber einer begleiteten Phase der Entscheidungsfindung bedürfen, die dem Eintritt ins Seminar bzw. Wilhelmsstift vorgelagert ist. So bietet die Offenheit des Ambrosianums auf verschiedene kirchliche Berufe hin gerade auch aus der Sicht der Priesterausbildung neue Chancen, Berufungen zu fördern und zu wecken.

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